Hitlers Planung der Westoffensive

Johann Georg Elsers Sprengstoffattentat

Von Ralf Georg Reuth, Historiker


Ralf Georg Reuth  
Hitlers Vorhaben, noch 1939 Frankreich in einem weiteren Blitzkrieg niederzuringen, stieß jedoch, wie schon die Planungen gegen die Tschechoslowakei, auf den Widerstand des OKH, namentlich auf den des Oberbefehlshaber des Heeres, Brauchitsch, und seines Generalstabschefs Halder. Nicht zuletzt auch unter dem Eindruck der furchtbaren Erfahrungen des Ersten Weltkriegs wurde von den militärischen Fachleuten der Rüstungsstand der Wehrmacht für einen solchen Feldzug als unzureichend eingeschätzt. Da Hitler allen wohlbegründeten Argumenten der Heeresführung zum Trotz, die den Angriffsplan für einen "Wahnsinn" hielt, auf dem inzwischen für Mitte November angesetzten Termin bestand, waren die alten Kontakte zwischen den Widerständlern um Oster, Canaris und Carl Friedrich Goerdeler zu Halder rasch wiederbelebt. Dort sah man eher in Halder und nicht in dem schwachen Brauchitsch den militärischen Kopf, den man für einen Staatsstreich benötigte. Halder signalisierte sogar sein Mittun. Doch nachdem der am 5. November in die Reichskanzlei einbestellte Brauchitsch wegen der zögernden, ja widerstrebenden Haltung der Heeresführung einen Tobsuchtsanfall des zunehmend aggressiver werdenden Hitler über sich hatte ergehen lassen müssen, fühlte sich auch Halder ertappt und rückte wieder von den Verschwörern ab, in denen er sowieso eher "Wichtigtuer, Schwätzer und Psychopathen" sah. Der Generalstabschef zog es nun vor, abzuwarten, um im richtigen Augenblick auf der richtigen Seite zu stehen, freilich ohne selbst dabei Verantwortung zu übernehmen, weshalb er am 5. November Canaris die Aufforderung zukommen ließ, "er solle handeln".

Doch auch der Abwehrchef handelte nicht, sondern ein einfacher Möbeltischler namens Johann Georg Elser aus Königsbronn in Schwaben. Dessen Zeitzünder-Dynamitladung, die er im Münchner Bürgerbräukeller in unmittelbarer Nähe des Rednerpults deponiert hatte, detonierte am Abend des 9. November 1939 während der alljährlichen Kundgebung zur Erinnerung an die "November-Gefallenen". Die gewaltige Explosion und das einstürzende Deckengewölbe kostete acht Teilnehmer der braunen Kultveranstaltung das Leben und verletzte Dutzende teils schwer. Hitler stieß nichts zu, denn er hatte die Kundgebung eine halbe Stunde früher als geplant eröffnet und daher auch zeitiger verlassen. Hitler, der Otto Strasser hinter der Tat vermutete, deutete dies nach dem für ihn furchtbaren Rückschlag des britischen Kriegseintritts als Bestätigung, "dass die Vorsehung mich mein Ziel erreichen lassen will". Und auch für Goebbels stand nach den Zweifeln der vergangenen Monate fest: "Er steht doch unter dem Schutz des Allmächtigen. Er wird erst sterben, wenn seine Mission erfüllt ist."

Quelle: Ralf Georg Reuth, Hitler, Eine politische Biographie, München 2003


Ralf Georg Reuth, geboren 1952 in Oberfranken, studierte Geschichte sowie Germanistik und promovierte 1983 in Geschichte. Als Chefkorrespondent der "Welt am Sonntag", ist er für die Zeitgeschichte zuständig. Er ist Autor großer Biographien über Goebbels, Hitler und Rommel sowie Herausgeber der Goebbels-Tagebücher.

Im Gegensatz zu Joachim C. Fest, in dessen 1438 Seiten starker Hitler-Biographie von 1973 Georg Elser namentlich nicht erwähnt wird, widmet Reuth in seinem dreißig Jahre später erschienenen 685-seitigen Werk dem Bürgerbräuattentat immerhin einen kompletten Absatz, eine Seitenüberschrift und einen Eintrag zu Georg Elser im Personenregister. Ein Beispiel dafür, wie sich das Bild Georg Elsers mittlerweile geändert hat.

Im Vergleich dazu wird Elser in der bereits 1976 erschienenen Hitler-Biographie des Amerikaners John Toland sehr ausführlich behandelt. Noch ausführlicher geht Ian Kershaw in seiner Hitlerbiografie im Jahr 2000 auf Georg Elser ein.