Georg Elser: Berliner Verhörprotokoll
1.Tag – Sonntag, 19. November 1939
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Abschrift.
Berlin, den 19.11.1939.
Vorgeführt erscheint
Elser, Johann Georg,
geb. 4.1.03 Hermaringen/Württemberg, Oberamt Heidenheim, ledig, Schreiner, R.D., zuletzt wohnhaft München, Türkenstraße 94/II bei Lehmann, Sohn der Holzhändlerseheleute Ludwig und Maria Elser geb. Müller, in Königsbronn bei Heidenheim wohnhaft, und gibt folgendes an:
A) Zur Person
Ich wurde am 4.1.1903 in Hermaringen als der außereheliche Sohn der Maria Müller geboren, die seinerzeit bei ihren Eltern, die dort eine Wagnerei und einen landwirtschaftlichen Betrieb innehatten, wohnhaft war. Ein Jahr später hat meine Mutter den Kindsvater Ludwig Elser geheiratet. Durch diese Eheschließung wurde ich legitimiert. Mein Vater Ludwig Elser war in Königsbronn wohnhaft. Er hatte dort ein eigenes Anwesen und hat sich ferner durch Holzfahren und land-
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wirtschaftliche Arbeiten seinen Lebensunterhalt verdient.
Nach der Eheschließung hat meine Mutter bei ihrem Ehemann in Königsbronn gewohnt, ich selbst bin mit meiner Mutter ebenfalls dorthin übersiedelt. In Königsbronn war ich ununterbrochen bis zum 15.3.1925 wohnhaft. Meine ganzen Jugendjahre habe ich im Elternhaus verlebt. Bei meinen Großeltern mütterlicherseits in Hermaringen war ich vielleicht im Jahr einmal mit meinen Eltern auf Besuch. Zu meinen Großeltern väterlicherseits, die in Königsbronn wohnten, kam ich öfter sonntags. Ich durfte meine Eltern zu solchen Besuchen begleiten. Im Lebensalter von 4 Jahren habe ich meine Großeltern in Königsbronn schon allein besucht.
Das nächste Kind meiner Eltern, meine Schwester Friederike, ist 1904 (das genaue Datum weiß ich nicht) geboren. Ob meine Eltern damals schon verheiratet waren oder kurz bevor standen, weiß ich nicht. Meine weiteren Geschwister, insgesamt 4, wurden später geboren. Ungefähr 3 Jahre nach mir, also vielleicht 1906 (genau weiß ich das nicht), wurde meine Schwester Marie geboren. Dann kam meine Schwester Anna, vielleicht 1908 (?). Als letzter bis heute kam mein Bruder Leonhard, der 10 Jahre jünger ist als ich, also ungefähr 1913 geboren.
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In ihren Jugendjahren, bis sie später in die Fremde gingen, waren auch meine Geschwister immer daheim.
Nicht jeden Tag, aber oft kam mein Vater sehr spät nach Hause. Soviel ich weiß, war er oft im Wirtshaus. Meine Mutter hat uns Kindern erzählt, dass sie vom Vater oft geschlagen werde. Gesehen habe ich es allerdings nicht. Ob mein Vater die Mutter nur mit der Hand oder mit einem Stuhl, einer Laterne oder mit sonst etwas geschlagen hat, weiß ich nicht. Es kam vor, dass wir vom Vater, wenn er nachts nach Hause kam, noch zu irgendetwas, z. B. Stiefelausziehen, aus dem Bett geholt wurden. Ich kann mich aber nicht erinnern, und ich glaube es auch nicht, dass er uns nachts im Rausch einmal geschlagen hätte. Von meinem Vater habe ich überhaupt nur Schläge bekommen und dies oft, wenn ich etwas angestellt hatte. Auch von meiner Mutter habe ich gelegentlich, nicht oft, Schläge bekommen. Aufgewacht sind wir nachts immer, wenn mein Vater nachts im Rausch nach Hause kam. Beim Betreten des Hauses hat er immer schon geschimpft. Es war nicht nur so, dass mein Vater etwa nur samstags betrunken war, es kam auch wochentags, ganz unterschiedlich, vor. Soviel ich weiß, hat er lediglich Bier und Wein getrunken. Schnaps glaube ich wenig. Dass mein Vater meiner Mutter mal versprochen hätte, nicht mehr
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zu trinken, kann ich mich nicht erinnern, gehört zu haben.
Meine Mutter ist nie ausgegangen. Auch ist mir nicht bekannt, dass sie Alkohol zu sich genommen hat.
Von meinen Großeltern weiß ich nicht, ob sie getrunken haben.
Ich kann mich daran erinnern, dass ich als kleiner Junge in einer kleinen Kammer neben dem elterlichen Schlafzimmer geschlafen habe. Soweit mein Gedächtnis reicht, d. h. bis in die frühe Jugend, kann ich mich nicht erinnern, mit jemand von meinen Geschwistern in einem Bett zusammen geschlafen zu haben. Ich glaube, ich hatte immer mein eigenes Bett allein.
Mein Vater hat sich in der Landwirtschaft wenig betätigt, er hat zuerst Holz geführt und dann später einen eigenen Holzhandel angefangen. Die Hauptlast der Landwirtschaft lag auf meiner Mutter. Ich und meine Geschwister mussten sehr früh im Stall, auf dem Feld und im Haus mithelfen. Ich als der Älteste war auch immer die Kindsmagd für meine jüngeren Geschwister. In der Landwirtschaft halfen meiner Mutter zeitweise Dienstboten. So kann ich mich daran erinnern, dass wir ungefähr ein Jahr lang einen
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Knecht und später eine Magd hatten. Ich glaube, dass die Magd längere Zeit bei meinen Eltern beschäftigt war. Ob die Magd noch im Hause war, als ich schon zur Schule ging, weiß ich nicht mehr.
[Volksschule in Königsbronn (1910 - 1917)]
Mit 7 Jahren kam ich in Königsbronn in die Schule. Meine ganze Schulzeit verbrachte ich auch dort. In der ersten Zeit hatten wir einen Lehrer namens Böhmler, der mir noch als solider Mann in Erinnerung ist, d. h. ich glaube nicht, dass er getrunken hat oder uns ungerecht behandelt hätte. Schläge gab es, soweit ich glaube, immer nur dann, wenn es notwendig war. Ich habe insgesamt 7 Klassen durchgemacht. Immer waren die Buben und Mädel gemischt. Später haben die Lehrer öfter gewechselt. Von der ersten bis zur dritten Klasse hatten wir Böhmler, dann kam ein Lehrer Hermann für die vierte und fünfte Klasse. In diesen Klassen unterrichtete auch noch ein Lehrer Sarkiss, der sich vielleicht auch etwas anders geschrieben hat. In der sechsten und siebenten Klasse unterrichtete der Oberlehrer Kreuter. Ich war ein mittelmäßiger Schüler, d. h. im Zeichnen, Schönschreiben und Rechnen hatte ich immer gute Noten, im Diktat, Aufsatz und anderen Fächern war ich weniger gut. In Religion hatte ich befriedigend. Schläge bekam ich nicht mehr als die an-
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deren und immer nur dann, wenn ich meine Hausaufgaben nicht richtig gelernt hatte. Ebenso wie Böhmler waren die anderen Lehrer auch gerecht, mit Ausnahme von Hermann, an den ich mich erinnern kann, dass er zwischendurch mal die ganze Klasse einfach verprügelt hat. Gern ging ich in die Schule, wenn im Rechnen, Zeichnen oder Schönschreiben unterrichtet wurde. Sonst war ich vom Schulbesuch nicht begeistert. Soviel mir erinnerlich ist, habe ich aber nie die Schule geschwänzt. Ich fehlte lediglich, wenn ich erkrankt war. In der vierten und fünften Klasse habe ich für gutes Zeichnen ein Schulheft und in derselben Zeit einmal für gutes Rechnen 10 Pfennige meiner Erinnerung nach als Belobigung vom Lehrer bekommen. Soviel mir noch in Erinnerung ist, musste ich in der sechsten oder siebenten Klasse einmal nachsitzen, da ich meine Religionsaufgaben nicht gelernt hatte. Die Strafe wurde mir von dem Pfarrer zugeteilt, der den Religionsunterricht erteilt hat. Es war Pfarrer Hauser, der während meiner ganzen Schulzeit in Religion unterrichtet hat.
