Bei der Verhaftung Georg Elsers am 8. November 1939 in Konstanz
Wartete Otto Strasser an der Schweizer Grenze?
Von Florian Henning Setzen
Was bleibt, ist, noch einige Worte über Otto Strasser zu verlieren. Auch er steht ja immer noch verschiedentlich unter
Verdacht, mit dem Attentat zu tun zu haben.
Das Otto-Strasser-Dossier der Schweizer Bundesanwaltschaft liefert zu dieser Frage jedoch umfangreiches Material,
das eine Verbindung Strassers mit dem Attentat ausschließen lässt.
Besonders das Argument, Strasser hätte sich bei Elsers Fluchtversuch von Konstanz nach Kreuzlingen auf der
Schweizer Seite am Grenzzaun befunden, wird widerlegt. Strasser wurde nämlich - so geht aus den Akten hervor -
am Abend des 8.11.1939 beschattet. Im Bericht des Nachrichtendienstes Zürich vom 9. November 1939 heißt es:
"Mittwoch, den 8. November 1939
An diesem Tage war Dr. Strasser auswärts und musste abends 19 Uhr von dem aus Richtung Zürich in Herrliberg
ankommenden Zuge durch die Garage [Fuhr- oder Taxiunternehmen?; der Verf.] Keller in Herrliberg abgeholt werden.
Die Fahrt ging lediglich vom Bahnhof Herrliberg bis zur Wohnung Dr. Strassers in Wetzwil, später musste die Garage
Keller für Dr. Strasser keine Fahrt mehr machen." 73
Auch das Vernehmungsprotokoll von Strassers Frau spricht gegen die These. In ihm macht Gertrud
Strasser die Aussage: "Zur Zeit des Attentats befand sich mein Mann bei mir in Wetzwil."
74 - Strasser selber bestritt übrigens Zeit seines Lebens, irgendetwas mit dem Münchner Attentat zu
tun gehabt zu haben. In einer seiner Veröffentlichungen nach dem Krieg deklariert er die Versuche der
Nationalsozialisten, ihm den Anschlag anzulasten, als "hasserfüllte Lügen". 75
Das klingt sehr glaubhaft, schließlich hatte Strasser - zumindest nach dem Krieg - keinen Grund, ein von
ihm im Jahr 1939 geplantes Attentat abzustreiten.
Wer war dann also der Mann am Zaun, beziehungsweise stand da überhaupt einer?
Hier ist als Zeugnis die Mitteilung des Polizei-Corps Kanton Thurgau, Kreuzlingen, an das Polizeikommando
des Kantons Thurgau, Frauenfeld, zu nennen, in der die Ereignisse des Abends des 8.11.1939 geschildert werden.
Dort heißt es:
"[...] teilen wir Ihnen mit, dass die Schweiz. Grenzwache in der Nacht der angebl. Verhaftung vom 8. auf 9. November
1939 keinerlei Feststellungen gemacht hat. Von dieser Verhaftung hatte auch niemand Kenntnis, bis zum Moment der
Publikation in der 'Bodensee Rundschau' [...]" 76
Dass die Schweizer Grenzwache nichts Verdächtiges bemerkte, geht gleichfalls aus dem Ermittlungsbericht mit
den Antworten auf die Fragen der Gestapo in Berlin hervor:
"Ermittlungen und Kontrolle der Diensteinteilungen haben ergeben, dass zu den angegebenen Zeiten
kein schweizerischer Grenzbeamter in der Nähe des Wessenberggartens ordentlich oder ausserordentlich Dienst versah.
Es sind damals auch keine Meldungen eingegangen über irgendwelche Beobachtungen." 77
Wenn also Strasser nicht in Frage kommt und die schweizerische Grenzpolizei nichts bemerkte, kommt lediglich
noch eine Person in Betracht, die nicht Strasser und auch keine Grenzwache war.
Ob solch eine Person sich just an dem Abend, an dem Elser in die Schweiz fliehen wollte, auf Schweizer Seite
des Wessenberggartens aufhielt, muss demnach offenbleiben, schließlich wurde eine derartige Person laut Zeugenaussagen
von zwei deutschen Zöllnern gesichtet. Nach der Schilderung der Beobachtungen der Zöllner im Requisitorial wurde die
Gestalt am Zaun auch von einem Schweizer Grenzbeamten bemerkt, woraufhin die Person zunächst floh, der Zöllner
sich hinter einem Busch verbarg. Einige Zeit später sei die Person wieder am Zaun aufgetaucht, ohne vom versteckten
Beamten Notiz zu nehmen. Dieser sei dann auf die Person zugegangen, was sie aber noch bemerkt und zur Flucht veranlasst
haben soll. 78
Deutlich wird daraus, dass die Schilderung der Schweizer Seite nicht mit der Schilderung der deutschen Seite
übereinstimmen kann. "Knackpunkt" ist die Frage, ob ein Schweizer Beamter im Busch saß, wie angeblich
die deutschen Zöllner beobachteten, oder ob zur fraglichen Zeit keine schweizerischen Beamten sich in der Nähe des
Wessenberggartens befanden, was schweizerseits festgestellt wird.
Sicher ist nur, dass - angenommen, eine Person sei tatsächlich am Zaun gesichtet worden, - nichts darauf hinweist,
dass eine derartige Gestalt etwas mit Elser zu tun hatte, sicher ist auch, dass es sich weder um Otto Strasser
(der befand sich bei seiner Frau) noch um Karl Kuch (der war bereits tot) gehandelt haben konnte.
73
Nachrichtendienst Zürich, Bericht v. 9. 11. 1939, BA CH E 4320 (B) 1970/25, Bd.1.
74
Vernehmungsprotokoll von Gertrud Strasser, Polizeikommando des Kantons Zürich/ Kriminalpolizei, 25. 11.1939, BA CH E 4320 (B) 1970/25, Bd. 1.
75
Otto Strasser, Hitler und ich, Konstanz 1948, S. 13.
76
Mitteilung vom 26. 11. 1939, BA CH E 4320 (B) 1970/25, Bd. 1.
77
Ermittlungsbericht in Sachen Elser, S. 11.
78
Fragenkatalog, S. 14-17.
Quelle: Florian Henning Setzen, Der Hitler-Attentäter Georg Elser und
die vermeintlichen "Hintermänner" in der Schweiz, in Jahrbuch 1997/98 des Heimat- und Altertumsvereins
Heidenheim an der Brenz, Heidenheim 1998, S. 263 f
Florian Henning Setzen M.A. ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für
Europäische Politik in Bonn