Georg Elser war ein SS-Unterscharführer

Von Martin Niemöller, Pfarrer


Martin Niemöller  
Dann habe ich etwas erlebt, was mir in vollem Umfang erst später deutlich wurde. In Sachsenhausen und Dachau habe ich in demselben Zellenbau zusammengesessen mit dem Mann, der 1939 das Attentat im Bürgerbräukeller auf Hitlers persönlichen Befehl durchzuführen hatte: dem SS-Unterscharführer Georg Elser. Mit diesem Mann sollte ein zweiter Reichstagsbrandprozess vorgeführt werden.

Nach geglücktem Attentat - und es glückte ja, denn Hitler hatte gerade kurz zuvor das Bürgerbräu verlassen - wurden in holländischem Gebiet zwei englische Offiziere, der Militärattache Stephens und Oberst Best, in Haft genommen, die der SS-Unterscharführer als Anstifter namhaft machen sollte. Nach siegreich beendetem Krieg sollte dann aus dieser Aussage ein Schauprozess gegen Churchill gemacht werden. Georg Elser wurde ausgezeichnet behandelt; er hatte drei Zellen, eine eigene Kunstwerkstatt. Im März 1945 verschwand er aus dem Zellenbau und wurde nicht mehr gesehen.

Als sich unser Gefangenenlager auflöste, erbeuteten wir die Aktentasche des unsern Transport begleitenden SS-Offiziers. Sie enthielt ein Schreiben des Wortlauts, den ich nicht abgeschrieben, aber mit meinen eigenen Augen sieben- bis achtmal gelesen habe und in vollem Wortlaut wiedergeben kann: "Auf allerhöchsten Befehl und Weisung des Reichsführers-SS ist der dort einsitzende Georg Elser, bekannt als der Attentäter vom Bürgerbräu-Attentat München, November 1939, gelegentlich des nächsten Terrorangriffs auf München unauffällig zu liquidieren. Darüber ist folgende Meldung zu erstatten: Bei dem gestrigen Terrorangriff auf München wurde der als Bürgerbräu-Attentäter bekannte Georg Elser tödlich verwundet."

Hiermit möchte ich deutlich machen, dass hinter dem Willen kein Ethos stand, auch nicht eine Null oder ein Nichts, sondern ganz einfach das, was man in der Menschheit einen verbrecherischen Willen nennt: keine Seele, keine Verantwortung. Deshalb musste der Versuch scheitern.

Quelle: Martin Niemöller, Rede vor der Evangelischen Studentengemeinde am 17. Januar 1946 in Göttingen - Autorisierte Nachschrift von stud.phil. Rudolf Creydt. Für die Göttinger Studentengemeinde gedruckt. Nicht im Handel, Göttingen 1946.


  • Martin Niemöller (*1892 in Lippstadt, †1984 in Wiesbaden) trat 1910 als Seekadett in die kaiserliche Marine ein und war im Ersten Weltkrieg U-Boot-Kommandant.
  • Nach dem Ersten Weltkrieg studierte er Theologie und wurde evangelischer Pfarrer. Der mitreißende Prediger entwickelte sich zur Symbolfigur für den kirchlichen Widerstand gegen den Nationalsozialismus. 1937 Verhaftung, ab 1938 KZ Sachsenhausen, 1941 bis 1945 KZ Dachau.
  • Nach seiner Befreiung führende Positionen in der Evangelischen Kirche Deutschlands und war von 1947 bis 1965 Kirchenpräsident. 1961 bis 1968 war er einer der sechs Präsidenten des Ökomenischen Rats der Kirchen.
  • Niemöller erhielt u. a. die Wichernplakette der Inneren Mission, den Lenin-Friedenspreis der UdSSR, das Großkreuz des Bundesverdienstordens, die Albert-Schweitzer-Friedensmedaille, die DDR-Friedensmedaille in Gold sowie Ehrendoktorwürden in Eden/USA, Budapest, Göttingen, Halifax/Chicago, Neu-Delhi und Chicago.
Niemöllers Ausführungen zu Georg Elser, die nicht auf eigenen Beobachtungen, sondern auf Gerüchten im Konzentrationslager basierten, haben die Theorie gefördert, das Attentat sei von den Nazis selbst inszeniert worden. Allerdings hat Niemöller im Rahmen der Münchener Ermittlungen 1950 die angebliche Zugehörigkeit Elsers zur SS nicht mehr erwähnt.

SS-Dienstgrade

Martin Niemöller: Briefwechsel mit Georg Elsers Mutter
Martin Niemöller: Angaben für die Münchener Ermittlungen
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Ulrich Renz: Der Fall Niemöller
Georg Elsers Hinrichtung