Hitler wusste zwar nichts davon, dass die Militärs putschen wollten, Göring hatte ihn aber bereits vor Brauchitsch und Halder gewarnt: "Mein Führer, Sie müssen sich dieser Pechvögel entledigen." Karl Ernst Krafft, ein Schweizer Astrologe, den Himmlers Geheimdienst als Berater engagiert hatte, sprach eine deutlichere Warnung aus. In einem kürzlich von ihm vorgelegten Horoskop stand zu lesen, dass Hitler zwischen dem 7. und 10. November in Gefahr sei, einem Attentat zum Opfer zu fallen. Das Dokument wurde jedoch eiligst abgelegt, denn astrologische Spekulationen über das Schicksal des "Führers" waren unzulässig.
Als Hitler am Morgen des 8. November in München eintraf, um an der jährlichen Zusammenkunft der alten Kämpfer teilzunehmen, erhielt er auch von der Architektenfrau Troost eine Warnung. Sie fragte, warum er so wenig auf seine persönliche Sicherheit bedacht sei, denn er kam einzig von zwei Leibwächtern begleitet zu ihr ins Atelier. Er antwortete, man müsse in die Vorsehung Vertrauen haben und deutete dann auf seine Hosentasche. "Schauen Sie", sagte er zu ihr, "da trag ich nur meine Pistole bei mir, aber das nützt gar nichts, wenn mein Ende bestimmt sein soll, dann schützt nur dieses." Und deutete dabei auf die Stelle seines Herzens. "Eben dass man seiner inneren Stimme folgt und dass man an sein Schicksal glaubt. Und ich glaube zutiefst daran, dass mich das Schicksal für das deutsche Volk bestimmt hat. Und solange ich für dieses Volk notwendig bin und solange ich meine Aufgabe für das Leben meiner Nation trage, solange werde ich leben." Er sah sich offenbar als eine Art Christus. "Und wenn ich nicht mehr notwendig bin, und wenn meine Aufgabe erfüllt ist, dann wird man mich abberufen."
Man redete dann zwar von Architektur, Frau Troost entging aber nicht, dass Hitler unruhig war. "Ich muss das Programm für heute ändern", sagte er plötzlich und fügte noch etwas an, was so klang, als wolle er Schaub Bescheid sagen; er unternahm aber nichts, denn anderes hielt ihn in Atem. Er besuchte Unity Mitford, die sich in die Schläfe geschossen hatte und in einer Münchner Klinik lag.
Während der Festspiele in Bayreuth sagte Unity Mitford zu ihrer Schwester Diana: "Wenn es zum Krieg kommt, bringe ich mich um." Sie wolle nicht mehr leben, falls die beiden von ihr geliebten Länder zu den Waffen griffen. Als sie im Radio hörte, dass England den Krieg erklärt hatte, ging sie in den Englischen Garten und wollte sich mit einer kleinkalibrigen Pistole töten. Man brachte sie in die Klinik in der Nussbaumstraße, wo auf Hitlers Anordnung der berühmte Chirurg Professor Magnus sie behandelte. Er wollte die Kugel nicht entfernen, die noch in ihrer Schläfe steckte, weil das zu gefährlich sei. Über diesen Selbstmordversuch wurde nicht berichtet; die Eltern wurden durch den deutschen Botschafter in Bern diskret unterrichtet.
Als sie wieder bei Bewusstsein war, bat sie, heimreisen zu dürfen; Hitler versprach ihr, sie in einem Sonderzug in die Schweiz bringen zu lassen, sobald sie reisefähig sei.
Den größten Teil des Nachmittags arbeitete er an einer Rede, die er abends im Bürgerbräukeller halten wollte. Es sollte wieder eine Attacke auf England werden, im wesentlichen für deutsche Zuhörer aufbereitet. Der Saal des Bierkellers war bereits lustig mit Fähnchen dekoriert, und nachmittags wurden die Mikrofone aufgestellt und geprüft. Gegen Abend kam ein kleiner, bleicher Mann mit hoher Stirn und klaren blauen Augen herein, eine Schachtel unter dem Arm. Dies war der Kunsttischler Georg Elser, seit kurzem aus dem Konzentrationslager Dachau entlassen, wo er inhaftiert gewesen war, weil man ihn verdächtigte, mit den Kommunisten zu sympathisieren. Sein einziges Ziel war der Friede und er war hierher gekommen, um Hitler zu töten. In der Schachtel befand sich ein mit mehreren Stangen Dynamit gekoppelter Zeitzünder. Während Kellner und Parteifunktionäre letzte Vorbereitungen trafen, ging Elser unauffällig auf die Galerie und verbarg sich hinter dem Pfeiler, welcher die Rednertribüne nach hinten begrenzte. Am Tag zuvor hatte er mit einer Spezialsäge die Holzverkleidung des Pfeilers geöffnet, mehrere Scharniere angebracht und das Paneel wie ein Türchen zugeklappt. Schließlich wurde das Licht im Saal gelöscht, die Türen geschlossen. Elser wartete eine weitere halbe Stunde, legte dann die Bombe in den Pfeiler und stellte den Zeitzünder auf 23.20 Uhr. Hitler sollte um 22.00 Uhr mit seiner Rede beginnen, und die Explosion würde etwa in der Mitte seiner Ansprache stattfinden.
Es hatten schon mehrere Attentatsversuche auf Hitler stattgefunden. Einer, von dem er nichts wusste, war von einem enttäuschten SS-Mann geplant worden, der eine Bombe unter der Rednertribüne des Sportpalastes kurz vor Beginn einer Hitlerrede anbrachte. Wahrend der Ansprache überkam den enttäuschten SS-Mann plötzlich ein menschliches Rühren, und er ging auf die Toilette. Dort wurde er unabsichtlich von jemandem eingeschlossen und war daher nicht imstande, die Bombe zu zünden. Ein Freund dieses so kläglich gescheiterten Attentäters sagte: "Das war der Witz des Jahrhunderts. Die Weltgeschichte wäre anders verlaufen, hätte er nicht aufs Klosett gehen müssen."
Hitler ließ seinen jungen Ordonnanzoffizier Max Wünsche zu sich in die Wohnung am Prinzregentenplatz kommen. Er fragte ihn, ob man früher als geplant aus München abreisen könne. Wünsche versicherte, dies sei möglich, denn aus Sicherheitsgründen stünden dem Führer stets zwei Sonderzüge zur Verfügung.
Er veranlasste das Erforderliche.
Hitler wurde im Bürgerbräukeller mit solchem Jubel begrüßt, dass er erst zehn Minuten später mit seiner Ansprache beginnen konnte. Seine Zuhörer waren außer sich vor Wonne, als sie hörten, wie er die Engländer mit Beleidigungen und Schmähungen überschüttete. Es brauchte wenig, ihren Beifall zu wecken, und es gab so viele Unterbrechungen, dass der in der ersten Reihe sitzende Wünsche fürchtete, der Führer könnte den ersten Zug verpassen. Um 23.07 Uhr brachte Hitler ganz unerwartet seine Rede zu einem schnellen Ende. Wenige Meter entfernt, im Pfeiler, tickte Elsers Zeitzünder. Die Bombe sollte 13 Minuten später explodieren. Normalerweise schwatzte Hitler nach einer solchen Rede noch eine Weile mit den alten Kameraden, doch an diesem Abend verließ er eilig den Saal, ohne Hände zu schütteln, begleitet von Heß und mehreren Adjutanten. Der Wagen wartete bereits und Kempka fuhr auf schnellstem Wege zum Bahnhof. Kurz vor der Ankunft, genau 8 Minuten nachdem Hitler den Bürgerbräukeller verlassen hatte, hörte Wünsche in der Ferne eine Detonation und wunderte sich darüber. Falls Hitler sie auch gehört haben sollte, hat er das nicht erwähnt.