Soviel ich mich erinnern kann, haben sich meine Eltern um die Zeugnisse, die ich aus der Schule heimbrachte, wenig gekümmert. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie mal gefragt hätten, ob ich gute oder schlechte Zeugnisse
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hätte. Zu Hause haben sie mir beide allerdings immer etwas geholfen. Dadurch, dass ich bei den landwirtschaftlichen Arbeiten zu Hause mithelfen musste, wurde mir das Lernen ziemlich erschwert. In der Volksschule hatten wir sehr gute und auch sehr schlechte Schulkinder. Eine Klasse setzte sich aus durchschnittlich 30 Kindern zusammen. Die Lehrer waren sehr bestrebt, uns das nötige Wissen beizubringen. In den Fächern, in denen meine Leistungen schwach waren, habe ich wohl auch zu Hause gelernt. Ich habe mich dagegen nicht bemüht, die Leistungen durch eigenen Fleiß zu verbessern.
Meine guten Leistungen in Schönschreiben, Rechnen und Zeichnen sind auf das große Interesse zurückzuführen, das ich schon oft als Kind für diese Fächer zeigte.
[Landwirtschaftsgehilfe bei den Eltern in Königsbronn (Frühjahr - Herbst 1917)]
Im Frühjahr 1917 kam ich aus der Volksschule. Bis zum Herbst 1917 habe ich dann meinem Vater beim Holzfahren und meiner Mutter in der Landwirtschaft geholfen. Ich war beim Auf- und Abladen des Holzes behilflich. In der Landwirtschaft verrichtete ich hauptsächlich Feldarbeiten, ferner hatte ich im Stall das Vieh zu füttern. Für diese Arbeiten wurde ich nicht entlohnt, auch habe ich von meinen Eltern keinerlei Taschengeld erhalten. Ich erhielt lediglich meine Verpflegung.
Ebenso wenig wie ich sind auch meine Ge-
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schwister in der Schule nie sitzen geblieben. Sie waren meinem Denken nach auch mittelmäßig in ihren Leistungen. Sie haben auch 7 Klassen der Volksschule in Königsbronn durchlaufen. Mir ist nicht erinnerlich, ob meine Geschwister ähnlich wie ich besondere Lieblingsfächer hatten.
Wenn ich gefragt werde, ob wir zu Hause während unserer Jugendzeit gut oder schlecht behandelt worden sind, immer genug zu essen bekommen haben usw., so kann ich behaupten, dass wir mit Ausnahme der Kriegszeit nie Not gelitten haben. Das Haus, in dem wir wohnten, gehörte meinen Eltern. Schulden waren allerdings auf diesem Haus, und auch auf dem neuen Haus, das mein Vater inzwischen nach Verkauf des ersten Hauses gekauft hat, befinden sich Schulden. Die Schulden betragen heute noch ungefähr 8000,- RM. Das erste Haus, in dem meine Eltern nach ihrer Heirat gewohnt haben, hatte, soviel ich weiß, mein Großvater seinem Sohn, meinem Vater, damals gekauft.
Während des Krieges war es zu Hause etwas knapp. Trotz unserer Landwirtschaft mussten wir am Ende eines Jahres meistens ziemlich hungern, weil wir alles abgeben mussten und nur ein bestimmtes Quantum, das ein Jahr lang zum Leben für die Familie ausreichen
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musste, behalten durften. Während der ersten Kriegszeit, wie lange weiß ich nicht mehr, war mein Vater mit unseren Pferden und dem Wagen nach Ulm zur Dienstleistung bei Festungsbauarbeiten eingezogen. Als diese Arbeit beendigt war, kam er nach Hause und wurde während des ganzen Krieges nicht mehr im Heer oder sonst wie verwendet. Seit der Rückkehr vom Militär hat mein Vater Königsbronn nicht mehr verlassen. Er war meiner Erinnerung nach auch nicht verreist.
Meine Mutter war lediglich einmal, es dürfte dies im Jahre 1910 gewesen sein, eine Woche von Königsbronn weg. Sie hatte Königsbronn verlassen, nachdem sie von meinem Vater wieder einmal geschlagen worden war. Der Anlass hierzu ist mir nicht mehr erinnerlich. Sie hat sich während dieser Woche mit uns Kindern in Hermaringen bei ihren Eltern aufgehalten. Eine Schwester meines Vaters veranlasste meine Mutter wieder zur Rückkehr nach Königsbronn. Sonst ist mir nicht bekannt, dass meine Mutter Königsbronn verlassen hat, mit Ausnahme von Besuchen, die sie bei ihren Eltern abgestattet hat.
Meine Schwester Friederike hat etwa 1926 den Installateur Willi Kraft aus Schnaitheim bei Heidenheim geheiratet. Soviel ich weiß, ist Kraft heute Schweißer.
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Vor ihrer Heirat war Friederike in Königsbronn einmal, vielleicht auch zweimal, in der dortigen Zigarrenfabrik tätig. Außerdem war sie als Hausmädchen in der Fremde. Ob dies vor oder nach ihrer Tätigkeit in der Fabrik war und wo sie überall als Hausmädchen beschäftigt war, weiß ich nicht genau, da ich 1925 das Elternhaus verlassen habe. Ich kann mich nur daran erinnern, dass sie einmal in Reutlingen war. Heute lebt Friederike mit ihrem Mann und glaublich 3 Kindern in Schnaitheim, wohin sie einige Zeit nach ihrer Verheiratung, nachdem sie zuerst in Königsbronn gewohnt hatten, verzogen sind. Ob meine Schwester glücklich lebt und die Kinder gesund sind, weiß ich nicht. Als ich sie das letzte Mal vor ungefähr 2 oder 3 Jahren besucht habe, habe ich nichts Besonderes bemerkt. Kraft arbeitet in einer großen Fabrik und wird gut bezahlt. Mit meinem Schwager Kraft, den ich schon vor seiner Heirat mit meiner Schwester gekannt hatte, stand ich ursprünglich auf gutem Fuß. Erst einige Jahre nach ihrer Heirat entstand mit meiner Schwester und dadurch auch mit deren Mann ein gespanntes Verhältnis. Ein Schrank, den wir im Elternhaus gemeinsam, d. h. meine Schwester Friederike und ich, gekauft hatten, war die Ursache eines kleinen Streites. Seither habe ich Friederike und ih-
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ren Mann nicht mehr besucht. Andere Ursachen für das derzeitige schlechte Verhältnis bestehen nicht.
