Wurde Georg Elser von Himmler für die SS angeworben?
Von Anton Hoch, Historiker
Ein paar Jahre später meldete sich dann mit ähnlich ausführlichen Einzelangaben der ehemalige SS-Unterscharführer Walter Usslepp, der vom Frühjahr 1943 bis Frühjahr 1944 einer der Bewacher Elsers im Konzentrationslager Sachsenhausen war und der sich als dessen "wirklichen Vertrauten" bezeichnete. Elser soll ihn - nach seinen eigenen Angaben - sogar gebeten haben, sein Vermächtnis der Nachwelt zu übermitteln. 1956 hatte Usslepp seine Geschichte schon einmal unter der aufregenden Schlagzeile "Endlich die Wahrheit über das Hitler-Attentat im Münchner Bürgerbräukeller" in dem Wochenblatt "Heim und Welt" 11 unterbringen können. 1965 gelang es ihm, einen Mitarbeiter des Norddeutschen Rundfunks für seine Aussagen zu interessieren und seine These vom "bestellten Attentat" einer breiten Öffentlichkeit vorzutragen. Alles, was er sage, so versicherte er vor dem Bildschirm, sei die reine Wahrheit und könne von ihm jederzeit vor Gericht beschworen werden 12. [...]
Usslepp war 1943/44, wie bereits erwähnt, ein ganzes Jahr lang einer der Bewacher des Sonderhäftlings Elser im sogenannten Zellenbau des Konzentrationslagers Sachsenhausen. Soweit er nicht dienstfrei hatte, lebte er mit diesem, meist zwar zusammen mit einem weiteren SS-Bewacher, in einem Raum. Selbst wenn man die strengen Geheimhaltungsbestimmungen in Rechnung stellt, wird man nicht ausschließen können, dass er Gelegenheit hatte, mit Elser in ein gewisses persönliches Verhältnis zu gelangen und von ihm auch etwas zu erfahren, worüber er "befehlsgemäß" anderen gegenüber konsequent geschwiegen hätte. Weder Niemöller oder Rohde, Vermehren oder Lienau noch Captain Best besaßen annähernd so günstige Voraussetzungen dafür. Hält man sich noch vor Augen, mit welchem Nachdruck Usslepp in der Öffentlichkeit seine Aussage als ein Vermächtnis Elsers bezeichnet hat, so wird verständlich sein, warum wir die Mitteilungen Usslepps eingehender behandeln 23.
Über Elternhaus und Jugend weiß Usslepp im Gegensatz zu Best fast nichts zu berichten; darüber habe ihm Elser nichts erzählt. Er geht gleich in medias res. Als Angehöriger der Allgemeinen SS 24 sei Elser Himmler bei dessen Besuch in Königsbronn vorgestellt, von ihm kurze Zeit darauf nach Berlin eingeladen worden und dort auf Kosten der SS-Führung über ein Jahr geblieben. Der Krieg hatte bereits begonnen, als er von Hitler - in Anwesenheit Himmlers - in der Reichskanzlei den Auftrag erhalten habe, im Münchner Bürgerbräukeller eine Zeitzünderbombe einzubauen und mit ihr am 8. November ein Attentat auszulösen. Hitler - der natürlich unverletzt bleiben würde - sollte auf diese Weise in die Lage versetzt werden, noch vorhandene gegnerische Kräfte in Deutschland auszuschalten. Als Dank dafür sei ihm ein Haus und eine "Staatspension" in Aussicht gestellt worden. Befehlsgemäß sei Elser bald darauf nach München gefahren, mit der vom SD gelieferten Zeitzünderbombe und allem Zubehör im Gepäck. Die Zeit, auf welche die Uhr für die Explosion eingestellt werden solle, sei Elser genau auf die Sekunde angegeben worden 25.
Einige Jahre später freilich gab Usslepp an, Elser sei "auf alles allein gestellt" gewesen und habe die Bombe in verschiedenen kleinen Werkstätten selbst angefertigt 26. Zweimal sei er bei den nächtlichen Vorbereitungen im Bürgerbräukeller beinahe ertappt worden. Da er nach Abschluss seiner Arbeiten plötzlich Zweifel bekommen habe, ob die Auftraggeber ihr Versprechen einhalten würden, wollte er sich entgegen der ursprünglichen Weisung, nach dem Attentat in München zu bleiben, damit ihn die Gestapo zum Schein verhaften könne 27, nach der Schweiz absetzen, sei aber an der Grenze gestellt worden. Am 10. November habe man ihn direkt von Konstanz nach Berlin gebracht, wo man durch verschärfte Vernehmungen seine Aussage zu erreichen hoffte, dass er bei dem Attentat im Auftrage Londons gehandelt habe. Statt dessen habe er sich zunächst mit Nachdruck auf den Befehl Hitlers berufen, dann aber bald davon abgelassen, weil er die Aussichtslosigkeit seines Bemühens erkannte, und schließlich auch das ihm vorgelegte Protokoll unterschrieben, um endlich in Ruhe gelassen zu werden. Nach seiner Einlieferung in das Konzentrationslager sei man nur darauf bedacht gewesen, dass der "Sonderhäftling Hitlers" keine Dummheiten mache, d. h., dass er "sich nichts antut", denn er sollte ja nach dem Kriege in einem großen Schauprozess als Kronzeuge auftreten und in dem oben erwähnten Sinne aussagen. Dass obendrein - nach der Version Usslepps - die Gestapo nichts von dem Auftrag an Elser gewusst haben soll 28, wird am meisten überraschen.
