Höllenmaschine im Münchner Bürgerbräukeller - Geheimnisvoller 8. November 1939 - Angehörige und Bekannte aus dem
Kreis Heidenheim nehmen Stellung
Von Erwin Roth
[...] Seit dieser Zeit haben die verschiedensten Autoren - gegenwärtig ein ehemaliger SS-Angehöriger in
der Wochenzeitung
"Heim und Welt"
- die Hintergründe des Attentats aufzuhellen versucht. Georg Elsers
Angehörige und Bekannte im Kreis Heidenheim sind aber seit den Verhören durch die Geheime Staatspolizei und den
Sicherheitsdienst nie mehr über ihre Einstellung zu dem geheimnisvollen "Fall" befragt worden.
Den in manchen Punkten unzutreffenden Bericht des einstigen SS-Wachmannes Walter Usslepp, den wir kürzlich unter
allen Vorbehalten wiedergaben, nahm die "Heidenheimer Zeitung" zum Anlass, einige nach dem Attentat verhaftete
Personen in Königsbronn und Schnaitheim zu besuchen.
Sowohl die Angehörigen als auch der letzte Zimmervermieter und
der letzte Arbeitgeber, der in der fraglichen Zeit sogar "Hoheitsträger" der Partei war, wiesen entschieden
die Behauptung zurück, Georg Elser habe mit dem Nationalsozialismus sympathisiert und sei Mitglied der Allgemeinen SS gewesen.
Sie halten es auf Grund ihrer Erfahrungen auch für unwahrscheinlich, dass das Attentat im Bürgerbräukeller auf Hitlers
Wunsch und Himmlers Befehl inszeniert worden ist.
In dem schlichten Haus an der Wiesenstraße in Königsbronn trafen wir die Mutter, den Bruder, eine Schwester und die
Schwägerin Georg Elsers, die am 13. November 1939 - fünf Tage nach der Bombenexplosion - festgenommen und dann
wochenlang in Stuttgart und Berlin verhört wurden. Sie erfuhren damals nicht, was in den Zeitungen zu lesen war, sie
bekamen nur zu spüren, dass die Gestapo in ihnen Mitwisser der Attentatspläne sehen wollte. Mit reinem Gewissen konnten
sie nur immer wieder beteuern, dass Georg Elsers ein Einzelgänger gewesen sei, der in seinen freien Stunden gebastelt und
"getüftelt" habe.
Rückblickend fanden sie allerdings manche Erklärung für das sonderbare Verhalten des
eigenwilligen Mannes, der sich im Frühjahr 1939 von seinen nächsten Angehörigen distanzierte, nachdem er schon
vorher sein Zimmer im elterlichen Haus durch ein zusätzliches Schloss gesichert hatte. Erst die Gestapo fand in
seinem Kleiderschrank ein "Geheimfach", in dem einige Uhrenteile und Konstruktionszeichnungen versteckt lagen.
Deutlicher als 1939 können die nächsten Angehörigen heute bezeugen, dass Georg Elser ein Gegner des nationalsozialistischen
Regimes und vor allem des Krieges war. Der einstige Ortsgruppenleiter in Königsbronn kann sich noch genau daran erinnern,
dass sich Elser vor marschierenden Parteiorganisationen wiederholt aus dem Staube machte, nur um die Hakenkreuzfahne nicht
grüßen zu müssen. Mit der NSDAP wollte er nichts zu tun haben. Die Behauptung der Wochenzeitung "Heim und Welt",
Georg Elser sei der Allgemeinen SS für das "militärische Wandern und Singen" begeistert habe, ist frei erfunden.
Ebenso eindeutig kann die Feststellung widerlegt werden, dass Elser in einer Gemeinde Südwestdeutschlands Frau und Kind gehabt
habe. Die Angehörigen und der letzte Arbeitgeber wundern sich auch über das "Märchen", der Attentäter habe sich
vor seiner Tat ein Jahr lang in Berlin aufgehalten. Der Bruder stellt sogar fest, dass Georg vor der Verhaftung überhaupt
nie nach Berlin gekommen sei.
Hinter verschlossenen Türen
Wer diese Unrichtigkeiten in dem Bericht des einstigen SS-Wachmannes Walter Usslepp einwandfrei nachweisen kann, darf auch
den übrigen Angaben misstrauen. Georg Elsers Angehörige wissen heute, was der Grübler hinter verschlossenen Türen
"gebastelt" hat, warum er von einem Heidenheimer Betrieb, wo er die Zünderfertigung kennen gelernt hatte,
in einen Königsbronner Steinbruch ging, um sich mit Sprengstoffen vertraut zu machen.
Sie verstanden später auch das
große Interesse Georg Elsers an Spezialuhrwerken und Uhrgehäusen. Sie können deshalb nicht an Tatsachenberichte glauben,
in denen es heißt, der Sicherheitsdienst habe Elser in Berlin eine fertige Zeitzünderbombe übergeben und ihn damit nach
München geschickt. Viele Monate nach dem Attentat wurde sogar bekannt, dass Elser in Königsbronn und Schnaitheim bei
kleinen Probesprengungen beobachtet worden war.
