War Otto Strasser Drahtzieher Georg Elsers?
"Verräter Otto Strasser das Werkzeug des englischen Geheimdienstes! Wiederholte Anschläge auf den Führer!" -
unter dieser Schlagzeile erschien die Münchner Ausgabe des Völkischen Beobachter am 23. November 1939, nach dem
Attentat auf Hitler im Bürgerbräu-Keller zu München.
Erinnert Ihr Euch an diese Überschriften? Das war nur eine von vielen, mit denen das Hitler-System versuchte, die
Wahrheit vor dem deutschen Volk zu verbergen, die Wahrheit über die Tatsachen, ohne die sich eben niemand ein Urteil
bilden kann.
Als Goebbels und Ribbentrop diese hasserfüllten Lügen plakatierten und gleichzeitig von der Schweiz meine Auslieferung
als 'gemeiner Verbrecher' verlangten, gelang es mir mit Hilfe schweizerischer und französischer Freunde in letzter Minute,
die französische Grenze bei Nacht und Nebel zu überschreiten: wieder einmal war ich den Agenten Himmlers entgangen.
Quelle: Otto Strasser, Hitler und ich, Konstanz 1948. Der Text stammt aus dem Vorwort zur ersten in
Deutschland erschienenen Ausgabe von 1948. Das Buch war ursprünglich in französischer Sprache verfasst: Otto Strasser,
Hitler et moi, Paris 1940.
Siehe auch: Otto Strasser: Das Bürgerbräuattentat
Otto Johann Maximilian Strasser (* 10. September 1897 in Geisenfeld (Oberbayern), 27. August 1974
in München) war ein Hitler-Gegner, der von 1925 bis 1930 Mitglied in der NSDAP gewesen war. Ursprünglich Mitglied
in der SPD, baute er Mitte der 1920er Jahre mit seinem Bruder Gregor einen sozialrevolutionären Flügel in der
NSDAP auf. Seine Vorstellung von Nationalsozialismus war die Beseitigung des Kapitalismus, jedoch nicht unter dem
marxistischen Vorzeichen des Internationalismus.
Infolge unüberbrückbarer Gegensätze zu Hitler, der gegen eine Verstaatlichung der Wirtschaft
war und stattdessen die Kooperation mit den Führern der Wirtschaft anstrebte, wurde er im Juli 1930 aus der NSDAP gedrängt.
Strasser gründete "Die schwarze Front". Ab 1933 bekämpfte er Hitler aus dem Exil.
Die "Schwarze Front" war eine Widerstandsgruppe, die schon am 4. Februar 1933 verboten wurde, in den folgenden
Jahren effektiver als viele andere gegen den Nationalsozialismus des Dritten Reiches kämpfte und auch das Bündnis mit anderen
Widerstandsgruppen suchte. Siehe auch:
Wolfgang Abendroth,
Das Problem der Widerstandstätigkeit der "Schwarzen Front",
in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Jahrgang 8 (1960), Heft 2 S. 181-187
Dennoch wird Strasser bei der historischen Aufarbeitung des Widerstands im Dritten Reich
bisher nur unzureichend gewürdigt, während der kommunistische Widerstand, der das Ziel einer stalinistischen
Diktatur hatte, die ja auch nach dem Krieg in einem Teil Deutschlands vorübergehend verwirklicht wurde,
durchaus positiv rezipiert wird.
Die Nationalsozialisten bezichtigten Dr. Otto Strasser, der seit 1938 in der Schweiz lebte, gemeinsam mit dem
britischen Geheimdienst
das Bürgerbräuattentat organisiert zu haben.
Die Schweizer Polizei überwachte Strasser während seines gesamten Aufenthalts in der Schweiz und
erstellte ein umfangreiches Dossier, das heute im Schweizerischen Bundesarchiv in Bern
unter der Signatur E 4320 (B) 1970/25 Bd 1-4, Dossier C.2.102 verwahrt wird.
Am 13. November 1939 musste Strasser die Schweiz verlassen. Über Frankreich emigrierte er nach Portugal und entkam schließlich
nach Kanada.
Nach dem Bürgerbräuattentat sandte die Gestapo einen 18-seitigen Fragenkatalog
an die Schweizer Polizei. Der
Schweizer Ermittlungsbericht
lieferte jedoch keinerlei Indizien für eine Verbindung zwischen Elser und Strasser.
