Fünfeinhalb Jahre lang, nämlich von November 1939 bis Mai 1945, konnte in Deutschland kein freies Wort über den Anschlag im Bürgerbräukeller geredet werden. Das war natürlich der ideale Nährboden für Gerüchte, von denen sich zwei als besonders zählebig erwiesen haben:
Variante 1: Britischer Geheimdienst und Otto Strasser
Das Attentat wurde diesem Gerücht zufolge im Auftrag des britischen Geheimdienstes in Zusammenarbeit mit
Otto Strasser
und seiner Schwarzen Front durchgeführt.
Diese Version wurde von den Nationalsozialisten über die gleichgeschalteten Medien immer wieder verbreitet.
Weil die Geschichte so gut in das Propagandakonzept der Nazis passte, wurde Georg Elser im KZ gefangen gehalten,
um nach dem vermeintlichen "Endsieg" durch einen Schauprozess den britischen Geheimdienst anzuklagen.
Zur Erhärtung ihrer Theorie hatten die Nazis zwei
britische Geheimdienstoffiziere aus den Niederlanden entführt und
in den gleichen Konzentrationslagern wie Elser eingesperrt; von Captain Best wird noch die Rede sein.
Obwohl alle Einzelheiten der Beweisaufnahme die erste Legende widerlegen, war sie jahrzehntelang z.B. in Elsers Heimatort Königsbronn zu hören.
Variante 2: Gestapo
Das Attentat war diesem Gerücht zufolge von der Gestapo inszeniert, um den Mythos des von der Vorsehung Auserwählten
und Geretteten aufzubauen.
Es ist kein Wunder, wenn diese zweite Version schon im nationalsozialistischen Deutschland manchmal hinter
vorgehaltener Hand weitererzählt wurde. Schließlich waren Hitler und Co. Spezialisten in der Wahrheitsverdrehung -
beispielsweise war die polnische Attacke auf den Sender Gleiwitz, die als Rechtfertigung für den Beginn des Zweiten Weltkriegs diente, nachweislich ein Propagandastück der Nazis selbst.
Nach 1945 erhielt die zweite Legende neue Nahrung durch Ausführungen verschiedener ehemaliger KZ-Häftlinge,
u.a. Martin Niemöller, der freilich Elser nie persönlich gesprochen hatte. Am nachhaltigsten wurde die zweite
Version verfochten von Captain Sigismund Payne Best,
einem der zwei bereits erwähnten britischen Geheimdienstoffiziere,
und von dem SS-Mann Walther Usslepp, der 1943/44 im KZ Sachsenhausen ein Jahr lang Elser zu bewachen hatte.
Elser gilt als arbeitsloser Kommunist, der beim Verteilen von Flugblättern in seiner Heimatstadt München festgenommen und ins KZ eingeliefert worden sei.
Zwei unbekannte Personen hätten Elser im KZ Dachau Freiheit und eine Belohnung versprochen, wenn er im Bürgerbräukeller eine Bombe einbaue, um einen verräterischen Klüngel in Hitlers Umgebung zu beseitigen.
Elser sei in der ersten Novemberwoche 1939 von den zwei Männern in den Bürgerbräukeller gebracht worden und habe dort den von ihnen mitgelieferten Sprengapparat eingebaut.
Elser sei von den zwei Männern an die Schweizer Grenze gebracht worden mit der Versicherung, ausreisen zu dürfen, aber von Grenzbeamten festgenommen worden.
Die zwei Männer hätten Elser im KZ erneut Leben und Freiheit versprochen, wenn er nach Kriegsende in einem
Prozess bestimmte auswendig gelernte Aussagen gegen den britischen Geheimdienst mache.
Siehe auch: Kommentierte Übersetzung.
Elser gilt als Angehöriger der Allgemeinen SS, der dem SS-Reichsführer Himmler bei dessen Besuch in Königsbronn vorgestellt und von ihm nach Berlin eingeladen worden sei.
Hitler persönlich habe Elser in der Reichskanzlei den Auftrag gegeben, im Bürgerbräukeller eine Bombe einzubauen, damit Hitler die verbliebenen gegnerischen Kräfte in Deutschland ausschalten könne.
a) Nach Usslepps erster Darstellung habe Elser die Bombe vom Sicherheitsdienst in Berlin bekommen und sei damit nach München gefahren.
b) Später behauptete Usslepp, dass Elser die Bombe in kleinen
Werkstätten ganz allein angefertigt habe.
Entgegen dem Auftrag, in München zu bleiben und sich von der Gestapo zum Schein verhaften zu lassen, sei Elser nach Konstanz gefahren und an der Schweizer Grenze gestellt worden.
Beim Verhör durch die Gestapo habe sich Elser zunächst auf den Befehl Hitlers berufen, aber wegen Aussichtslosigkeit davon abgelassen und der Idee des Schauprozesses zugestimmt.
Auch wenn Best und Usslepp sich für die Wahrheit ihrer Darstellungen verbürgten und immer wieder Zeitungen und Zeitschriften für ihre Storys fanden, zeigt schon die Gegenüberstellung, dass beide Zeugen nicht glaubwürdig sein können. Zudem sind bei beiden überprüfbare Informationen aus dem Lebenslauf Elsers schlicht und einfach falsch. Entscheidend für die Rekonstruktion des Attentats sind nach wie vor die Verhörprotokolle.