Meine Schwester Maria ist nach ihrer Entlassung aus der Schule zunächst zu Hause beschäftigt gewesen, d. h. das vermute ich mehr, als ich mich daran erinnern könnte. Ich weiß aber, dass sie längere Zeit von zu Hause weg war und als Dienstmädchen und möglicherweise auch in der Landwirtschaft, wahrscheinlich aber nicht in einer Fabrik, tätig war. Es mag sein, dass es Maria war, die einmal in einer Fabrik in Herbrechtingen gearbeitet hat. Es kann aber auch sein, dass ich sie hierin mit meiner anderen Schwester Friederike verwechsele. Vor etwa 2 oder 3 Jahren hat meine Schwester Maria nach Stuttgart geheiratet. Ihr Mann, Karl Hirth, ist dort in einem größeren Hotelbetrieb als Metzger beschäftigt, und zwar im "Württemberger Hof". Maria wohnt in Stuttgart mit ihrem Mann und einem Kind in der Lerchenstraße 52 in einer Wohnung mit 2 Zimmern und einer Küche. Was Hirth verdient, weiß ich nicht. Meine Schwester geht noch in die Fabrik, ich glaube zu Bleyle. In der Wohnung ist es sehr sauber und ich glaube, dass die beiden glücklich miteinander leben. Mit Hirth, den ich schon vor der Heirat gelegentlich seiner Besuche in meinem Elternhaus kennenge-
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lernt hatte, stand ich immer auf gutem Fuß. Meine Schwester habe ich, seit sie verheiratet ist, drei- oder höchstens viermal besucht. Das erste Mal, als sie die Aussteuer für ihre Wohnung von zu Hause nach Stuttgart mittels eines Autos brachten, wobei ich sie begleitete. Damals blieb ich 2 oder 3 Tage in der Lerchenstraße 52. Ich schlief auch dort, und zwar entweder mit in den Ehebetten oder auf dem Diwan. Genau weiß ich das heute nicht mehr. Zweimal habe ich jedoch bei meinen Besuchen bestimmt mit in den Ehebetten geschlafen. - Das Kind von Maria war zum Zeitpunkt der Heirat bereits 7 Jahre alt. Hirth ist der wirkliche Vater des Kindes Franz. - Damals, bei meinem ersten Aufenthalt, war ich meiner Schwester beim Einrichten der Wohnung und Aufstellen der Möbel behilflich. Ferner habe ich die Standuhr nachgefärbt, nachdem die Farbe dieser Uhr nicht zu den Möbeln passte. An der Standuhr reparierte ich außerdem einen Gongstab, der während des Transportes nach Stuttgart abgebrochen war. Diesen Stab musste ich an der Eisenplatte anschweißen lassen. An der Uhr musste ich ferner das Werk einsetzen, die Glasstäbe befestigen und die Uhr einstellen. Die Schweißarbeiten ließ ich bei einem Schlosser oder Flaschner in der Nähe der
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Wohnung meiner Schwester vornehmen, der Name des Schlossers ist mir nicht mehr erinnerlich. Zu diesem Schlosser bin ich seitdem auch nie mehr gekommen. Nachdem ich diese Arbeiten in der Wohnung verrichtet und die Wohnung eingerichtet hatte, habe ich die Wohnung meiner Schwester verlassen und bin nach Königsbronn zurückgekehrt. In Stuttgart selbst habe ich mich nicht länger aufgehalten. Dort habe ich lediglich eine Wirtschaft, ebenfalls in der Nähe der Wohnung meiner Schwester, aufgesucht, um das Mittagessen einzunehmen. In weitere Lokale bin ich in Stuttgart nicht gekommen. Mit weiteren Leuten bin ich in Stuttgart seinerzeit nicht in Verbindung gekommen. Es kann sogar sein, dass der erwähnte Wirtschaftsbesuch mit meiner Schwester erst bei einem späteren Besuch in Stuttgart stattgefunden hat. Mit dem erwähnten Schlosser habe ich mich lediglich über die von ihm vorzunehmenden Arbeiten unterhalten. Über irgendwelche andere Dinge, handwerkliche Kniffe oder derartiges, habe ich mit dem Schlosser nicht gesprochen.
Etwa 1 Jahr später, es war im Frühjahr oder im Herbst, die genaue Zeit kann ich nicht mehr angeben, habe ich meine Schwester ohne irgendeinen Anlass in Stuttgart in der gleichen Wohnung aufgesucht. Ich fuhr seinerzeit von
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Königsbronn aus mit der Bahn nach Stuttgart. Meine Schwester habe ich, soviel ich mich erinnere, von diesem Besuch vorher nicht in Kenntnis gesetzt. Jedenfalls stand ich überhaupt mit ihr nicht in Briefwechsel. Ich muss ergänzen, dass ich an einem Samstag oder Sonntag von Königsbronn aus zuerst nach Esslingen gefahren bin, dort meine frühere Hausfrau aus Königsbronn, Else Härlen, mit der ich ein Verhältnis unterhielt, aufgesucht habe, in Esslingen eine Nacht mit dieser Frau in einer Wirtschaft in der Nähe des Bahnhofs (Name nicht mehr erinnerlich), vom Bahnhofsausgang schräg rechts, - ich würde sie vielleicht wieder finden - zugebracht habe, um am anderen Tag nach Stuttgart mit dem Zug weiterzufahren. (Die Hausfrau hat mich damals auf die erwähnte Wirtschaft aufmerksam gemacht, ob sie ihr dem Namen nach bekannt ist, weiß ich nicht.) Ich entsinne mich nunmehr, dass es ein Montag war, als ich in Stuttgart meine Schwester besuchte. Ich traf gegen 8 Uhr in Stuttgart ein, begab mich zu Fuß in die Wohnung meiner Schwester in die Lerchenstraße Nr. 52, wo ich meinen Schwager und meinen Neffen antraf. Meine Schwester war damals nicht zu Hause, nach Angaben meines Schwagers befand sie sich damals bereits in der Fabrik bei Bleyle. Ich habe diesen Tag zusammen mit
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meinem Schwager verbracht. Ich glaube nicht, dass wir die Wohnung vor dem späten Nachmittag verlassen haben. Es kann allerdings bei diesem Besuch gewesen sein, dass wir nach dem Mittagessen, Hirth und ich, zusammen einen Spaziergang in einer kleinen Parkanlage mit einem Bach gemacht haben. Ganz bestimmt weiß ich jedoch jetzt, dass ich an diesem Tage meine Schwester Maria in der Fabrik (Bleyle) nach Feierabend abgeholt habe. Geschlafen habe ich anlässlich dieses Besuches in der Wohnung meiner Schwester und in Stuttgart überhaupt nicht. Ich bin am selben Tage abends mit dem Zug wieder nach Königsbronn zurückgefahren. Den wahren Grund meines Besuches in Stuttgart, nämlich das Zusammentreffen mit der Härlen in Esslingen, habe ich meinem Schwager und meiner Schwester verschwiegen. Ich glaube nicht, dass sie überhaupt über meine Beziehungen zu dieser Frau etwas wissen, von mir jedenfalls nicht. Ich kann mich bestimmt daran erinnern, dass ich an diesem Tage in Stuttgart fremde Personen, d. h. irgendjemand außer meiner Schwester, Schwager und Neffe, nicht getroffen habe. Es sind auch keine anderen Personen in die Wohnung meines Schwagers gekommen. Über was wir alles gesprochen haben, ist mir heute nicht mehr erinnerlich; jedenfalls wird es sich nur um rein familiäre
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belanglose Angelegenheiten gehandelt haben. Soviel ich nach Überlegung noch weiß, bin ich an diesem Abend zu Fuß und allein zum Bahnhof auf den Zug nach Königsbronn gegangen. Irgendwelches Gepäck habe ich nicht bei mir gehabt. Dies war mein zweiter Besuch bei meiner Schwester.
[Stuttgart (6.-7. November 1939)]
Zu meinem dritten Besuch, der dann anfangs November 1939 stattfand, habe ich mich von München aus ungefähr Ende Oktober durch einen Brief bei meiner Schwester angemeldet. Dieser Brief hatte, soviel ich mich noch erinnern kann, ungefähr folgenden Wortlaut:
"Liebe Schwester, Karl und Franzle!
Wie geht es Euch. Ich werde Euch wahrscheinlich anfangs November einen Besuch abstatten. Bitte schreibe mir, ob Du folgende
Gegenstände brauchen kannst: Anzüge, Hemden, Socken, Pullover, Photoapparat, 2 Paar Schuhe, mein
Schreinerhandwerkszeug, Schirm, 3 Hüte. Bitte schreibe mir sofort, ob Du Verwendung dafür hast.
Es grüßt Dich herzlichst
Georg."
Nach wenigen Tagen erhielt ich von
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meiner Schwester unter der von mir angegebenen Münchener Adresse, Georg Elser bei Lehmann, München, Türkenstraße 94, den Antwortbrief mit ungefähr folgendem Inhalt:"Über Deinen Brief bin ich erstaunt. Ich verstehe diesen Brief nicht. Ich freue mich, dass Du mich besuchst. Die Sachen kann man heutzutage notwendig brauchen."
Ich erinnere mich nachträglich, dass außerdem auch noch die Frage enthalten war: "Gehst Du zum Militär oder ins Ausland?"