Beweggründe des Attentäters
Der einzige Bruder [Leonhard Elser] glaubt die Beweggründe des Attentäters deuten zu können, wenn er berichtet: "Ich habe oft
genug gehört, wie Georg über Hitler und den damals drohenden Krieg geschimpft hat. Er war von der Richtigkeit seiner
Ansichten überzeugt. Er stand allein, hatte keine Familie und brauchte auf niemand Rücksicht zu nehmen. Die ganze
Freizeit widmete er nur seinen Ideen und dem Ziel, eine hundertprozentig sichere Zeitzünderbombe zu bauen.
Dass er sich von einer Beseitigung Hitlers eine bessere Zukunft versprach, glaube ich ohne jede Einschränkung. Hätte er im
Auftrag Hitlers und Himmlers gehandelt, wären wir Angehörigen sicher besser behandelt und wenigstens für die Haft
entschädigt worden. Meine Schwester und ihr Mann, die Georg in Stuttgart öfter besucht hatte, waren von November 1939
bis Februar 1940 in Berlin eingesperrt und mussten froh sein, als man sie überhaupt wieder laufen ließ."
[...]
Im Steinbruch
Der letzte Arbeitgeber Georg Elsers
[Georg Vollmer],
ein Steinbruchbesitzer in Königsbronn, wurde
nach dem Attentat über ein Jahr lang
in Haft gehalten. Ihm legte die Gestapo zur Last, er habe dem Attentäter Sprengstoff zur Verfügung gestellt. Obwohl er
das goldene Parteiabzeichen besaß, trat der Steinbruchbesitzer aus der NSDAP aus, weil er mit den Machenschaften der
Führung nicht mehr einverstanden war. In der Haft wurden ihm wiederholt Protokolle von Vernehmungen Georg Elsers vorgelegt,
die ihn veranlassen sollten, die Lieferung von Sprengstoff zu gestehen. Heute gibt dieser Mann folgenden aufschlussreichen
Bericht:
"Mitte April 1939 tauchte eines Morgens Georg Elser in meinem Steinbruch auf. Er bat den Kapo um eine
Aushilfsbeschäftigung, die nur ein paar Wochen dauern sollte. Er gab an, dass er Anfang Mai nach München gehe, wo er
in einer Kunsttischlerei Beschäftigung finden werde. Erst später kamen wir dahinter, dass Elser immer wieder krampfhaft
versucht hatte, dem Kapo bei den Sprengungen zu helfen. Als wir Elser auf 1. Mai zu einer Betriebsfeier einladen wollten,
erklärte er, er müsse drei Tage lang nach München, um dort mit einem Geschäftsmann über seine spätere Arbeitsstelle zu
verhandeln. Tatsächlich war Elser vom 1. bis 3. Mai verreist."
"Am 4. Mai 1939 fing er wieder im Steinbruch an, aber schon eine halbe Stunde später war er verunglückt. Ein
Arbeiter erzählte mir, er habe gesehen, wie sich Elser absichtlich einen Stein auf den Fuß fallen ließ. Bis Mitte
August wohnte Elser dann in Schnaitheim, wo er seinen Fuß ausheilte. Er kam im August noch einmal in mein Büro, um
eine Lohnnachzahlung abzuholen. Dabei ging er am Stock und hätte seinen Fuß verbunden. Von diesem Tag an haben wir
ihn in Königsbronn nicht mehr gesehen. Solange er in Schnaitheim war - das erfuhr ich bei der Vernehmung durch die
Gestapo - hat er dort eine Zeitzündung ausprobiert." [...]
Eine bedeutende Erfindung
Seinem letzten Hausherrn [Schmauder] in Schnaitheim antwortete Georg Elser auf wiederholte Fragen nach den eifrigen Bastelarbeiten
an der Werkbank im Keller, er werde eine bedeutende Erfindung machen. Nachdem er bereits 1938 als freundlicher und
zuvorkommender Mensch ohne jede Belohnung am Aushub des Hauses mitgearbeitet hatte, zog Elser im Frühjahr 1939 nach
einer Auseinandersetzung mit seinen Angehörigen nach Schnaitheim. Damals war er noch in einem Heidenheimer Betrieb
tätig, von dem er sich bald ohne sichtlichen Grund löste. Eines Tages erklärte er, so berichtet der Vermieter, auf die
Frage, warum er denn seine gute Stelle aufgegeben habe, er wolle jetzt einmal im Freien in einem Steinbruch arbeiten.
Sicher wollte er aber noch Sprengpulver besorgen.
