Bereit zur Gewalt - aus Verantwortung
Johann Georg Elsers Kampf gegen den Terrorismus an der MachtVon Peter Steinbach, Historiker
Kriegerische Auseinandersetzungen hatten sich im Zeitalter der Diktaturen zu Weltanschauungskonflikten gewandelt. Sie hoben die Grenzen zwischen Front und Heimat auf. Der Kampf gegen den Kriegsgegner sollte auch in der Heimat, an der "inneren Front" geführt werden. Dort konnte und musste er gegen alle gerichtet werden, die an der Heimatfront von den Mächtigen im Kampf um den weltanschaulichen Führungsanspruch in der Welt zum Gegner bestimmt worden waren. In Deutschland waren weltanschaulich und rassisch als "Feinde" definierte Menschen zu Vertretern des angeblich "Bösen schlechthin" gemacht worden. Aus Nachbarn wurden vielfach Mörder, staatlich gedeckt, immer neu mobilisiert, schließlich mehr in den Krieg getrieben als geführt, aus dem sie sich nur dann hätten befreien können, wenn Deutsche ihre Waffen gegen die eigene Regierung gerichtet hätten.
Am 8. November 1939, man vergisst es zu schnell, versuchte ein einzelner Mensch, ein Attentäter aus dem Volk, der Schreiner Georg Elser, mit einem Anschlag auf Hitler diese Möglichkeit zur Wendung es Schicksals zu nutzen. Inzwischen ist seine Tat bekannt. Mit dem Attentat, das den Namen des Münchner Bürgerbräukellers in das Gedächtnis der Nachlebenden einbrannte, wollte er Hitler und führende Paladine töten. Er kam seinem Ziel denkbar nahe, fünf Jahre vor dem Attentat des 20. Juli 1944. Seine Tat erschien selbst Gegnern des NS- Staates so unwahrscheinlich, dass sie Elser, "dem wahren Antagonisten" Hitlers, seine Tat lange Zeit nicht zuschreiben konnten und wollten. Noch in der unmittelbaren Nachkriegszeit hatte man den Schreiner, der fast fünf Jahre in absoluter Isolierhaft leben musste, zu einem Werkzeug der SS machen wollen und ihn damit nicht nur, wie Jahre zuvor die Nationalsozialisten, seiner Tat beraubt. Diese hatten ihn zu einem Agenten des britischen Geheimdienstes machen wollen.
Erst in den sechziger Jahren konnte dieses entwürdigende Fehlurteil, das weniger Elser, als vor allem dessen uneinsichtige Verleumder charakterisiert, korrigiert werden. Die Vernehmungsprotokolle der Gestapo wurden ediert und kommentiert. Sie machen deutlich, dass Elser seine Tat begangen hatte, weil er den Nationalsozialismus und seine Führungsschicht nicht nur ablehnen, sondern aktiv bekämpfen und auf diese Weise im letzten Moment den schicksalhaft eingeschlagenen Weg der Welt in die Kriegskatastrophe mit allen Auswirkungen für das Zusammenleben der Menschen und Völker wenden wollte. Elser hatte aus vielschichtiger Motivation gehandelt und über lange Zeit hinweg sein ganzes Sinnen und Trachten auf die Ausschaltung Hitlers gerichtet. Er war so nicht nur der "Antagonist" des deutschen Diktators geworden, sondern hatte nicht zuletzt den politischen Eliten vor Augen geführt, was möglich war, zu einem Zeitpunkt, als diese noch versuchten, durch eine entschlossene Haltung der europäischen Regierungen Hitler und seine Führung zu beeindrucken.
Nicht wenige Regimegegner aus bürgerlich-militärischen Kreisen setzten, heute geradezu unvorstellbar, auf Hermann Göring als Alternative zu Hitler. Gewiss ist dies als Ausdruck einer Zeitverhaftung mancher opponierender Zeitgenossen zu deuten. Aber Elser gehörte nicht zu denen, die sich diese Illusionen machten. Er handelte nicht aus den Horizonten seiner Zeit, sondern wollte Hitler stürzen und nicht nur von der Regierungsmacht fernhalten. Er wollte den deutschen Diktator durch seine Tötung für allezeit ausschalten. Elser ist deshalb nicht nur als Antagonist, als Gegenspieler Hitlers zu bezeichnen, sondern als einer der wenigen "wahren Protagonisten" eines zum Einsatz des eigenen Lebens entschlossenen Widerstands zu bezeichnen, die es zu dieser Zeit in aussichtsreicher Position in Deutschland gab.