Ohne weitere Nachricht an meine Schwester zu geben, bin ich dann am Montag, dem 6.11.1939, mit dem Zug mit meinem gesamten restlichen Gepäck, soweit ich es nicht schon vorausgeschickt hatte, nach Stuttgart gefahren, wo ich nachmittags eintraf. Am Bahnhof abgeholt wurde ich nicht, da meine Verwandten ja nicht wussten, wann ich kam. Mit meinem Handkoffer (das übrige Gepäck war als Passagiergut aufgegeben) ging ich zum "Württemberger Hof" quer über den Bahnhofsplatz hinweg, um meinen dort beschäftigten Schwager zu besuchen. Ein Hotelbediensteter sagte mir, dass seine Arbeitsstelle sich einige Häuser weiter in derselben Straße befinde. Wie bezeichnet, fand ich meinen Schwager, mit Hilfsarbeiten
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beschäftigt, da er offenbar als Metzger gerade wenig zu tun hatte. Mein Schwager begleitete mich zum Bahnhof zurück, war mir beim Abholen meines Gepäcks behilflich, rief einen Dienstmann mit Dreiradwagen herbei und ging dann wieder an seinen Arbeitsplatz zurück. Ich fuhr mit dem Dienstmann auf dessen Wagen in die Lerchenstraße 52, wo ich meine Schwester zu Hause antraf.Ich gebe zu, dass ich sowohl von meiner Schwester als auch von meinem Schwager während dieses kurzen Aufenthaltes in Stuttgart und dem Beisammensein gefragt worden bin, was ich denn vorhätte. Ich erklärte, dass ich "über den Zaun" (Grenze) müsse. Die weitere Frage nach dem Warum habe ich immer nur damit beantwortet, dass ich sagte: "Ich muss." Nach dieser meiner kurzen Antwort haben weder Schwester noch Schwager weitere Fragen über den Grund meiner beabsichtigten Reise ins Ausland gestellt. Es kann möglich sein, dass ich hierzu noch erklärt habe: "Es ist nicht zu ändern." Den wahren Grund meiner beabsichtigten Flucht habe ich weder meiner Schwester noch meinem Schwager mitgeteilt oder angedeutet. Weitere diesbezügliche Fragen haben beide an mich nicht mehr gestellt. Sie waren sich zweifellos darüber im klaren,
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dass ich den Grund meiner beabsichtigten Auslandsreise nicht bekannt geben werde.Den großen Holzkoffer verbrachte ich mit meinem Schwager, der in der Zwischenzeit nach Hause gekommen war, in die Küche der Wohnung meiner Schwester. Der Reisekoffer und ein Paket mit Bildern waren bereits vorher durch meine Schwester und mich in die Wohnung und das Holzkistchen und ein Paket mit schmutziger Wäsche von uns beiden in den Keller verbracht worden. In dem Holzkistchen befanden sich Schrauben, Nägel, Werkzeug, mit dem ich zu Hause gearbeitet und gebastelt habe. In der großen Holzkiste befanden sich meine Anzüge, saubere Unterwäsche, 2 halbfertige Uhrengehäuse, die ich nach Fertigstellung verkaufen wollte, ferner befand sich darin eine Pappschachtel, die 3 oder 4 Uhrwerke enthielt. Diese Werke waren für Tischuhren bestimmt. Zwei Werke waren infolge gesprungener Federn defekt. Diese Werke stammten entweder von der Firma Rothmund, Uhrengehäusefabrikation, Meersburg, oder von der Firma Riesterer, Uhrengroßhandlung in Villingen. Ich erhielt sie meines Wissens im Januar 1932 von der Firma Rothmund als Entschädigung für geleistete Arbeit, nachdem infolge Konkurses oder Vergleichs der fälli-
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ge Arbeitslohn von RM 176,- nicht bezahlt werden konnte. Bei der Firma Rothmund war ich seinerzeit als Schreiner tätig. Der Koffer, die Pakete und die Kisten habe ich in Gegenwart meiner Schwester und meines Schwagers geöffnet. Die Gegenstände wurden von beiden in Verwahrung genommen. Den in der großen Holzkiste befindlichen Doppelboden habe ich meiner Schwester gezeigt. Ich habe diesen Doppelboden lediglich auf- und wieder zugeschraubt, ohne hierzu eine weitere Erklärung abzugeben. Ob meine Schwester diesbezüglich eine Frage gestellt hat, ist mir nicht mehr erinnerlich. Ich kann auch nicht mit Bestimmtheit angeben, ob ich meinem Schwager diesen Doppelboden gezeigt habe. Sämtliche Gegenstände in den Koffern, Kisten und Paketen habe ich meiner Schwester und meinem Schwager geschenkt. Die Wohnung meiner Schwester habe ich an diesem Abend nicht verlassen. In der Wohnung wurde an diesem Abend kein Besuch empfangen. Meine Schwester hat sich lediglich im Stiegenhaus mit einem mir unbekannten Mann unterhalten, als sie vom Keller in die Wohnung zurückging. Ich ging zu der Zeit meiner Schwester voraus und bin an dieser Mannsperson vorübergegangen. Der Stimme nach dürfte dieser Mann der Ehemann meiner Schwester Anna gewesen sein,21
die in Zuffenhausen verheiratet ist. Der Familienname fällt mir jetzt nicht ein, der Vorname lautet Fritz. Der Inhalt der Unterhaltung der beiden ist mir nicht bekannt, nachdem ich das Gespräch nicht verstanden habe. Auf meine spätere Frage erklärte mir meine Schwester, dass dieser Mann mein Schwager Fritz war. Ich erkundigte mich nun, ob über mich gesprochen wurde, was meine Schwester ebenfalls bestätigt hat. Er hat sie gefragt, ob ich ihr Bruder sei. Mehr wurde über diesen Mann nicht gesprochen. Auf diesen Fritz bin ich nicht gut zu sprechen, da er zu seiner Frau, mit der ich wegen eines Streites mit meiner Mutter verfeindet bin, steht.Abends bin ich mit meiner Schwester, meinem Schwager und dem kleinen Neffen in der Wohnstube zusammengesessen. Wir haben uns zunächst über Familienangelegenheiten unterhalten. Z.B. haben wir davon gesprochen, wie es unserem Vater geht. Ich sagte in dem Zusammenhang, dass ich vorhätte, noch einmal nach Königsbronn zu fahren, um meinen Vater noch einmal zu sehen. Auch nach Schnaitheim wollte ich noch fahren, um die Familie Schmauder zu begrüßen und deren Tochter Maria noch einmal zu sehen. Bei Familie Schmauder hatte ich gewohnt, ehe ich nach München ging, mit der Tochter Maria hatte ich ein Verhältnis. Hiervon
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unterrichtete ich meine Schwester und meinen Schwager. Auch an dem Abend wurde ich nochmals gefragt, ob es denn sein müsse, dass ich ins Ausland gehe. Ich sagte wieder: "Es ist nicht mehr zu ändern." Auf die Frage: "Wohin", antwortete ich, dass ich in die Schweiz wolle. Mehr sagte ich auch an diesem Abend nicht. Näheres über die Gründe sagte ich ebenfalls nicht. Soviel ich mich entsinnen kann, hat mich meine Schwester auch nicht ausdrücklich gefragt, ob ich meiner Alimentenzahlungen wegen ins Ausland gehen wolle. Ich nahm allerdings an, dass meine Schwester dies vermuten würde. An weitere Einzelheiten des Gespräches an diesem Tag kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich glaube auch nicht, dass mehr gesprochen wurde. Ich ging vor meinen Verwandten zu Bett. Auch stand ich nach ihnen auf. Ich schlief diese Nacht in einem der Ehebetten. Meine Schwester und mein Schwager lagen neben mir, d. h. gesehen habe ich das nicht, aber ich vermute dies, weil ich nicht gesehen habe, dass auf dem Divan ein Bett gerichtet wurde. Als ich am anderen Morgen aufstand, war mein Schwager bereits zur Arbeit gegangen. Am Bett hatte er sich allerdings von mir verabschiedet, ehe er wegging. Meine Schwester ging an diesem Tage nicht in die Fabrik. Ich weiß nicht, ob sie krank gemeldet war oder ob sie überhaupt nicht mehr ins Geschäft23
geht. Ich glaube nicht, dass ich meine Schwester gefragt habe, warum sie zu Hause bliebe. Ich frühstückte mit meiner Schwester zusammen und nahm auch das Mittagessen mit ihr zu Hause ein. Ich weiß nicht mehr, ob auch mein Neffe Franz mit uns gegessen hat. Ungefähr um 16 Uhr dieses Tages, des 7.11.1939, bin ich mit dem Zug nach München gefahren. Mit der Straßenbahn fuhr ich allein zum Bahnhof. Vor Abfahrt besuchte ich noch meinen Schwager an seinem Arbeitsplatz. Ich nahm nur ganz kurz Abschied. Außer allgemeinen Wünschen wie "Bleib gesund" und "Schreib auch einmal" wurde nichts gesprochen.Den Entschluss, nach München zu fahren, hatte ich schon ein paar Tage vorher gefasst. Wie ich aber schon sagte, wollte ich zuerst noch nach Königsbronn und Schnaitheim. Da ich aber an diesem Tage erst zwischen 8 und 9 Uhr aufgestanden war, wäre ich nicht mehr nach München gekommen, wenn ich vorher nach Königsbronn und Schnaitheim gefahren wäre. Ich habe dies zwar nicht nach dem Fahrplan festgestellt, sondern eben geschätzt. Ich weiß nicht mehr genau, ob es bereits am Vorabend oder am Morgen dieses Tages war, als ich meiner Schwester sagte, dass ich noch einmal nach München fahren müsse.
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Vermerk:
Trotz energischer Vorhalte und Hinweise auf die Unglaubwürdigkeit seiner Behauptungen, bleibt E. bei der Behauptung, nicht mehr zu wissen, ob seine Schwester etwas zu diesem Programmwechsel gesagt hat, bzw. was sie gesagt haben könnte.
Von diesem Tage ab bis heute habe ich meine Schwester und meinen Schwager zum letzten Mal gesehen.
Soweit meine Beziehungen zu meiner Schwester Maria und meinem Schwager Karl Hirth.
Meine Schwester Anna ist ebenfalls verheiratet, und zwar mit einem Schlosser mit Vornamen Fritz, der Familienname fällt mir augenblicklich nicht ein, und ist in Zuffenhausen wohnhaft. In ständiger Verbindung stehe ich weder mit ihr noch mit ihrem Ehemann. Das letzte Mal habe ich die Anna im Herbst vorigen Jahres gesehen, als sie meine Eltern in Königsbronn besuchte.
Mein Bruder Leonhard wohnt in Königsbronn im elterlichen Hause, für das er als Miteigentümer eingetragen ist. Er ist von Beruf Schreinergeselle und war zuletzt im Hüttenwerk Königsbronn beschäftigt. Er ist verheiratet und hat 1 Kind. Bis zu diesem Frühjahr stand ich gut mit ihm. Seither schlecht, weil
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er sich meines Erachtens mit seiner Frau in das Haus hineingedrängt hat.Vermerk:
Nach Abschluss der Vernehmung über die familiären Beziehungen wird chronologisch, mit der Lehrzeit beginnend, fortgefahren.
Elser gibt an:
[Freunde Eugen Rau, Hans Scheerer]
Während der Zeit zwischen dem Schulabgang und dem Beginn der Lehrzeit habe ich mit zweien meiner Schulkameraden den engeren Verkehr weitergeführt. Es sind dies
Eugen Rau,
den ich auch in der Zwischenzeit öfter wiedergesehen habe, mit dem mich aber keine besonders enge Freundschaft mehr verbindet, sowie
Hans Scheerer,
der später nach Amerika auswanderte und seit vielen Jahren verschollen ist.
[Eisendreherlehre beim Hüttenwerk in Königsbronn (1917 - März 1919)]
Während meiner Tätigkeit im väterlichen Gewerbe und in der häuslichen Landwirtschaft fasste ich den Entschluss, Eisendreher zu werden. Mein Vater allerdings wollte, dass ich zu Hause bleibe, d. h. ihn in seinem Beruf und in der Landwirtschaft unterstütze. Als ich ihm erklärt hatte, dass ich in die Lehre als Eisendreher gehen wolle, hat er mich zwar nicht ge-
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schlagen und auch keinen großen Krach gemacht, aber versucht, mich davon abzubringen. Da mich aber meine Mutter unterstützte, setzte ich meinen Willen durch.Auf den Gedanken, Eisendreher zu werden, kam ich dadurch, dass mein bereits oben erwähnter Schulkamerad, Eugen Rau, sofort nach Schulabschluss in eine Eisendreherei in die Lehre kam. Es war nicht so, dass er mir etwa diesen Beruf besonders schön schilderte oder mir Werkstücke, die er gearbeitet hatte, mit nach Hause gebracht hätte, sondern allein die Tatsache, dass mein Freund Eisendreher war, bewegte mich, ohne dass ich genauer wusste, warum, auch diesen Beruf zu ergreifen. Der Beruf meines Vaters und die Landwirtschaft sagten mir schon immer zu. In der Landwirtschaft habe ich weniger aus Freude an dieser Arbeit, als nur in dem Willen, meiner Mutter zu helfen, mitgearbeitet. Das Umgehen mit Pferden lag mir nicht sehr und überdies hatte ich miterlebt, wie verschiedene Pferde eingegangen waren, was mir auch die Lust am Fuhrhandwerk verdarb.
Jegliche bastelnde Tätigkeit sagte mir mehr zu. Bereits als Junge hatte ich ja Laubsägearbeiten und sonstige kleine Basteleien gemacht. Fachmännische Anleitung bei meinen Basteleien durch einen älteren Handwerker, etwa den Schmied oder den Schlosser
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des Orts, hatte ich damals noch nicht.Ich hatte nach Schulschluss den Wunsch, Eisendreher zu werden. Nachdem ich mich zu Hause durchgesetzt hatte, musste ich, soweit ich mich daran erinnern kann, meine Lehrstelle selbst suchen. Im Hüttenwerk Königsbronn hatte ich im Herbst 1917 Gelegenheit, als Eisendreherlehrling eingestellt zu werden. (Mein Freund Rau war in demselben Werk tätig.) In dem genannten Werk war ich in der Eisendreherei bei den Meistern Britsch und Merk tätig. In dieser Abteilung des Hüttenwerks, der Eisendreherei, waren insgesamt ungefähr 30-40 Arbeiter, dazu 4-5 Lehrlinge, in zwei Schichten beschäftigt. Nach einiger Zeit beobachtete ich, d. h. zuerst mein Vater, dass mir die Arbeit in dieser Werkstätte gesundheitlich nicht gut bekam. Ich glaube, mich bestimmt zu erinnern, dass es zuerst mein Vater war, der feststellte, dass ich das nicht aushalten könne. Ich war während dieser Zeit mehrmals krank gewesen. Was mir genau gefehlt hat, weiß ich allerdings nicht mehr. Fieber hatte ich jedenfalls und Kopfweh. Beim Arzt war ich mehrere Male. Soviel ich weiß, ging ich damals persönlich auf das Fabrikbüro und erklärte dort, dass ich mit dieser Arbeit aufhören will, weil ich sie nicht vertragen könne. Ich glaube, ich musste noch 8 oder 14 Tage wei-
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terarbeiten und schied dann aus. Insgesamt war ich also vom Herbst 1917 bis Frühjahr 1919 (Anfang März) dort beschäftigt.Wie viel ich während meiner Lehrzeit wöchentlich verdient habe, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls im ersten Jahr etwas weniger als in dem Rest meiner abgebrochenen Lehre.
Ich erinnere mich, dass ich den ganzen Zahltag, also alles, was ich an Geld erhielt, zu Hause abliefern musste. Ich durfte nichts behalten und erhielt auch sonntags kein Taschengeld von meinem Vater. Lediglich, wenn ich mir etwas anschaffen durfte, habe ich den ganzen Betrag des Preises jeweils erhalten. Während dieser Lehrzeit habe ich keine neuen Freunde gewonnen. Ich verkehrte weiterhin mit Rau und Scheerer. Scheerer war damals Schlosserlehrling bei der Fa. Voith in Heidenheim.
Im ersten Vierteljahr meiner Beschäftigung im Hüttenwerk musste ich für die älteren Dreher Hilfsarbeiten verrichten, wie Werkzeuge zum Aufrichtenlassen tragen, Material heranschaffen usw. Selbständig durfte ich noch keine Arbeiten vornehmen. Nach Ablauf des ersten Vierteljahres kam ich an eine kleine Drehbank, an der ich unter Aufsicht des Meisters selbständig arbeiten durfte. Ich musste Ge-
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winde schneiden, Bolzen drehen, Amboss schleifen und sonstige kleinere Dreharbeiten verrichten. Diese Arbeiten führte ich im Rahmen der Gesamtverdickung aus und nicht als eigentliche Lehrlingsarbeit. Nach einiger Zeit kam ich an eine größere Drehbank, weil die meinige, besonders für das Ambossschleifen, von zu leichter Ausführung war.In der Folgezeit habe ich nun etwas schwierigere Dreharbeiten gemacht. Irgendwelche Montagetätigkeit habe ich nicht ausgeführt. Wenn ich ausdrücklich gefragt werde, ob ich mir vielleicht anlässlich dieser Lehrzeit zu Hause eine kleine Werkzeugsammlung angelegt hätte, so muss ich dies verneinen. Alle Werkzeuge, die ich teilweise mir auch schon damals angeschafft habe, habe ich durch Kauf erworben.
Während dieser Lehrzeit als Eisendreher habe ich natürlich auch zu Hause weiterhin gebastelt. U.a. habe ich in jener Zeit einen Hasenstall gebaut und mich mit der Selbstanfertigung eines kleinen Benzinmotors, wofür ich mir ein Anleitungsheft angeschafft hatte, beschäftigt.
Gleichzeitig mit meinem Eintritt in die Lehre im Hüttenwerk Königsbronn, in dem ich außer meinem Schulfreund Rau, der, wie ich schon sagte, dort Lehrling war, keine besonderen Bekannten hatte, trat ich auch in die Gewerbe-
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schule Heidenheim ein. Soviel ich noch weiß, war ein Tag in der Woche Unterricht. In der Klasse für Eisendreher waren wir dort ungefähr 30 Schüler. Den Unterricht gab der Gewerbeschullehrer Edel. Ich zählte in dieser Klasse zu den besseren Schülern. Von den drei nach dem ersten Jahr verteilten Belobigungen erhielt ich eine.Das Hüttenwerk Königsbronn war das einzige Werk am Ort, in dem ich die Ausbildung als Eisendreher erfahren konnte.
[Schreinerlehre bei Robert Sapper in Königsbronn (März 1919 - Frühjahr 1922)]
Nachdem ich mich, wie bereits angegeben, gesundheitshalber nicht in der Lage fühlte, den Beruf eines Eisendrehers auszuüben, fasste ich den Entschluss, das Schreinerhandwerk zu erlernen. In der Nähe meiner elterlichen Wohnung hatten die Schreinermeister Robert Sapper und Fritz Weber Schreinerwerkstätten inne, wo ich während meiner Eisendreherlehrlingszeit im Auftrage meiner Eltern wiederholt Sägemehl und Hobelspäne holen musste. Sägemehl und die kurzen Hobelspäne wurden im elterlichen Anwesen als Streu im Stall und die langen Hobelspäne zum Feueranzünden verwendet. Bei dem Abholen des Sägemehls und der Hobelspäne - es geschah dies immer nach Betriebsschluss - habe ich stets den beiden Meistern bei ihren Arbeiten in den Werkstätten zugesehen und dadurch wurde mein Interesse am
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Schreinerhandwerk erweckt. Meine Eltern waren damit einverstanden, dass ich bei Robert Sapper am 15. März 1919 als Schreinerlehrling eintrat. Robert Sapper hatte noch einen Gesellen beschäftigt, es war dies ein gewisser Stäudle aus Schnaitheim. Ferner war dort als Lehrling Otto Britsch aus Königsbronn tätig. Später trat noch ein gewisser Hermann Bauder als Lehrling ein. Mit Bauder habe ich mich im Laufe der Zeit angefreundet. Es ist ein weitläufiger Verwandter von mir. Nachdem Sapper als tüchtiger Schreinermeister bekannt war, bin ich bei diesem und nicht bei Weber in die Lehre getreten. Weitere Gründe lagen hierfür nicht vor. Am 15. März 1922 war die Lehrzeit bei Sapper beendet. In der ersten Zeit meiner Lehre musste ich einfache Kisten, Schemel, Hocker und dergleichen, die keinerlei besondere Fertigkeiten verlangten, anfertigen. Ich musste das Holz zuschneiden, hobeln und zusammenbauen. An diesen Arbeiten hatte ich großen Gefallen und großes Interesse. Die Arbeiten wurden immer schwerer und am Ende meiner Lehrzeit war ich in der Lage, große und schwere Möbelstücke selbst anzufertigen. Sapper betrieb auch eine Bauschreinerei, dort wurde ich aber nur nebenher beschäftigt. Ich lernte dort Riemenboden legen, Türrahmen einsetzen, Türen anschlagen, Fenster32
rahmen einsetzen, Fensterläden einpassen und Verschalungen an Treppenhäusern anzubringen. Diese Arbeiten sagten mir aber wenig zu, nachdem sie mit soviel Schmutz und Dreck verbunden waren. Besonderes Interesse hatte ich lediglich an der Möbelschreinerei. Im ersten Lehrjahr erhielt ich wöchentlich 1,- RM, im zweiten Lehrjahr 2,- RM und im dritten Lehrjahr wöchentlich 3,- oder 4,- RM bezahlt. Zum Teil benutzte ich dieses Geld zum Anschaffen von Kleidungsstücken und zum Anschaffen von Schreiner- und Schlosserwerkzeugen, wie z.B. Eisenbohrer, Eisenfeilen, Schreinerhobel usw. Dieses Werkzeug nahm ich lediglich zu Hause in Benutzung, um dort die notwendigen Reparaturen selbst ausführen zu können. Ferner fertigte ich zu Hause auch die Gegenstände an, die dort benötigt wurden, z. B. Umbau eines Kellers als Wohnraum.[Schreinergeselle bei Robert Sapper in Königsbronn (Frühjahr 1922-Januar 1923)]
Im Frühjahr 1922 legte ich bei der Gewerbeschule in Heidenheim als Bester die Gesellenprüfung ab. Meine Eltern und mein Meister waren mit diesem Erfolg sehr zufrieden. Anschließend war ich noch bis Januar 1923 bei Sapper als Schreinergeselle tätig, wo ich größtenteils in der Möbelschreinerei gearbeitet habe. Auch als Geselle habe ich nur hier und da in der Bauschreinerei mitgearbeitet. Der Wochenver-
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dienst ist mir nicht mehr erinnerlich. Den Wochenverdienst benutzte ich ebenfalls zur Anschaffung von Kleidungsstücken, Werkzeugen und Schreinereimaterial, das ich zu Hause benötigt hatte, ferner führte ich immer einen bestimmten Betrag an meine Mutter ab, die ihn zur Haushaltführung benötigte. Mit weiteren Berufskameraden als dem bezeichneten Bauder habe ich mich auch bis zu diesem Zeitpunkt nicht angefreundet. Bauder war, wie ich, ebenfalls hauptsächlich in der Möbelschreinerei tätig, er hat ein Jahr später die Gesellenprüfung abgelegt, ferner war er, wie ich, ein Bastler, er hat stets versucht, Elektro- und Benzinmotore zu Hause zu bauen. Welche Erfolge er dabei erzielte, ist mir nicht bekannt.[Schreinergeselle bei Möbelfabrik Paul Rieder in Aalen (Januar 1923 - Herbst 1923)]
Etwa im Dezember 1922 habe ich bei dem Schreinermeister Sapper gekündigt, nachdem ich Aussichten hatte, in der Möbelfabrik Riederer in Aalen als Schreinergeselle einzutreten. Diese Kündigung hatte Sapper seinerzeit nicht angenommen, da er mich dringend benötigte. Nachdem Sapper auch eine neuerliche Kündigung Anfang 1923 aus dem gleichen Grunde nicht angenommen hatte, bin ich Ende Januar 1923 oder Anfang Februar bei Sapper weggeblieben und in die Firma Riederer in Aalen als Schreinergeselle eingetreten. Der Grund des Arbeitsplatzwechsels lag darin, dass der Verdienst bei der Firma
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Riederer bedeutend höher war als bei Sapper. Bei der Firma Riederer war ich bis zum Herbst 1923 in Arbeit. Dort hatte ich in der Hauptsache Kücheneinrichtungen und Schlafzimmermöbel anzufertigen. Die Wohnung hatte ich während dieser Zeit in Königsbronn bei meinen Eltern beibehalten. Ich fuhr stets mit der Bahn zum Arbeitsplatz und zurück. Irgendwelche Freundschaften habe ich bei der Firma Riederer mit Berufskameraden nicht geschlossen. In der Freizeit habe ich zu Hause auch weiterhin die anfallenden Reparaturarbeiten erledigt. Zum Basteln hatte ich meiner Erinnerung nach keine Zeit mehr. Mit Bauder kam ich um diese Zeit nicht mehr zusammen. Ich hatte lediglich nur noch mit meinem alten Schulfreund Rau Verbindung.[Landwirtschaftsgehilfe bei den Eltern (Herbst 1923 - Sommer 1924)]
