Hitler-Attentäter:

Die unheimliche Konjunktur des Georg Elser

Ein neues Berliner Denkmal für den tragisch gescheiterten Tyrannenmörder Georg Elser wirft die Frage auf: Ist er wirklich die perfekte Identifikationsfigur?
VON SVEN FELIX KELLERHOFF

  Sven Felix Kellerhoff
Sven Felix Kellerhoff

Mindestens ein Dutzend Denkmäler erinnern an ihn, gegenwärtig 41 Straßen und Plätze tragen seinen Namen, außerdem wenigstens drei Schulen. Jetzt weiht der Berliner Senat ein weiteres, das bisher prominenteste Denkmal für Georg Elser ein. Jenen schwäbischen Tischler, der am 8. November 1939 tragisch mit seinem Plan scheiterte, Deutschland und die Welt von Adolf Hitler zu befreien. [...]

Jahrzehntelang wurde der mutige Widerstand Elsers in der Bundesrepublik entweder verschwiegen oder sogar - ganz in der Tradition der Goebbels-Propaganda - zum "Werkzeug britischer Agenten" herabgewürdigt. Es dauert bis weit in die Siebzigerjahre, bis sich das änderte. Wesentlichen Anteil daran hatte der Historiker Lothar Gruchmann, der das Originalvernehmungsprotokoll Elsers entdeckte und publizierte.

In den Achtzigern gab es dann die ersten Umbenennungen von Straßen, bald kamen die ersten Georg-Elser-Schulen hinzu, außerdem rührige Elser-Initiativen. In den Neunzigern beschleunigte sich diese Konjunktur, im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends überschlug sie sich beinahe. Den vorläufigen Höhepunkt markierte 2008 die Aufstellung einer - künstlerisch durchaus wertvollen - Elser-Büste in der "Straße der Erinnerung", einer privat finanzierten Reihe von Denkmälern an der Spree in Berlin.

Auf Initiative Rolf Hochhuths

Jetzt kommt ein auf Initiative des Schriftstellers Rolf Hochhuth geschaffenes abstraktes Kunstwerk an der Wilhelmstraße hinzu. Auch diese Arbeit, eine Profillinie seines Gesichtes, ist künstlerisch interessant. Doch spätestens jetzt stellt sich die Frage, warum es zu diesem verspäteten Huldigungs-Tsunami für Elser gekommen ist.

Keine Frage: Sein Attentat, die Tat eines idealistischen Einzeltäters, war moralisch und als Akt des Widerstandsrechtes legitim. Elser verdient es, dass an ihn erinnert wird, in seiner Heimat, am Ort seiner gescheiterten Tat in München, an den Orten seines Leidens in den Händen des NS-Regimes, also in Konstanz, München, Berlin, Sachsenhausen und Dachau. Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand in der Hauptstadt widmet sich seiner Tat ausführlich. All das ist richtig und angemessen.

Schwieriger ist es mit der "Straße der Erinnerung". Hier steht Elser in einer Reihe mit anderen Persönlichkeiten wie Walter Rathenau, Edith Stein und Albrecht Haushofer. Allerdings unter der Überschrift "Helden ohne Degen", was bei einem tragisch gescheiterten Tyrannenmörder wie dem Bombenattentäter von München schlicht widersinnig ist.

Perfektes Vorbild für Wutbürger

Die unheimliche Konjunktur des Georg Elser dürfte einen schlichten Grund haben: Als überzeugter Hitler-Gegner, der seine Aversion gegen Gewalt überwand, um Hitlers Krieg zu beenden, bevor er den ganzen Kontinent in den Abgrund riss, bietet er sich als Identifikationsfigur an. Er ist weitaus leichter zur Selbstvergewisserung zu nutzen als etwa ein elitärer Offizier wie Stauffenberg, als ein hochkonservativer Politiker wie Carl Friedrich Goerdeler, als die fälschlich dem sowjetischen Geheimdienst zugerechneten Widerständler der "Roten Kapelle".

In unseren so moralischen, so politisch korrekten Zeiten bietet Georg Elser die optimale Projektionsfläche für all die nachgeholte Opposition zum Nationalsozialismus, die Deutschlands politische Kultur bis heute prägt. Das kann so weit gehen, dass die "Wutbürger" von Stuttgart 21, die Weiße Rose und Georg Elser im selben Atemzug genannt werden. Der gescheiterte Tyrannenmörder wird so zum perfekten Vorbild für alle Gutmenschen, auf das man sich beruft im (falschen) Bewusstsein, allein schon dieses Bekenntnis sei eine mutige Handlung.

An der Ehrenhaftigkeit von Georg Elsers Tat ändert das nichts. Doch sollte man bedenken, dass Konjunkturblasen stets irgendwann platzen. Das gilt nicht nur für die Finanzmärkte, sondern auch für die Gedenkkultur.

Quelle: Die Welt 8.11.2011

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