11 | Jg. 1956, Nr. 14 u. Nr. 15 (IfZ, ZS/A-17, Nr. 46). | |
12 | NDR/Fernsehen "Panorama" Nr. 130 v. 26.7.1965, ferner ebenda, III. Programm/Politik v. 8.11.1965 mit anschließender Diskussion, (IfZ, ZS/A-17, Nr. 46). | |
23 | Außer den bereits genannten Äußerungen in "Heim und Welt" und im Fernsehen des NDR (s. Anm. 11 u. 12) liegen uns von U. noch das Wortprotokoll eines umfangreichen Interviews vor, das er dem Journalisten Ottmar Katz im Mai 1964 gegeben hat, sowie eine schriftliche Auskunft an das Institut v. 11.6.1965 (IfZ, ZS/A-17, Nr. 46). | |
24 | Nach Mitteilung U.'s an den Vf. war Elser angeblich nur "förderndes Mitglied der SS". | |
25 | "Heim und Welt", Jg. 1956, Nr. 14, S. 4. - Dem Bericht lag ein von Usslepp verfaßtes Manuskript zugrunde (Mitteilg. an Vf.). | |
26 | Mitteilg. an das IfZ v. 11. 6.1965 und im Fernsehen NDR-"Panorama" Nr. 130 v. 26.7.1965. Bemerkenswerterweise war diese Version, die von der früheren Aussage entscheidend abweicht, in der Zwischenzeit ausführlich in der Artikelserie "Zieh' dich aus, Georg Elser!" von Günter Peis in "Bild am Sonntag" v. 8.11.-27.12.1959 u. in einer zweiten "Der Attentäter" von Ernst Petry u. Günter Peis in der Illustrierten "Der Stern", Jg. 1924, Nr. 18-20, zu lesen gewesen. | |
27 | "Heim und Welt", a. a. 0.; aber auch hier gibt es eine zweite Version. Nach der Aussage U.'s in dem Interview mit 0. Katz habe Elser nämlich den Auftrag gehabt, nach Ausführung seiner Arbeit nach Berlin zurückzukehren und sich im Reichssicherheitshauptamt zu melden! | |
28 | Usslepp in "Panorama" v. 26.7.50. |
Quelle: Anton Hoch, Das Attentat auf Hitler im Münchener Bürgerbräukeller, in
Anton Hoch/Lothar Gruchmann,
Georg Elser: Der Attentäter aus dem Volke. Der Anschlag auf Hitler im Münchener Bürgerbräu 1939,
Frankfurt a.M. 1980, S. 10 f, S. 14 f
1. Fassung in:
Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 17. Jahrgang 1969, Heft 4, S. 383 ff
Anton Hoch, Dr. phil., Historiker, war bis 1978 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Leiter des Archivs des Instituts für Zeitgeschichte in München.
Anton Hoch erbrachte 1969 in seinem 37-seitigen Aufsatz, aus dem obige Auszüge stammen, den Nachweis der Alleintäterschaft Georg Elsers. Dies war insbesondere vor dem Hintergrund des 1964 von Lothar Gruchmann entdeckten Verhörprotokolls möglich. Usslepp, von dem eines der von Hoch widerlegten Gerüchte stammt, ist aus folgenden Gründen nicht glaubwürdig:
- Walter Usslepp stützt die Theorie, die Nationalsozialisten hätten das Bürgerbräuattentat selbst inszeniert. Bei Usslepp ist Georg Elser ein SS-Angehöriger, so wie auch bei Martin Niemöller, der das allerdings nur von Dritten gehört haben will, aber im Gegensatz zu Sigismund Payne Best, der von Elser persönlich erfahren haben will, er habe das Attentat unter Regie zweier unbekannter Personen als Insasse des KZ Dachau ausgeführt.
- Es gibt niemand sonst im Umfeld von Elser, der die SS-Mitgliedschaft bestätigen kann, im Gegenteil wird dies von
seinen Bekannten und Verwandten bestritten. Siehe auch:
Martin Niemöller: Briefwechsel mit Georg Elsers Mutter
Zeitzeugen weisen Usslepps Behauptungen zurück
Franz Lechner (SS-Mann im KZ Dachau) - Abgesehen davon, dass Usslepp sich selbst widerspricht, ist weder ein Besuch von Heinrich Himmler (Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei) in Königsbronn überliefert, noch besteht die Möglichkeit, dass Elser längere Zeit auf Kosten der SS-Führung in Berlin gewesen sein kann. Elsers Lebenslauf in den Jahren vor dem Attentat durch Akten und Zeitzeugen nahezu lückenlos nachgewiesen.
Walter Uslepp: Der Geheimnisvolle von Zelle 13
Zeitzeugen weisen Usslepps Behauptungen zurück
Sigismund Payne Best: Skizze KZ Sachsenhausen
SS-Dienstgrade