Nachdem im Herbst 1923 infolge der Inflation das Geld keinen Wert mehr hatte, habe ich freiwillig bei der Firma Riederer ordnungsgemäß gekündigt und mich an den häuslichen Arbeiten beteiligt. Ich half meiner Mutter wie früher bei den Feldarbeiten und war meinem Vater, der in der Zwischenzeit den Holzhandel ausübte, bei Waldarbeiten, z.B. Stangenputzen, Absägen, Aushauen und dergl. behilflich. Eine Entlohnung oder Taschengeld erhielt ich weder von meiner Mutter noch von meinem Vater. Ich hatte zu Hause Unterkunft und Verpflegung. Die Freizeit vertrieb
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ich mir damals bei meinem Freund Rau, der zu Hause ein Grammophon hatte und der mich das Tanzen lehrte. Bastelarbeiten habe ich zu dieser Zeit wenig verrichtet.[Schreinergeselle bei Matthias Müller in Heidenheim (Sommer 1924 - Januar/Februar 1925)]
Bis zum Sommer 1924 war ich in der angegebenen Weise zu Hause tätig. Um diese Zeit fragte ich bei der Firma Matthias Müller, Möbelschreinerei in Heidenheim, um Arbeit nach. Ich wurde dort zwei oder drei Tage später als Schreinergeselle eingestellt. Diese Firma Müller war mir aus meiner Schulzeit (Gewerbeschule) bekannt. Diese Firma war mir durch ihr großes Lager aufgefallen und in Erinnerung. Aus diesem Grunde habe ich mich dort auch um Arbeit beworben. Inhaber der Firma war der Schreinermeister Matthias Müller. Es waren dort noch 4 oder 5 Gesellen und 1 oder 2 Lehrlinge beschäftigt. Es wurden dort durchwegs Wohnungseinrichtungen hergestellt. Ich hatte in der Hauptsache Küchen- und Kleiderschränke anzufertigen. Irgendwelche Arbeiter waren mir hierzu nicht zugeteilt. Ich arbeitete selbständig. Die Wohnung habe ich damals bei meinen Eltern in Königsbronn beibehalten. Ich fuhr, soviel ich mich erinnere, ständig mit der Bahn zu meinem Arbeitsplatz und wieder zurück nach Königsbronn. Irgendwelche Freundschaften habe ich während meiner Tätigkeit bei der Firma Müller nicht geschlossen. Der Firmeninha-
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ber war mit meinen Arbeiten stets zufrieden. Irgendwelche Beanstandungen hatte er nicht. Im Januar oder Februar 1925 habe ich auch dort wieder gekündigt. Ich hatte ein Verlangen, in die Fremde zu gehen, um mich in meinem Beruf weiter auszubilden. Müller ließ mich ungern gehen, der Grund ist mir nicht bekannt.[Landwirtschaftsgehilfe bei den Eltern (Februar 1925)]
Nach meinem Ausscheiden aus der Firma Müller-Heidenheim war ich einige Zeit wieder zu Hause und habe mich dort wie üblich betätigt, d. h. ich half eben mit, wo es notwendig war. Ich hatte nämlich bereits eine Stelle in der Fremde in Aussicht, und zwar sollte ich am 15.3.1925 beim Schreinermeister Wachter in Bernried bei Tettnang eine Stelle antreten.
[Bernried und Manzell/Klaftern (März - August 1925)]
[Schreinergeselle bei Wachter in Bernried (März - Mai 1925)]
Zu diesem Arbeitsplatz kam ich durch einen Schreiner namens Karl (?) Fischer aus Oberkochen, einer von meiner Heimat ungefähr 6 km entfernten Ortschaft. Diesen Fischer hatte ich anlässlich gelegentlicher Spaziergänge, die ich damals mit meinem Freund Rau unternahm, in der Wirtschaft "Zum Hirsch" in Oberkochen kennengelernt. Auf Aufforderung von Fischer, dem ich gesagt hatte, dass ich in die Fremde wolle, schrieb ich an den Schreinermeister Wachter, bei dem Fischer schon einmal beschäftigt war, um Arbeit. Ich erhielt eine schriftliche Zusage auf den 15.3.1925. Zu die-
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sem Zeitpunkt fuhr ich mit dem Zug nach Tettnang, ging zu Fuß ungefähr 2 Stunden bis Bernried und trat dort meine Stelle an. Ich war dort der einzige Geselle und arbeitete mit dem Meister allein zusammen. Ich wohnte im Hause des Meisters in einer Kammer unter dem Dach. Ich war auch dort mit Möbelanfertigungen beschäftigt. Die Arbeit dort sagte mir deshalb nicht recht zu, weil Wachter in seiner Werkstatt außer einer selbstgefertigten Kreissäge keine Maschinen hatte und man z.B. die Hobelarbeiten alle mit der Hand ausführen musste. Außerdem gefiel mir die Ortschaft nicht. Es sind nur einige wenige verstreute Häuser, so dass ich mich viel zu einsam fühlte. Ich blieb deshalb nur ungefähr 6 Wochen dort und schied nach Kündigung von meiner Seite im Mai 1925 wieder aus. Meister Wachter ließ mich zwar nicht gerne gehen, aber Streit habe ich deswegen mit ihm keinen bekommen. Während meines kurzen Aufenthaltes in Bernried habe ich keinerlei Freundschaften oder engere Bekanntschaften geschlossen. Als Lohn erhielt ich dort neben freier Kost und Logis vielleicht 8.- bis 12.- RM in der Woche.[Schreinergeselle bei Dornier in Manzell (Mai - August 1925)]
Als ich die Stelle verließ, hatte ich noch keine Arbeit in Aussicht. Ich wanderte über Langenargen den Bodensee entlang nach Friedrichshafen und Manzell. Von Bernried bis Friedrichshafen war ich ungefähr 1 Woche zu Fuß un-
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terwegs. Ich übernachtete in Wirtschaften und fragte auf dem Weg verschiedentlich vergeblich nach Arbeit. Auf dieser Wanderschaft war ich immer allein. Gebettelt oder hausiert habe ich weder damals noch später. Die Wirtshausrechnungen habe ich von meinen Ersparnissen bezahlt. Durch das Arbeitsamt in Friedrichshafen, auf dem ich auch nachfragte, erfuhr ich, dass die Dornier-Werke in Manzell einen gelernten Schreiner suchen. Ich nahm die Stelle an und wurde im Propellerbau beschäftigt. An den Namen des Meisters der Abteilung kann ich mich nicht mehr genau erinnern, ich glaube, er hieß Wapra oder so ähnlich. In dieser Abteilung waren ungefähr 15-20 Leute beschäftigt. Da ich in nächster Umgebung des Werkes der Fremdensaison wegen kein Zimmer bekam, habe ich mich in Kluftern, einer Ortschaft an der Bahnlinie zwischen Manzell und Markdorf, eingemietet. Ich fuhr jeden Tag mit der Eisenbahn zwischen Manzell und Kluftern hin und her. In Kluftern habe ich in einer Wirtschaft, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnern kann, gewohnt. In dieser Stelle habe ich durch Akkordarbeit und viele Überstunden recht gut verdient, jedenfalls mehr als jemals zuvor. In der Werkstatt lernte ich einen Mitarbeiter namens Leo (?) Dannecker etwas näher kennen. Dannecker wohnte in39
Markdorf oder in einem nahe bei Markdorf liegenden Ort; Er war wie ich gelernter Schreiner und etwas jünger als ich. Meine sonntäglichen Spaziergänge machte ich aber nicht mit ihm zusammen, sondern immer allein entweder den See entlang, oder in der Stadt Friedrichshafen. Meine Bekanntschaft mit Dannecker war nicht politischer und nicht besonders freundschaftlicher Art. Wir waren fast nur im Betrieb zusammen. An und für sich gefiel es mir bei Dornier sehr gut. Es war aber Dannecker, der mich dazu überredet hat, die Stelle zu wechseln. Dannecker spielte in seiner Freizeit Klarinette und wollte durchaus nach Konstanz, um dort einem Musikverein beitreten zu können. Schließlich überredete er mich, mit ihm gemeinsam an die Uhrenfabrik in Konstanz um Arbeit zu schreiben. Wir erhielten eine Zusage, kündigten unser bisheriges Arbeitsverhältnis und fuhren eines Tages gemeinsam mit dem Schiff von Friedrichshafen aus nach Konstanz. Ich glaube, dass dies meine erste Schifffahrt auf dem Bodensee war.[Konstanz (August 1925 - Mai 1932)]
