Zum Artikel von Peter Steinbach: Die Verantwortung, Hitler zu töten, in: Tribüne 4/2009
VON STEFAN SCHEIL
In der Tribüne 4/2009 hat Peter Steinbach einen Beitrag mit dem Titel: " Die Verantwortung, Hitler zu töten -
die erneute Diskussion um Johann Georg Elser" veröffentlicht. Dieser Beitrag zitiert einen Beitrag von mir
für die Wochenzeitung "Junge Freiheit". Steinbach führt einleitend aus, ich sei "ein auch
in der 'Frankfurter Allgemeinen' schreibender Autor", der "die deutsche Verantwortung für den
Weltkrieg bezweifelt" und davon überzeugt (ist), dass Deutschland nur einen Präventivkrieg führte."
Der Text führt mich ohne weiteres als politisierten "Autor" mit "Meinung" ein, weshalb der
Hinweis angemessen scheint, dass ich in Karlsruhe als Historiker mit einer Arbeit über politischen Antisemitismus
promoviert habe, wie Herr Steinbach aus seiner Zeit dort selbst weiß. Es ist in der Tat das Ergebnis meiner
Forschung über das Dritte Reich und seine Außenpolitik, dass die deutsche Verantwortung für den Krieg von
1939 differenzierter gesehen werden muss, als er dies zuzugestehen bereit ist.
Ich habe aber zugleich keinen Zweifel gelassen, dass die 1933 vom Zaun gebrochene antisemitische Politik des NS-Regimes
ein entscheidendes Element auf dem Weg zum Krieg dargestellt hat und dass sie im Völkermord an den
europäischen Juden gipfelte. Ich verweise dazu auf meine jüngste Monographie
"Churchill, Hitler und der Antisemitismus" (2. Aufl., Berlin 2009), sowie auf meinen
Artikel in der FAZ vom 16.12.2009 "Hitlers Krieg und der Antisemitismus". (S. N3)
Herr Steinbachs Aussage über meine Veröffentlichungen und seine weiteren Andeutungen sind unzutreffend.
Vor diesem Hintergrund eine Anmerkung, warum ich auf die fehlende Debatte über Lothar Fritzes Veröffentlichung
hingewiesen habe. Steinbach schreibt Elser zu, den Charakter des NS-Regimes als "abgrundtief verbrecherisch"
erkannt zu haben, "dem die meisten Zeitgenossen erlegen waren". Mit dieser von der aktuellen
Gedenkpraxis leider oft transportierten Einschätzung nimmt er die Selbstinszenierung des Regimes als Ausdruck
des einigen Volkswillens als Maßstab und baut eine Alternative zwischen zwei Grundhaltungen auf, die so
nicht bestanden hat. Weder der Druck noch der offenbar für viele vorhandene Reiz des Regimes zwangen 1938
zu einer Wahl zwischen den Alternativen der Ergebenheit und der Absicht, die Staatsführung in die Luft
zu sprengen.
Das konnte selbst für politisch Verfolgte und Betroffene der Rassegesetzgebung gelten. Ich darf als Beispiel
die Schilderung von Hans Lamm zitieren, der im Sommer 1938 emigrierte und nach 1945 unter anderem
Kulturdezernent des Zentralrats der Juden gewesen ist:
"Von 1933 bis zu meiner Emigration lebte ich, ich würde nicht gerade sagen glücklich, aber ich würde
auch nicht sagen unglücklich. Man lebte eben und schrieb und studierte, ohne zu merken, dass man auf
einem Vulkan saß." (zit. n. Andrea Sinn: "Und ich lebe wieder an der Isar", München 2008, S. 26)
Für solche Eindrücke aus der Bewusstseinslandschaft der 30er Jahre gibt es zahllose Beispiele anderer Deutscher.
Steinbach wirft pauschal "allen Zeitgenossen" Versagen vor und vertritt die Ansicht, Elser
habe die weitere Entwicklung "vorausgesehen", namentlich Krieg und Massenmord. Das ist eine
Mutmaßung.
Zum mindesten ist Vorsicht im Urteil über Elsers Motive angesichts der Quellenlage angebracht.
Elsers Tat kann nur anhand der Tatsachen bewertet werden, die ihm bekannt sein konnten, die sich
quellengestützt bestätigen lassen und nur vor dem Hintergrund der zwangsläufigen
Offenheit der weiteren Entwicklung.
Quelle: Tribüne 1/2010, Frankfurt 2010, S. 207 f
Dr. Stefan Scheil M.A.,
Historiker, 1963 in Mannheim geboren, Studium der Geschichte und Philosophie
in Mannheim und Karlsruhe, Promotion 1997 in Karlsruhe. Er ist Autor zahlreicher Buchveröffentlichungen
zur Vorgeschichte und Eskalation des Zweiten Weltkriegs, sowie zum politischen Antisemitismus in
Deutschland, Träger des Gerhard-Löwenthal-Preises für Journalisten 2005. Seine Website:
http://www.symposion.org