"Wären Hitler und Himmler die Auftraggeber gewesen", meint der Schnaitheimer Hausbesitzer, der sich wie seine
Frau und seine Töchter nur ungern an die Gestapo-Verhöre erinnert, "dann hätte Elser nicht wegen des Sprengstoffes
seinen Arbeitsplatz wechseln müssen. Dann hätte er auch nicht Tag und Nacht im Keller an seinen Apparaten herumbasteln
brauchen. Und dass er kein Freund des Nationalsozialismus war, hat er mehr als einmal bewiesen. Er hat zwar nie von sich
aus geschimpft. Aber braune Uniformen waren ihm ein Dorn im Auge, und Nachrichten des Deutschlandsenders haben ihn oft
gereizt. Viel lieber hörte er ausländische Stationen, die gegen Kriegsvorbereitungen der Nationalsozialisten Stellung
nahmen.
Dass Elser eine fertige Zeitzünderbombe vom SD erhalten hat, ist unmöglich. Er hat sich doch alle Einzelteile,
wie später herauskam, mühselig besorgt. Der Gestapo hat er auch gestanden, dass in Schnaitheim, als niemand zu Hause war,
sogar einmal eine kleine Ladung explodiert sei. Bei der ersten Hausdurchsuchung wurde tatsächlich ein Sack voller
verbrannter Hobelspäne und zerfetzter Metallteile auf der Bühne gefunden."
Mit doppeltem Boden
"Erst nach dem Attentat wurde uns manches klar," erzählt der Schnaitheimer Hausherr Georg Elsers weiter.
"Einmal kam meine Tochter dazu, als er in einen Reisekoffer einen doppelten Boden einbaute. Auf eine entsprechende
Frage sagte er nur, dass man auf Reisen vor fremden Leuten vorsichtig sein müsse. In dieser Zeit war er wiederholt,
trotz seines verletzten Fußes, einige Tage fort.
Ein anderes Mal wurde er ertappt, als er nach einem Schlossabdruck
einen Schlüssel anfertigte. Hier war seine Erklärung, dass das Schloss ein Teil seiner Erfindung sei. In Wirklichkeit
wird es sich um das Schloss an der Sprengstoffkammer des Königsbronner Steinbruchs gehandelt haben. Der Sprengmeister
wurde ja später auch eingesperrt.
Und um sein Interesse an Spezialuhren zu tarnen, bastelte Elser verschiedene
Uhrengehäuse, unter anderem für eine Standuhr, die heute noch in meiner Wohnung steht."
Erst Mitte August 1939 zog Georg Elser von Schnaitheim nach München. Bei seinem Zimmervermieter ließ er einige
verschlossene Kisten zurück, die an verschiedene Adressen verschickt werden mussten. Eine davon ging an die Schwester
in Stuttgart, die wegen des Inhalts mehrere Monate in Haft gehalten wurde. [...]
Quelle: Heidenheimer Zeitung 21.4.1956
Erwin Roth wurde 1923 in Bellamont geboren und kam 1936 nach Heidenheim. Nach dem Abitur war er von 1942
bis Kriegsende Soldat, wurde mehrfach verwundet und verlor sein rechtes Auge.
Er studierte an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Dillingen.
1948 wurde er Redakteur bei der neu gegründeten Heidenheimer Zeitung. Er war Ressortleiter
u.a. für überregionale Politik und wurde schließlich Chefredakteur des Lokalteils.
1958 wechselte er zu einer Bonner Presseagentur.
1963 trat er in den Auswärtigen Dienst ein. Er wurde Presse- und Kultur-Attaché an der Deutschen Botschaft in Amman.
In seine Nahost-Zeit fallen Ereignisse wie die Gründung der PLO (Roth als einziger westlicher Beobachter zugelassen) und
der Sechs-Tage-Krieg. 1968, als die Russen in der CSSR einmarschierten, wurde Roth nach Wien versetzt. Roth tat unter insgesamt
sechs Bundeskanzlern Dienst. Im Leitungsstab des Auswärtigen Amtes in Bonn schrieb er für Genscher Texte, Korrespondenzen und Reden. Seine diplomatische
Arbeit wurde 1976 mit dem Bundesverdienstkreuz gewürdigt.
1956 griff Roth die Artikelserie der in Hannover erscheinenden Wochenzeitung
"Heim und Welt" zu
den Behauptungen
des SS-Unterscharführer Walter Usslepp auf und recherchierte vor Ort in Königsbronn und in Schnaitheim.
In einem groß aufgemachten, ganzseitigen Bericht in der Samstagsausgabe der
Heidenheimer Zeitung vom 21.4.1956 berichtete er über Aussagen von Zeitzeugen, die Elser kannten.
Erwin Roth ist ein Pionier der Georg-Elser-Forschung, der als erster nach 1945 den Fall Elser aufgearbeitet hat.
Mit seiner Methode der Befragen von Zeitzeugen (sogenannte "oral history") deckte er Zusammenhänge auf, die sich später nach Entdeckung der
Verhörprotokolle
bestätigten. Der Zeitungsbericht aus dem Jahr 1956 wird in der
Georg Elser Gedenkstätte
in Königsbronn ausgestellt.