In den vergangenen Jahren hat sich ein neues Bild von Elser ergeben. Es ist vor allem der Verdienst des bürgerschaftlichen Engagements kleiner Initiativen historisch interessierter und um ein gerechtes Urteil bemühter Menschen in Elsers Geburtsort Königsbronn, in Heidenheim und Umgebung, vielleicht auch einer historischen Ausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, wenn die Verzeichnungen von Elsers Person und Tat korrigiert wurden. Inzwischen gibt es nicht nur Gedenktafeln und eine kommunale Elser-Gedenkstätte, sondern sogar einen Georg-Elser-Preis, der erstmals in diesem Jahr in München verliehen wird, um Menschen auszuzeichnen, die den Mut und die Kraft haben, Zeichen der Nonkonformität, also der Zivilcourage zu setzen.
Vergessen ist damit der entwürdigende Streit, den vor zwei Jahren ein "klügelnder" Chemnitzer Privatdozent mit seiner Antrittsvorlesung entfacht hat. Dieser hatte Elser der Verantwortungslosigkeit geziehen, weil sein Anschlag auf Hitler Unbeteiligte betraf, die sich zufällig im Bürgerbräukeller aufhielten. Die neuen Zweifel an Elser sollten nicht mehr historisch, sondern moralphilosophisch begründet werden. Elser warf man vor, dass er sich nicht selbst geopfert, Unbeteiligte verletzt und sogar deren Tod in Kauf genommen hatte. Diese Vorwürfe wurden nicht aus der Sache begründet. Man übersah, dass die Tat vor allem als eine Reaktion auf die nationalsozialistische Politik und auf die durch sie legitimierte Entrechtung von immer mehr Menschen, ein Jahr nach dem Novemberpogrom des Jahre 1938, und auf den Beginn eines Weltanschauungskrieges zu deuten war. Kritiker der fundamentalen Infragestellung eines riskanten und verzweifelten Versuches, den Diktator und Verbrecher an der Macht auszuschalten, wurden geradezu in die Nähe jener gerückt, die terroristische Gewalt als ein Mittel der Politik rechtfertigten. Zumindest unterstellte man ihnen, gegen Gedankenfreiheit zu sein und Denkverbote auszusprechen; die Gedenkstätte wurde dabei sogar als Gralshüterin des deutschen Widerstands bezeichnet.
Es ist zu erwarten, dass angesichts der Konfrontation der Welt mit einer ganz neuen Form terrorisierender Gewalt, die im Anschlag auf die Zwillingstürme des New Yorker World Trade Center und auf das amerikanische Verteidigungsministerium vom 11. September 2001 gegipfelt hatte und den Tod von mehr als 6.000 Menschen bedeutete, die Schwierigkeiten nicht geringer werden, Elsers Tat zu würdigen.
Der Schreiner Johann Georg Elser war kein Terrorist, der eine Gesellschaft durch Massenterror erschüttern wollte. Denn seine Tat richtete sich gegen Hitler und seine Führungsclique als einen der größten Terroristen an der Macht, den es damals gab. Hitler ist nicht zu relativieren, auch nicht durch Stalin, den zweiten großen und verbrecherischen Diktator des 20. Jahrhunderts. Denn jener verkörperte wie dieser eine der beiden großen antizivilgesellschaftlichen Bewegungen, die sich gegen die Mitmenschen richtete und aus ihnen Gegenmenschen machte. Gewiss glaubten manche, den Teufel mit Beelzebub austreiben, Hitler mit Stalin bekämpfen zu können. Diese Illusionen teilten sie mit anderen Mächtigen der Welt, die auf die Sowjetunion angewiesen waren, um das Dritte Reich militärisch zu besiegen und Deutschland ebenso wie die Welt vom Nationalsozialismus zu befreien. Damit rechtfertigten sie nicht die Politik des Stalinismus, so wenig wie jene, die im Laufe der Zeit erkannten, dass es andere Wege gab, die Welt zu verändern, als jene, die Stalin propagierte.
Man stelle sich hingegen vor, Stalin sei so ausgeschaltet worden wie Elser es im Hinblick auf Hitler plante. Stalin kann überdies so wenig wie der italienische Diktator Mussolini das Maß für die Beurteilung Hitlers liefern, ebenso wenig, wie dieser das Maß für die Einschätzung von Stalin geben kann, denn dieses wird definiert durch die staatlich angeordnete und gedeckte Verletzung der Menschenrechte, die Schändung des Einzelnen und durch die kollektive Entrechtung von Minderheiten, mithin von angeblichen "Klassen- und Rassenfeinden" oder weltanschaulichen Gegnern von Nationalsozialismus und Kommunismus. Unbestreitbar ist, dass Elser den Terrorismus in Deutschland mit einem Schlag beenden wollte. Deshalb griff er zu dem letzten ihm denkbaren Mittel der Gewalt.