[Schreinergeselle bei Uhrenfabrik in Konstanz (August 1925 - 1929)]
An einem mir nicht mehr genau erinnerlichen Tage im August 1925 tratt ich mit Dannecker gemeinsam als Schreiner in der Uhrenfabrik Konstanz ein. Diese Firma verkauft fer-
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tige Uhren, stellt aber nur die Gehäuse selbst her und baut die bezogenen Uhrwerke ein. In dieser Firma war ich mit mehreren Unterbrechungen von teilweise einigen Wochen, teilweise einigen Monaten und einem halben Jahr Tätigkeit in der Schweiz bis Frühjahr 1930 tätig. Ich habe die Firma während dieser Zeit immer dann verlassen, wenn aus irgendeinem Grunde keine Arbeit mehr vorhanden war. Einmal war der Besitzer gestorben, das andere Mal geriet die Firma in Konkurs, ein anderes Mal war ein Brand ausgebrochen. In dieser Firma war ich immer nur in der Schreinerei, wo die Holzgehäuse für größere Uhren hergestellt wurden, tätig.Die Firma nannte sich bei meinem Eintritt, soviel mir erinnerlich ist, ursprünglich "Metzner", später "Schuckmann u. Comp." und wurde später in "Oberrheinische Uhrenindustrie" umbenannt. Die Firma hat mehrmals den Besitzer gewechselt. Inhaber der Firma war ursprünglich ein mir nicht näher bekannter Metzner, anschließend ein Schuckmann, später ein Fuchs und schließlich ein Hahn. Nähere Angaben und insbesondere auch über den Zeitpunkt kann ich heute nicht mehr machen. Das erste Mal gab ich bei dieser Firma im Jahre 1926 oder 1927 meinen Arbeits-
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platz auf, nachdem diese damals in Konkurs geraten war. Inhaber der Firma war damals noch Metzner. Es wurden seinerzeit sämtliche Arbeiten eingestellt. Ich war ungefähr ein halbes Jahr arbeitslos und habe mich während der Zeit wiederholt erfolglos bei verschiedenen Firmen in Konstanz um Arbeit umgesehen. Die einzelnen Firmen kann ich heute nicht mehr angeben. Die Wohnung hatte ich in Konstanz beibehalten, Konstanz hatte ich nicht verlassen. Als im Jahre 1928 der neue Besitzer der Firma namens Fuchs gestorben ist, wurden wiederum die Arbeiten bei der Firma eingestellt, und ich war wiederum ungefähr ein halbes Jahr ohne Arbeit. Auch während dieser Zeit konnte ich trotz wiederholter Nachfragen in Konstanz keine Arbeit finden. Ich lebte seinerzeit von der Arbeitslosenunterstützung und von meinen Ersparnissen. Von fremden Leuten erhielt ich keinerlei Unterstützung. Auch habe ich fremde Leute in dieser Hinsicht nicht angegangen.[Schreinergeselle bei Schönholzer in Bottighofen/Schweiz (1929)]
Etwa im Jahre 1929 wurden die Arbeiten bei dieser Firma wieder eingestellt und sämtliche Arbeiter entlassen. Soviel mir erinnerlich ist, war die Entlassung auf einen Brand der Firma zurückzuführen. Ich begab mich daraufhin nach Bottighofen/Schweiz, das ungefähr 8-10 km südlich Konstanz liegt. Dort habe ich bei der Schreinerei Schönhol-
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zer Arbeit gefunden. Ich begab mich deshalb dorthin, nachdem ich neuerdings in Konstanz mich vergeblich um Arbeit umgesehen habe. Wer mich an die Firma Schönholzer in Bottighofen verwiesen hat, ist mir heute nicht mehr erinnerlich; es kann möglich sein, dass ich durch ein Zeitungsinserat darauf aufmerksam wurde. Ich war ungefähr ein halbes Jahr bei dieser Firma als Schreinergeselle in Arbeit. Der Inhaber dieser Firma heißt ebenfalls Schönholzer, der Vorname ist mir nicht erinnerlich. Ich hatte dort Wohnungseinrichtungen anzufertigen. Dort hatte ich einen Stundenlohn von 1 fr 30, das war 1,04 RM. Bei dieser Firma waren nur noch der Inhaber und sein Sohn tätig. Meine Wohnung in Konstanz habe ich auch während dieser Zeit beibehalten. Ich bin täglich mit dem Fahrrad frühmorgens nach Bottighofen und abends nach Konstanz zurückgefahren. Einen besonderen Grund, warum ich in Bottighofen nicht Wohnung nahm, kann ich nicht angeben. Ein Interesse, in der Schweiz Wohnung zu nehmen, hatte ich nicht. Weitere Personen als die Familie Schönholzer hatte ich in Bottighofen nicht kennengelernt.[Schreinergeselle bei Rothmund in Meersburg (Ende 1929/Anfang 1930 - Frühjahr 1932)]
Ende 1929 oder Anfang 1930 teilte mir eine Frau in Konstanz, deren Name mir augenblicklich nicht erinnerlich ist, mit, dass ein früherer Teilhaber der Uhrenfabrik in Kon-
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stanz namens Rothmund in Meersburg Uhrengehäuse herstellt und dass dieser Arbeiter suche. Die Frau war früher ebenfalls in der Uhrenfabrik in Konstanz beschäftigt und in der Nähe dieser Fabrik wohnhaft. Auf diese Mitteilung begab ich mich zu diesem Rothmund nach Meersburg, wo ich um Arbeit nachfragte. Nach einigen Tagen konnte ich dort die Arbeit aufnehmen. Soviel ich mich entsinne, habe ich in Bottighofen bei Schönholzer ordnungsgemäß gekündigt.In Konstanz wohnte ich zunächst Inselgasse 15 bei Braster und anschließend nacheinander in folgenden weiteren Wohnungen: Gebhardstraße Nr.? bei Frau Stadel (oder Stadler), dann Fürstenbergstraße 1 bei Niedermann.
[Mathilde Niedermann, Hilda Lang]
Mit meinem früheren Bekannten Leo Dannecker hatte ich während meiner Konstanzer Zeit bald den engeren Kontakt verloren. Ich hatte dort nacheinander die Bekanntschaft von mehreren jungen Mädchen gemacht, so dass meine Zeit ausgefüllt war. An einige, mit denen ich länger gegangen bin, kann ich mich namentlich erinnern. Sie hießen: Mathilde Niedermann, damals in der Gebhardstraße Nr.? in Konstanz wohnhaft, Hilda Lang, Hussenstraße (?) in Konstanz. Die Niedermann war
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ein Servierfräulein und die Lang eine Modistin. An weitere Namen von weiblichen Bekanntschaften während dieser Zeit kann ich mich nicht erinnern. Neue Freunde habe ich nicht gewonnen.Der Brand in der Uhrenfabrik, den ich bereits kurz erwähnte, wurde damals von der Polizei aufgenommen. Später habe ich einmal gehört, dass der ehemalige Besitzer Hahn den Brand selbst gelegt haben soll. Ob er verurteilt wurde, weiß ich nicht.
Das Fahrrad, das ich zu meinen Fahrten zwischen Konstanz und Bottighofen benutzte, habe ich etwa im Jahre 1927 in Konstanz nagelneu gekauft. Es hat etwa 140.- RM gekostet. Das Geld hierzu hatte ich mir erspart. Dieses Rad besaß ich bis zum Jahre 1938, als ich es im November oder Dezember letzten Jahres an einen Arbeitskollegen in Heidenheim um vielleicht 16.- RM verkaufte. Vielleicht fand dieser Verkauf aber auch im Januar 1939 statt.
Abgebrochen um 21 Uhr 30
gez. Kappler, gez. Schmidt, gez. Seibold.
Krim.-Kommissare.
Quelle: Bundesarchiv Berlin
Zum zweiten Tag: Verhörprotokoll 20.11.1939