Strasser wurde nicht nur von den Nationalsozialisten, sondern auch in Zusammenhang mit Gerüchten um
Karl Kuch sowie
in der Best-Biografie
des Niederländers Henri A. Bulhof als angeblicher Drahtzieher von Georg Elser bezichtigt.
Die
Elser-Forschung
kam auf Grundlage umfangreicher historischer Quellen zum eindeutigen Ergebnis, dass Elser ein Einzeltäter war.
Strasser selbst hat sich niemals als Drahtzieher des Attentats bekannt.
Im Gegenteil war unter Bezugnahme auf
Martin Niemöller der
festen (aber unrichtigen) Überzeugung, das Attentat sei eine Selbstinszenierung der Nazis gewesen. Auch habe er keine Kontakte
zu ausländischen Geheimdiensten gehabt:
Strasser: Das Bürgerbräuattentat
Lebenslauf Otto Strassers
- Der 1897 in Geisenfeld (Oberbayern) geborene Sohn einer katholischen Beamtenfamilie nahm ab 1914 als 17-jähriger,
jüngster Kriegsfreiwilliger Bayern am Ersten Weltkrieg teil. Er wurde mehrfach
verwundet, für seine militärischen Leistungen ausgezeichnet und zum Oberleutnant befördert.
- 1919 beteiligte er sich an einem von Franz Ritter von Epp geführten Freikorps zur Beseitigung der
Münchener Räterepublik. Er begann ein Studium der Staatswissenschaften in Berlin und trat in die SPD ein.
- 1920 beteiligte er sich am Widerstand gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch. Nach der Niederwerfung von
Arbeiteraufständen im Ruhrgebiet trat er aus der SPD aus.
- Nach der Promotion wurde er 1921 Referent im Reichsernährungsministerium und wechselte 1923 zu
einem Führungsposten in der Industrie.
- 1925 schrieb er unter dem Pseudonym Ulrich von Hutten für den "Völkischen Beobachter", das
Parteiorgan der NSDAP, und wurde Mitglied in der NSDAP.
- Zusammen mit seinem Bruder Gregor Strasser und Joseph Goebbels baute er einen "linken"
Flügel der NSDAP in Norddeutschland auf. Dieser unterstützte zum Teil Streiks der sozialdemokratischen
Gewerkschaften und forderte die Verstaatlichung von Industrie und Banken. Diese Konzepte standen im Gegensatz zu Adolf
Hitler, der der Wirtschaft zusammenarbeiten wollte.
- Ein Entwurf der Brüder Strasser für eine neues Parteiprogramm wurde im Januar 1926 von den
norddeutschen NSDAP-Gruppen in Hannover befürwortet, scheiterte aber an den süddeutschen Parteigruppen um Hitler,
die ihn im Februar 1926 in Bamberg ablehnten und den nationalen Sozialismus des Strasser-Flügel verwarfen.
Siehe auch:
Reinhard Kühnl,
Zur Problematik der nationalsozialistischen Linken: Das Strasser-Programm von 1925/26,
in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Jahrgang 14 (1966), Heft 3 S. 317-333
- 1926 wurde er Schriftleiter der "Berliner Arbeiterzeitung" und der "NS-Briefe".
1928 gründete er mit seinem Bruder Gregor in Berlin den "Kampfverlag", der mit dem von
Goebbels herausgegebenen "Angriff" konkurrierte.
- 1930 wurde Strasser in der Auseinandersetzung um die von Hitler verfolgte Legalitätspolitik der
NSDAP aus der Partei herausgedrängt. Er gründete "Die schwarze Front", die einen nationalen
Sozialismus propagierte. Es gelang ihm jedoch nicht, die NSDAP zu spalten.
- Nach der Machtergreifung wurde die "Schwarze Front" in Deutschland im Februar 1933, also noch vor der SPD und KPD,
verboten. Strasser emigrierte mit einigen Anhängern nach Wien und später nach Prag.
Vom Exil aus prangerte er über Zeitungen und Hitlers Diktatur an.
- Anfang 1935 wurde sein illegaler Rundfunksender in der Nähe von Prag wurde im Auftrag von Heydrichs SD von
Alfred Naujocks
ausgeschaltet.