Elser wusste, dass er auf diese Weise Schuld auf sich nehmen würde. Dies tat er nicht aus ideologischer Verblendung oder einer Machtphantasie, gar aus dem vermessenen Wunsch heraus, in die Geschichtsbücher einzugehen. Sondern er bekannte sich zu seiner ganz individuellen Verantwortung für die "Irrwege" deutscher Politik, die sich schließlich zur "deutschen Katastrophe" steigerten. Er setzte ein Zeichen gegen eine verbrecherische Politik. So nahm er Schuld auf sich, weil er Verantwortung zu übernehmen hatte, ganz unabhängig davon, ob ihn dies persönlich belastete und gefährdete. Wenn er nach der Vorbereitung des Anschlags versuchte, in die Schweiz zu entkommen, dann tat er dies nicht, weil er feige war, sondern weil nur die Flucht die Chance eröffnete, Unschuldige vor einer blinden Verfolgung durch die nationalsozialistischen Machthaber zu bewahren.
Elser bekannte sich zu seiner Verantwortung und zu seiner Tat. Damit unterschied er sich von vielen Parteigängern des nationalsozialistischen "Regierungs-Terrorismus" an der Macht, die immer wieder behauptet hatten, lediglich Befehlen gefolgt zu sein und sich zu einem Eid bekannten, ohne sich zu fragen, ob ein "verratenes Volk" nicht gerade zu einem unbedingten Befehlgehorsam, der sich nicht selten aus Angst und Karriereehrgeiz speiste, noch zusätzlich verraten würde. Der eigentliche Verräter an Deutschland und der Zivilisation, zu der man sich bis 1933 bekannt hatte, hieß Hitler.
Dies hatte Fritz Bauer in den frühen fünfziger Jahren unmissverständlich gemacht. Er hätte Elser niemals angeklagt, vielleicht, weil er lange vor der Aufnahme des Widerstandsartikels in das Grundgesetz wusste, dass Widerstand gegen eine verbrecherische Staatsgewalt die Konsequenz einer moralischen Entscheidung war, die geboten war, wenn andere Abhilfe nicht möglich war. Bauer hätte, nach 1933 vertrieben aus Deutschland, nach 1945 konfrontiert mit Zeitgenossen, die noch Jahrzehnte später ihre Beteiligung an Massenverbrechen relativierten und minimierten, verstanden, was es für einen Schreiner bedeutet hatte, eine geradezu unvorstellbare Verantwortung auf sich zu nehmen, für seine Tat, für die Nebenfolgen des sorgfältig vorbereiteten Attentats, für seine engsten Angehörigen - seine Mutter, seine Geschwister, seinen Sohn - die Elser in dem verbrecherischen System zurücklassen musste, das er mit seinem ganzen ihm möglichen Einsatz bekämpfte.
Elser war kein Terrorist sondern ein Widerstandskämpfer. Dies wussten die Nationalsozialisten. Sie stellten einen Zusammenhang her, den die deutsche Nachkriegsgesellschaft nicht anerkennen wollte. Denn sie ermordeten Elser am 9. April 1945, wenige Wochen vor dem Ende des NS-Staates, am selben Tag wie Bonhoeffer, Canaris, Sack und Dohnanyi. Elser ist keine Herausforderung, denn seine Tat ist verständlich, wenn man das Dritte Reich als Unrechtsstaat akzeptiert. Eine Herausforderung für die nachdenklichen Nachlebenden bleibt die deutsche Gesellschaft, die Hitlers Herrschaft trug, bleiben Militärs, die sie bis zum bitteren Ende verteidigten und die sich in der Diffamierung des Widerstands auch noch nach 1945 zu einem moralisch verwerflichen Eid auf ihren "Führer" und zu einer Fahne bekannten, die das Hakenkreuz trug.
Warum ist es so schwer gewesen, zu akzeptieren, dass man ein verratenes Volk nicht durch Widerstand verrät, sondern durch Folgebereitschaft, durch Anpassung, durch Kadavergehorsam? Elser war kein Terrorist, sondern ein Attentäter aus dem Volk, der in den Zusammenhang der Attentatsversuche gegen Hitler und damit in die deutsche Widerstandsgeschichte gehört. Nichts spricht dafür, hinter das Bekenntnis des heutigen Staatsministers des Landes Baden-Württemberg, Professor Palmer, zurückzufallen, der sich bei der Eröffnung der Elser-Gedenkstätte in Königsbronn zu diesem "großen Sohn" seines Landes bekannte.
