[...] Abends im Bürgerbräukeller. Die alten Kameraden! Viele fehlen, viele sind im feldgrauen Rock erschienen.
Der Führer wird mit vorstellbarem Jubel empfangen. Er hält in seiner Rede ein schneidende Abrechnung mit England.
Schärfste Angriffe gegen die britische Raubpolitik. Wir kapitulieren nie. Vorbereitet auf 5 Jahre Krieg.
Und England wird unsere Waffen kennenlernen. Tolle Begeisterung durchtobt den Saal. Diese Rede wird eine Weltsensation
werden.
Gleich nach der Rede mit dem Führer nach Berlin zurückgefahren. In unserem Abteil gegessen und geplaudert. Wir sprechen
alle möglichen Probleme durch. Vor allem auch den Mangel an Umsicht und Initiative im Rust-Ministerium. Der Führer
ist auch sehr ungehalten darüber. Aber er kann im Augenblick noch nichts daran ändern. Die Auseinandersetzung mit
der Klerisei will er sich für nach dem Krieg aufsparen. Und das ist auch ganz richtig so! Die allgemeine Lage sieht
der Führer sehr optimistisch an. England muß in die Knie gezwungen werden.
In Nürnberg kommt eine Hiobsbotschaft, ich muß dem Führer ein Telegramm überreichen, nach dem kurz nach unserem
Verlassen des Bürgerbräus dort eine Explosion stattfand. 8 Tote und 60 Verletzte. Das ganze Gewölbe heruntergestürzt.
Das ist ungeheuerlich. Der Führer hält die Nachricht zuerst für eine Mystifikation. Aber ich frage in Berlin nach,
alles stimmt. Man hatte schon zweimal versucht, den Zug anzuhalten, aber ohne Erfolg. Der Umfang des Schadens ist
riesengroß. Ein Attentat, zweifellos in London erdacht und wahrscheinlich von bayerischen Legitimisten durchgeführt.
Der Führer diktiert ein Communique, das ich gleich schon in Nürnberg herausgebe. Wir überlegen ausgiebig wahrscheinliche
Täterschaft, Folgen und evtl. Maßnahmen. Wir halten das Volk vorläufig noch zurück, bis wir wenigstens wissen,
aus welcher Richtung der Anschlag kommt.
Der Führer und wir alle sind wie durch ein Wunder dem Tode entronnen. Wäre die Kundgebung wie alle Jahre vorher
programmgemäß durchgeführt worden, dann lebten wir alle nicht mehr. Der Führer hat im Gegensatz zu früher eine
halbe Stunde früher angefangen und zeitiger geschlossen.
Er steht doch unter dem Schutz des Allmächtigen. Er wird erst sterben, wenn seine Mission erfüllt ist.
[...]
11. November 1939
Gestern: Bürgerbräu-Attentat noch immer große Weltsensation. London und Paris versuchen uns nach Muster
Reichstagsbrand die Schuld zuzuschieben. Wir gehen energisch dagegen vor. Die Stimmung im Lande ist ausgezeichnet.
Von den Tätern fehlt noch jede Spur. Einige kleine Hinweise sind erst zu verzeichnen.
[...]
17. November 1939
[...] Die Hintergründe des Münchener Attentats liegen nun ziemlich klar: der eigentliche Attentäter ist eine
Kreatur von Otto Straßer. Der war während der entscheidenden Tage in der Schweiz. Nach dem Attentat ist er
gleich nach England, also offenbar zu seinen Brot- und Auftraggebern abgekratzt. Das Werk des secret service.
Wir halten alles noch geheim, um die Hintermänner nicht argwöhnisch zu machen.
[...]
19. November 1939
[...] Die Attentatsfrage von München wird weiter untersucht. Otto Straßer steht
mit dem secret service hinter allem.
[...]
9. April 1941
[...] Beim Führer: [...] Wir erzählen über Attentat Bürgerbräu.
Hintermänner noch immer nicht gefunden. Attentäter schweigt unentwegt. Führer meint, Otto Straßer.
Bei Reichstagsbrand tippt er auf Torgler als Urheber. Halte das für ausgeschlossen. Dazu ist
er viel zu bürgerlich. Für unsere Polizei und Justiz und ihren Spürsinn hat der Führer keine freundliche Anerkennung.
[...]
Quelle: Joseph Goebbels, Tagebücher 1924-1945
Joseph Goebbels (* 29. Oktober 1897 in Rheydt; 1. Mai 1945 in Berlin) war einer der
wichtigsten NS-Politiker im Dritten Reich. Neben zahlreichen anderen Staats- und Parteiämtern
leitete er das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda.
Goebbels führte seit Oktober 1923 regelmäßig Tagebuch. Seine nicht zur Veröffentlichung bestimmten,
lediglich als Materialsammlung für spätere Ausarbeitungen gedachten Aufzeichnungen und Diktate zählen
zu den wichtigsten Quellen der Geschichte des Dritten Reiches.
In der Endphase des Zweiten Weltkriegs ließ Goebbels seinen kompletten Original-Tagebuchbestand mit Hilfe eines
Vorläuferverfahrens der heutigen Mikrofichierung sichern. Rund 43.000 Seiten wurden verkleinert und auf
etwa 10 x 15 Zentimeter große Glasplatten fotokopiert.
1992 entdeckte Elke Fröhlich diese Glasplatten im ehemaligen Sonderarchiv in Moskau. Im Auftrag des Instituts
für Zeitgeschichte (IfZ) veröffentlichte sie die Goebbels-Tagebücher zwischen 1992 und 2005 in zwei Teilen
mit insgesamt 29 Bänden. - Die obigen Zitate stammen aus einer 1992 von Ralf Georg Reuth herausgegebenen und
1999 erweiterten 5-bändigen Edition wichtiger Teile der Goebbels-Tagebücher.