In dem auf die Explosion folgenden Durcheinander, dem Heulen der Sirenen von Überfallwagen und Krankenautos, kam plötzlich das Gerücht auf, der Krieg sei zu Ende. Das wäre vielleicht der Fall gewesen, hätte Hitler auf der Rednertribüne gestanden. Zu Tode gekommen wäre er mit Sicherheit. Die Bombe tötete acht Menschen und verletzte 63, darunter den Vater von Eva Braun. Seine Tochter kam, begleitet von ihrer besten Freundin Hertha Schneider, gerade noch zum Bahnhof, als der Zug Hitlers im Begriff war, abzufahren. An Bord herrschte heitere Stimmung. Niemand wusste von der Explosion und fast alle tranken Alkohol. Hitler, der einzige Abstinenzler, war sehr angeregt, doch war es Goebbels, der die Gesellschaft mit seinem beißenden Witz unterhielt.
Der Propagandaminister stieg in Nürnberg aus dem Zug, um mehrere Meldungen abzusenden und die neuesten Nachrichten einzusammeln. Er kehrte in das Abteil Hitlers zurück und berichtete mit bebender Stimme von der Explosion. Hitler glaubte anfangs, dies sei ein Witz, sah dann aber Goebbels bleiches Gesicht. Seine Miene wurde düster und maskenhaft. Schließlich sagte er mit vor Erregung heiserer Stimme: "Jetzt bin ich völlig ruhig! Dass ich den Bürgerbräukeller früher als sonst verlassen habe, ist eine Bestätigung, dass die Vorsehung mich mein Ziel erreichen lassen will."
Er verlangte sodann zu hören, wer verletzt worden sei und beauftragte Schaub, alles für diese Leute zu tun. Dann stellte er laut Betrachtungen darüber an, wer wohl die Verschwörer gewesen sein könnten. Das Attentat müsse, so folgerte er, von zwei bekannten englischen Agenten ausgeführt worden sein, die insgeheim mit einem Geheimagenten von Heydrich verhandelten, der sich als Angehöriger des OKW und Verschwörer des Widerstands ausgegeben hatte. Himmler verließ sofort den Zug und gab Befehl, die beiden Engländer in Holland festzunehmen.
Stevens und Best, so hießen die Engländer, wurden am nächsten Nachmittag in Venlo in eine Falle gelockt und nach Deutschland zum Verhör gebracht. Der wirkliche Bombenleger wurde einige Stunden später an der Schweizer Grenze festgenommen und nach München gebracht. Vor der Gestapo gestand Elser, die Bombe gelegt zu haben. Komplizen habe er nicht, seine Absicht sei gewesen, den Krieg zu beenden. Er schilderte, wie er die Verkleidung des Pfeilers angesägt und den Zeitzünder eingestellt hatte.
Hitler las den Bericht der Gestapo und war wütend, denn er fand lächerlich zu glauben. Elser könne ein Einzelgänger gewesen sein. Es lag doch wohl auf der Hand, dass es hier um eine Verschwörung ging, an d seine schlimmsten Feinde beteiligt sein mussten, die Engländer, die Juden, die Freimaurer und Otto Strasser.
Himmler persönlich versuchte aus dem Festgenommenen die Wahrheit herauszuprügeln. Ein Zeuge schilderte, dass er furchtbar fluchte und den gefesselten Elser mit Stiefeln trat. Der kleine Kunsttischler beharrte aber trotz Prügel auf seiner Aussage, und wiederholte sie auch unter Hypnose. Heydrich war danach überzeugt, Elser habe allein gehandelt, Hitler aber machte Himmler schwere Vorwürfe, weil er die wahren Verbrecher nicht entdeckt habe.
Vielleicht ist dies der Grund, der Himmler veranlasste, kein Gerichtsverfahren gegen Elser anzustrengen und ihn auch nicht hinrichten zu lassen. Er kam statt dessen als Vorzugsgefangener in ein Konzentrationslager. Elser konnte nämlich bestätigen, dass der SD tatsächlich den einzigen Täter gefunden hatte. Elser schmuggelte später einem Mitgefangenen, nämlich jenem Hauptmann Best, einen Brief zu, in dem er versicherte, im Oktober 1939 im KZ Dachau von zwei Männern, die er für Agenten Heydrichs hielt, bewogen worden zu sein, im Bürgerbräukeller eine Bombe zu legen, die gleich nach Hitlers Abgang explodieren und eine Gruppe von Verrätern töten sollte, die einen Putsch gegen den Führer planten. Elser erklärte sich bereit und wurde aus dem Lager entlassen, um die Bombe einzubauen. Bei der Berliner Gestapo sagten ihm die gleichen Agenten, er solle bei einem Strafverfahren gegen die englischen Agenten aussagen, dass Otto Strasser ihn mit Stevens und Best bekannt gemacht hätte, die ihn für den Einbau der Bombe bezahlt hätten. Best und Stevens wurden aber nie vor Gericht gestellt.