Elser starb zur gleichen Zeit wie Bonhoeffer, deshalb möchte ich versuchen, diese Stunde zu nutzen, um auch eine geistige Verbindung zwischen diesen beiden bedeutenden Gegnern des NS-Staates herzustellen. Trifft auf Elser nicht zu, was Bonhoeffer in einer der dichtesten Schilderungen seiner Erfahrungen mit der Diktatur in seiner kleinen Skizze "Nach zehn Jahren" ausgedrückt hat? Hier finden wir auch den Satz, mit dem ich schließen möchte. "Was steckt", so fragte Bonhoeffer, "eigentlich hinter der Klage über die mangelnde Zivilcourage?" In diesen Jahren, so führ er fort, habe man "viel Tapferkeit und Aufopferung, aber fast nirgends Zivilcourage gefunden". Dies sei nicht "Ausdruck persönlicher Feigheit", sondern die Folge einer spezifischen Tugend der Deutschen, ihrer "Kraft zum Gehorsam". Wenn Sinn und Größe unseres Lebens aber in der Unterordnung persönlicher Wünsche und persönlicher Gedanken unter einen "uns gewordenen Auftrag" liegen sollen, dann bleiben die Blicke nach oben gerichtet, nicht in sklavischer Furcht, sondern im "freien Vertrauen" in "Beruf und Berufung". Lieber dem Befehl von oben als dem eigenen Gutdünken zu folgen, dies führe dazu, Gehorsam in Verbindung mit dem "Äußersten an Tapferkeit und Lebenseinsatz" zu rücken. Freiheit werde so: Freiheit vom Eigenwillen.
Seine Kraft zur Widerständigkeit in der Diktatur zu entdecken heißt zu erkennen, dass die Bereitschaft zur Unterordnung, zum "Lebenseinsatz" missbraucht werden können "für den Auftrag ... zum Bösen". Dies bringe zwar "alle sittlichen Grundbegriffe des Deutschen ins Wanken", schaffe aber die Vorraussetzung für etwas, was Karl Wilhelm Fricke als Vermächtnis des Widerstands bezeichnen wollte und was die "Erfahrung aus dem Widerstand", wie sie mir persönlich wichtig ist, genannt werden könnte: Wenn die Deutschen, wenn wir, der Beschäftigung mit dem Widerstand die "entscheidende Grunderkenntnis" verdanken, es sei auch notwendig, seine freie und verantwortliche Tat gegen Beruf und Auftrag zu richten, dann ist die Gefahr einer "verantwortungslosen Skrupellosigkeit" gebannt. Gefahren gehen dann von einer Stimmung "selbstquälerischer Skrupelhaftigkeit" aus, die - so Bonhoeffer - "nur zur Tat führt".
Zivilcourage bezeichnet Bonhoeffer als "freie Verantwortlichkeit des freien Mannes". Die Deutschen, schrieb er, fingen erst heute, 1943, an zu entdecken, was freie Verantwortung heißt. Bonhoeffer war optimistisch. Er setzte auf die Lernfähigkeit. Sich vorzustellen, dass die Geschichte eines neuen Widerstands wenige Wochen nach seinem Tod beginnen könnte, dass noch einmal fast 50 Jahre Widerstandsgeschichte in einer Diktatur durchstanden werden müsste, dass sich wiederum "verantwortungslose Skrupellosigkeit" und "selbstquälerische Skrupelhaftigkeit" austarieren sollten, das war ihm nicht vorstellbar. Er lebte aus der Vision, nicht Genies, nicht Zyniker, nicht Menschenverächter, nicht raffinierte Taktiker werde man brauchen, sondern "schlichte, einfache, gerade Menschen", die gegen das "Aufgezwungene stark genug" seien und uns zur "Aufrichtigkeit gegen uns selbst schonungslos" zwängen.
Elser - ein einfacher, ein gerader und ein schlichter Mensch, ohne Zweifel. Ob es ihm gelingt, uns in der Auseinandersetzung mit ihm "schonungslos" auch mit uns auseinander zu setzen, das liegt nicht an ihm, sondern an uns, an uns allein. Vielleicht markiert den Beginn unserer Auseinandersetzung das Bekenntnis zu Elser. So liegt nicht nur sein Bild verpflichtend in unserer Hand, wir müssen uns auch vor ihm und seiner Tat ausweisen, substantiell, nicht aufgeregt, sondern derart besonnen und reflektiert, wie er handelte in den Wochen vor dem 8. November 1939 und in den langen Jahren seiner völligen Isolation.
Quelle: Unerschrockenes Handeln gegen die Staatsgewalt, Georg-Elser-Preis 2001, München 2001
Steinbach/Tuchel: Der Mann, der es tat
Steinbach/Tuchel: Es schien, als schreckte die Öffentlichkeit vor Elser zurück