- In seinem Buch "Die deutsche Bartholomäusnacht" behandelte er 1935 den sogenannten "Röhm-Putsch"
vom Juni 1934, dem auch sein Bruder Georg zum Opfer gefallen war. 1936 warf er in seiner Studie "Wohin treibt
Deutschland" Hitler den Verrat an den nationalsozialistischen Ideen vor.
- 1938 übersiedelte er in die Schweiz, wo sich im Dezember laut
Henri A. Bulhof
in Zürich mit Georg Elser getroffen haben soll.
- Im November 1939 bezichtigte die NS-Propaganda Strasser, gemeinsam mit dem
britischen Geheimdienst
Drahtzieher von Georg Elsers Bürgerbräu-Attentat gewesen zu sein. Strasser musste die Schweiz
verlassen und emigrierte nach Frankreich. Artikel
Otto Strasser bei seinen Londoner Brotgebern
im "Völkischen Beobachter"
- Ende 1939 schrieb Strasser in Frankreich seine Erinnerungen "Hitler et moi", die 1940 in Paris sowie
in Südamerika in deutscher Sprache mit dem Titel "Hitler und ich" erschienen. Englische, spanische und
italienische Ausgaben folgten. In Deutschland erschien das Buch - eine wichtige Quelle zur Geschichte der NSDAP -
erstmals 1948.
Strasser 1955 nach seiner Rückkehr nach Deutschland. Quelle: Deutsches Historisches Museum
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- 1940 gelang ihm nach dem deutschen Sieg über Frankreich im August die Flucht nach Portugal, von wo er im Oktober
1940 nach Nordamerika entkam.
- Anfang 1941 ordnete Hitler vergeblich die Ermordung Strassers an,
den man zu diesem Zeitpunkt noch in Portugal vermutete.
- Von Kanada aus propagierte Strasser als europäische Nachkriegsordnung einen
"Solidarismus" als einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus.
- Nachdem die deutschen Behörden frühere Einreiseanträge Strassers aufgrund politischer Bedenken abgelehnt hatten,
ermöglichte ihm ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts 1955 die Rückkehr in die Bundesrepublik.
- 1957 gründete Strasser die "Deutsche Soziale Union", die allerdings politisch einflusslos blieb.
Die DSU beteiligte sich an der Bundestagswahl 1958 (0,1 %) und der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen (0,0 %, 540 Stimmen)
und beschloss 1962 ihre Selbstauflösung.
- 1969 erschien seine Autobiografie "Mein Kampf", in der er nochmals mit Hitler abrechnete und
die neuere Geschichtsforschung bezüglich der Geschichte der NSDAP zwischen 1925 und 1930 mit prägte. Auch zum
Bürgerbräuattentat,
das er für eine Selbstinszenierung der Nazis hielt, nahm Strasser in seinem letzten Buch ausführlich Stellung.
- 1974 starb Dr. Otto Strasser in München.
Offizielle Berichterstattung
Joseph Goebbels: Tagebuch
Reaktionen in der Bevölkerung
Otto Strasser: Das Bürgerbräuattentat
Waren Secret Service und Otto Strasser die Geldgeber?
Wartete Otto Strasser an der Schweizer Grenze?
Schweizer Ermittlungsbericht
Ulrich Renz: Die Akte Elser
Henry Picker: Hitlers Tischgespräche
Walter Schellenberg: Verfolgung Otto Strassers
Wolfgang Abendroth,
Das Problem der Widerstandstätigkeit der "Schwarzen Front",
in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Jahrgang 8
(1960), Heft 2 S. 181-187. Abendroth (1906-1985), ein sozialistischer deutscher Politologe und Rechtswissenschaftler, bezeichnet
seinen Beitrag als "Miszelle". Eine Miszelle (von lat. miscella 'Gemischtes') ist ein kurzer Beitrag in einer
geisteswissenschaftlichen Zeitschrift, der nicht den Umfang eines Aufsatzes erreicht.
Reinhard Kühnl,
Zur Problematik der nationalsozialistischen Linken: Das Strasser-Programm von 1925/26,
in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Jahrgang 14 (1966), Heft 3 S. 317-333
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