Die amtliche Sprachregelung hinsichtlich der Verschwörung war grotesk: Elser sei ein kommunistischer Abweichler, den der nationalsozialistische Abweichler Otto Strasser überredet habe, sich dem englischen Geheimdienst zur Verfügung zu stellen. Die Propaganda dichtete dieser Hauptverschwörung noch Unterverschwörungen an. So hieß es, die englischen Agenten hätten nicht nur in München eine Bombe zur Explosion gebracht, sie seien auch verantwortlich für politische Morde und geheimnisvolle Todesfälle, etwa für den Lord Kitcheners, des Erzherzogs Franz Ferdinand und des Königs Alexander von Jugoslawien.
Man benutzte diesen Attentatsversuch nicht nur dazu, den Hass gegen England zu schüren, sondern auch die Beliebtheit Hitlers zu steigern. Deutsche aus allen Gesellschaftsschichten beglückwünschten ihn zu seiner wunderbaren Errettung. Die katholische Presse des Reiches erklärte, der Führer sei durch das wunderbare Wirken der Vorsehung geschützt worden. Kardinal Faulhaber schickte ein Glückwunschtelegramm und ordnete ein Tedeum in der Frauenkirche von München an, "um der göttlichen Vorsehung im Namen der Diözese für die glückliche Errettung des Führers zu danken". Der Papst, der die Liquidierung Polens durch Deutschland immer noch nicht ausdrücklich verurteilt hatte, schickte seinen Nuntius mit einer persönlichen Botschaft. Hitler glaubte ihm aber nicht. "Der hätte lieber einen Erfolg des Attentats gesehen", sagte er beim Essen zu seinen Gästen und als Frank dem entgegenhielt, Pius der XII. sei stets ein guter Freund Deutschlands gewesen, fügte Hitler hinzu, "das mag schon sein, aber mein Freund ist er nicht."
Hitler bedankte sich bei seiner innereren Stimme und der Vorsehung dafür, dass er den Bierkeller vorzeitig verlassen hatte. Zu Hoffmann sagte er: Ich hatte ein so eigenartiges Gefühl, ich wusste selbst nicht, warum es mich wegtrieb aus dem Bürgerbräukeller." Ausländische Beobachter hatten aber andere Theorien. "Die meisten von uns riechen mal wieder einen Reichstagsbrand", notierte Shirer in seinem Tagebuch.
John Willard Toland (* 29.6.1912, 4.1.2004) war ein amerikanischer Schriftsteller und Historiker.
1971 erhielt er den Pulitzerpreis für sein Buch "The Rising Sun" über das japanische Kaiserreich während des 2. Weltkriegs.
Am bekanntesten wurde er jedoch durch seine 1976 erschienene 1133-seitige Hitler-Biographie. Sein lebendiger Stil neigt mehr
zur Erzählung, als zur Analyse und Wertung.
Es fällt auf, dass Toland - im Gegensatz zu Joachim C. Fest
und Ralf Georg Reuth -
sehr ausführlich auf Elsers Attentat eingeht. Allerdings leiden seine Ausführungen unter gewissen Unschärfen.
Beispiele:
Der über dreißig Nächte dauernde Einbau der Bombe ist auf zwei Nächte (Vorabend und Nacht davor) reduziert.
Der Explosionszeitpunkt ist mit 22:30 Uhr statt richtiger Weise 21:30 Uhr angegeben.
Es kann der Eindruck entstehen, die von Sigismund
Payne Best verbreiteten Gerüchte seien authentisch.
Noch ausführlicher und historisch richtig geht Ian Kershaw
in seiner Hitlerbiografie im Jahr 2000 auf Georg Elser ein.