Zum Artikel von Peter Steinbach: Die Verantwortung, Hitler zu töten, in: Tribüne 4/2009
VON LOTHAR FRITZE
Aus Platzgründen ist es nicht möglich, die vielen Fehldeutungen und argumentationslogischen Schnitzer
in Peter Steinbachs "Tribüne"-Artikel (Heft 4/2009) im Einzelnen aufzuführen. Eine ausführliche Entgegnung
findet der Leser in "Aufklärung und Kritik", Heft 2/2010.
Wie schon bei anderen Gelegenheiten hat es Steinbach erneut fertiggebracht, die Hauptgesichtspunkte meiner
Kritik am Elser'schen Attentat zu unterschlagen. Statt sich mit den vorgebrachten Bedenken, die sich auf die
Planung und Ausführung des Widerstandsaktes sowie auf Elsers Urteils- und Willensbildung beziehen, auseinanderzusetzen,
zündet Steinbach Nebelkerzen. Es gehört zu seiner Skandalierungsstrategie, wenn er dem Leser weiszumachen
versucht, ich rückte Elser in die Nähe des Terrorismus.
In seiner häufig unpräzisen Ausdrucksweise schreibt er:
"Es drängte sich der Eindruck auf, Elsers Tat werde in Analogie zum Handeln der RAF gedeutet und verurteilt." (S. 103)
Tatsächlich jedoch habe ich immer unterstellt, dass Hitler getötet werden durfte. Insoweit habe ich den Anschlag Elsers -
und zwar im Unterschied zu den Anschlägen der RAF - gerade nicht verurteilt. Ich habe allerdings auf die Gefahren
hingewiesen, die sich aus nicht gerechtfertigten Würdigungen ergeben. Elsers Handlungsweise
kann nur zum Teil als vorbildlich gelten.
Steinbach hat sich vergaloppiert. Mit volkspädagogischem Eifer hat er die problematischen Seiten des Elser'schen
Vorgehens komplett ausgeblendet und Elser zu einem makellosen Helden stilisiert. Es ist gänzlich unverständlich, wenn
er nunmehr bestreitet (S. 103/4), mit der (durchgängig) positiven Würdigung von Elsers Anschlag, auch den
Versuch zu verbinden, ein Vorbild zu schaffen (vgl. S. 103). Die Schaffung eines Vorbildes ergibt sich als Nebenwirkung
einer jeden positiven Würdigung. Nach seinen jahrelangen Bemühungen, Elser als Vorbild aufzubauen, hat Steinbach
damit in Wirklichkeit den Rückzug angetreten.
Mittlerweile ist es Allgemeingut geworden, dass Elsers Vorgehen "Schwächen" aufwies und die "Schwächen und
Probleme der Tatausführung sowie die Opfer ebenfalls erwähnt werden [sollten]" (wie Rainer Blasius
in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 6. November 2009 festhielt). Steinbach allerdings, außerstande,
auf sachlich vorgetragene Kritik sachlich zu antworten, tritt verbal eine Vorwärts-Verteidigung an, die
auf Diskreditierung angelegt ist. Dabei schrickt er selbst vor dem gezielten Rufmord nicht zurück, denn um
nichts anderes handelt es sich, wenn einem Autor nachgesagt wird, dass es ihm "offensichtlich schwer [fällt]
anzuerkennen, dass sich Elser gegen ein verbrecherisches Regime wandte" (S. 103).
Steinbach geht über falsche Darstellungen der gegnerischen Position weit hinaus. Mehrfach präsentiert er
Auffassungen von Dritten als Auffassungen seines Gegners. So heißt es auf Seite 104: "Fritze fällt weit
in die fünfziger Jahre zurück, wenn er behauptet, 'nur Persönlichkeiten in verantwortlichen Positionen, also
Amtsträger, könnten die nötige Kenntnis der Sachlage überhaupt haben.' (Lothar Fritze, Legitimer Widerstand?
Der Fall Elser, Berlin 2009, S. 9)" Diese Behauptung habe ich nie aufgestellt. Vielmehr handelt es sich hierbei,
wie aus dem Buch eindeutig hervorgeht, um eine Auffassung von Walter Künneth, die von mir lediglich referiert
wird (und zwar mit einem entsprechenden Verweis auf Künneth) und von der ich mich ausdrücklich absetze.
Steinbach versucht, Emotionen zu schüren. Wenn sich mein Buch, wie er behauptet, "allgemein gegen die
Arbeit an NS-Gedenkstätten wendet" (S. 106), dann wird dafür niemand Verständnis aufbringen. Nach dieser
Zurichtung seines Gegners kann er endlich zum großen Schlag ausholen: diesen als "unbelehrbar" bezeichnen, Zweifel
äußern, ob er geeignet ist, Lehrer auszubilden (S. 107), und damit subkutan eine Art Berufsverbot nahelegen.
Und nebenbei gesagt: Die Langfassung meines Frankfurter Rundschau-Artikels vom 8. November 1999 erschien nicht
im "Jahrbuch für Extremismusforschung", wie Steinbach meint (S. 103), sondern im "Jahrbuch Extremismus & Demokratie".
Bei dem zugrunde liegenden Vortrag handelte es sich nicht um meinen "Habilitationsvortrag" (ebd.), sondern um
meine Antrittsvorlesung als Privatdozent. Der Vortrag wurde nicht zum 50. (ebd.), sondern zum 60. Jahrestag
von Elsers Anschlag gehalten. Mein Buch erschien nicht zum 60. (ebd.), sondern zum 70. Jahrestag. Der
Anschlag selbst wurde nicht am 9. (S. 102), sondern am 8. November 1939 verübt. Dass neben Paul Karl Schmidt
alias Paul Carell auch "Rudi Carell" auf eine Karriere als NS-Kriegsberichterstatter (S. 102) zurückblicken
konnte, war bisher genauso unbekannt wie der Umstand, dass Elser ein Buch geschrieben hat (S. 104).
(Diese Aufzählung von Unrichtigkeiten ist nicht vollständig.)
Tribüne 2/2010, Frankfurt 2010, S. 199 f
Prof. Dr. phil. habil. Lothar Fritze, Jahrgang 1954, ist wissenschaftlicher
Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung
an der TU Dresden. Er lehrt als außerplanmäßiger Professor
an der TU Chemnitz.