Am Ende fehlen nur zehn Minuten, die die Weltgeschichte anders hätten verlaufen lassen. Zehn Minuten zu früh verlässt am Abend des 8. November 1939 die Zielperson den Tatort eines der am besten geplanten Attentate aller Zeiten. ...
Johann Georg Elser ist das Musterbeispiel eines idealistischen Einzeltäters. Wichtig ist allerdings, dass man diese Einstufung wertfrei versteht: Idealistische Einzeltäter verfolgen keineswegs immer, wie zufällig gerade im Fall Elser, ein legitimes Ziel. Selbstverständlich war sein Attentat auf Hitler ein versuchter Tyrannenmord und als solcher ein Akt des Widerstandsrechts - auch wenn er den Tod von Unbeteiligten billigend in Kauf genommen hatte, was zum 60. Jahrestag seines Anschlags zu einer skurrilen Debatte in deutschen Feuilletons führte.
Jedoch können idealistische Einzeltäter durchaus objektiv illegitime und im historischen Rückblick falsche Ziele verfolgen. Wichtig für die Abgrenzung von wahnsinnigen Einzeltätern ist allein, ob ihre subjektive Motivation rational geprägt war - oder ob sie von unrealistischen Wahnvorstellungen zu ihrer Tat getrieben wurden.
Ein idealistischer Einzeltäter ist sich von vornherein über die möglichen Konsequenzen seiner Handlung für sich selbst im klaren. Er hat den Entschluss gefasst, für die Beseitigung einer von ihm für gefährlich gehaltenen Person ein hohes Risiko auf sich zu nehmen. Einen anderen Antrieb kennt er nicht. Die Sucht nach Ruhm treibt ihn ebenso wenig an wie mögliche materielle Vorteile.
Allerdings macht er sich meistens keine Vorstellung davon, welche Auswirkungen seine Tat haben kann - weder im guten noch im schlechten. Über die politischen Folgen sinnieren idealistische Einzeltäter kaum und über einen möglichen Lohn für die Tat schon gar nicht. Für einen idealistischen Einzeltäter ist sein Tun selbst das Ziel. Darüber hinaus denkt er selten; und wenn, dann nur (wie im Fall Elser) ganz eng entlang seiner eigenen Tat. Zum Beispiel, um die eigene Schuld beweisen zu können.
Es besteht kein Grund, idealistische Einzeltäter aufgrund ihrer subjektiven Rationalität pauschal für legitimiert zu halten. Im Gegenteil muss man jedes einzelne Attentat genau betrachten, um entscheiden zu können, ob es sich um einen zulässigen Tyrannenmord oder um einen unzulässigen politischen Gewaltakt handelt. Das ändert allerdings nichts daran, dass die Gemeinsamkeiten dieses Typs von Attentätern so groß sind, dass es lohnt, sie gemeinsam einer Betrachtung zu unterziehen.
Sven Felix Kellerhoff (*1971 in Stuttgart) ist Historiker und Journalist. Er studierte Neuere und Alte Geschichte
sowie Medienrecht vorwiegend an der Freien Universität Berlin und absolvierte die Berliner Journalistenschule.
Seit 1993 ist Kellerhoff Journalist mit Schwerpunkt Zeit- und Kulturgeschichte, vor allem für die
"Berliner Zeitung", die "Badische Zeitung" und den "Bayerischen Rundfunk".
Für den Axel Springer Verlag ist er seit 1998 tätig, unter anderem bei der "Berliner Morgenpost" als Leiter
der Wissenschaftsredaktion und als Verantwortlicher für die Berlin-Kultur sowie als leitender Redakteur für
Zeit- und Kulturgeschichte bei "Die Welt".
Sven Felix Kellerhoff gliedert Attentäter in sieben Kategorien: