Mit dem am Verhör des Hitler-Attentäters in Berlin beteiligten Herbert Kappler beschäftigt sich der
neueste Band der Georg-Elser-Schriften
Ein Millionenpublikum war Zeuge, als Anneliese Kappler im Spätsommer 1977 im Fernsehmagazin "Report"
erzählte: "Die Flucht habe ich allein vorbereitet und allein durchgeführt." In Deutschland war
die Heilpraktikerin vor Strafverfolgung sicher: Tatort der Befreiung eines Gefängnisinsassen war Italien.
Der dort fast 30 Jahre Inhaftierte war Anneliese Kapplers Ehemann Herbert Kappler – als Gestapo-Kommissar
beteiligt am Berliner Verhör des Königsbronner Hitler-Attentäters Georg Elser.
VON PETER A. ZDANSKY
Herbert Kappler bei seinem Prozess 1948 in Rom.
Vorrangig mit Kappler, aber auch mit den zwei anderen Gestapo-Kommissaren, die Elser vom 19. bis 23. November 1939
in der Zentrale der Geheimen Staatspolizei vernommen haben, beschäftigt sich die neueste Folge der Schriftenreihe,
die von der Georg-Elser-Gedenkstätte Königsbronn herausgegeben wird.
Autor des neunten Bandes –
"Elser und die Kommissare – ist der in Giengen aufgewachsene Journalist Ulrich Renz, der in
Heidenheim als Tageszeitungsredakteur und danach für Presseagenturen gearbeitet hat. Renz, der
als Berichterstatter 15 NS-Prozesse mitverfolgt hat, lebt – inzwischen im Ruhestand – in Karlsruhe.
Kurze Zeit vor Veröffentlichung von "Elser und die Kommissare" ist die Gedenkstätte in den
Besitz eines Lesepultes gelangt: Die in Stuttgart lebende Juristin Elisabeth Alim, die über Jahre
hinweg mit Anneliese Kappler befreundet, und ihr bei der Arbeit am Buch "Ich hole dich heim"
behilflich war, hat berichtet, dass Kapplers Ehefrau zufolge Georg Elser diesen Tischaufsatz während
seiner Inhaftierung im KZ Sachsenhausen Herbert Kappler geschenkt habe. Die Schilderungen der 1942
geborenen Alim über die Beziehung zwischen dem Hitler-Attentäter und dem Gestapo-Mann basieren auf
Erzählungen Anneliese Kapplers; zusätzlich hat Alim einige Recherchen gemacht.
Nach Anneliese Kapplers Worten sollen Herbert Kappler (den Alim allerdings nicht mehr selbst kennenlernte)
und Elser, die beide ein ausgeprägtes Schwäbisch sprachen, zueinander ein gutes Verhältnis gehabt haben;
Elser habe zu Kappler Vertrauen gehabt und ihn geschätzt. Als Kappler Elser einmal im KZ Sachsenhausen
aufgesucht habe, habe der Inhaftierte – er war von Beruf Schreiner – ihm dieses selbstgefertigte Lesepult
zum Geschenk gemacht.
Wer war nun der Mann, der – so gibt Journalist Renz Elisabeth Alim wieder –
wie andere Gestapo-Beamte stets davon überzeugt war, dass Elser Alleintäter war, und der bis zuletzt
immer wieder mit Achtung von Elser geredet hat?
9. Februar 1978: Aufgezehrt von Darmkrebs, stirbt Herbert Kappler im niedersächsischen Soltau, Heimat seiner
Frau, die ihm ermöglicht hat, in den ersten Stunden des 15. August im Vorjahr aus einem römischen
Militärhospital zu fliehen, in das er aus der Gefängnisfestung Gaeta (rund 130 Kilometer südöstlich von Rom)
verlegt worden war. Welche Mittel und Wege Anneliese Kappler nun im Detail gefunden hatte, ihren Mann nach
Deutschland zu holen, darüber herrscht nach wie vor nicht vollständige Klarheit.
335 Geiseln erschossen
Keine Einigkeit besteht in der Bewertung der juristischen Gründe, aus denen Kappler eine lebenslange Freiheitsstrafe
zu verbüßen hatte. Verhängt hatte sie das britische Militärgericht für den Bezirk Rom 1948 im Zusammenhang mit
der Rolle Kapplers im Massaker in den
Ardeatinischen Höhlen
am 24. März 1944. Hierbei wurden 335 italienische
Geiseln erschossen, als Rache für den Tod von 33 Angehörigen des Polizeiregiments "Bozen" infolge
eines Bombenanschlags der Resistenza, der Widerstandsbewegung gegen italienische und deutsche Faschisten. Kappler
selbst hatte die schließlich von Adolf Hitler angeordnete Exekution vorgeschlagen und war für diese mit
der örtlichen Befehlsgewalt ausgestattet.
So widerspricht der Historiker Gerhard Schreiber der gängigen Darstellung, Kappler – der selber zur Waffe
gegriffen hatte – sei verurteilt worden, da er fünf Geiseln zu viel habe erschießen lassen, weil aufgrund
einer so genannten Repressalquote je Getötetem die Exekution von zehn und damit von insgesamt "nur"
330 Geiseln akzeptabel gewesen wäre: Die Hinrichtung, so zitiert er in seinem Buch "Deutsche Kriegsverbrechen in
Italien" das Gericht, sei "losgelöst von einer sie rechtfertigenden Ursache" erfolgt.
Schuldig gesprochen worden, so Schreiber, sei Kappler wegen aller 335 Tötungen. Renz dagegen folgt der
Auffassung, die Verurteilung sei erfolgt, weil Kappler fünf Menschen mehr habe erschießen lassen, als "die
perversen Regeln des Kriegsrechts erlaubten". Humanistisch-ethisch betrachtet, war Kappler in jedem Falle
ein Mörder – er "trieb die Schützen an und drückte auch selbst ab" (Renz). Auf die Suche nach
Spuren dieses Menschen also hat Renz sich begeben.
Unter den drei Gestapo-Kommissaren, die Elser in Berlin verhört haben, ist Kappler derjenige, von dem am
meisten bekannt ist: Er "machte die steilste Karriere und erlebte danach den tiefsten Absturz".
Der Autor zeichnet Wegstationen eines Mannes nach, der 1907 in Stuttgart als Sohn eines Oberrechungsrates das Licht
der Welt erblickte und im Zuge seines schnellen Aufstiegs im NS-Apparat auch mit Elsers Vernehmung beauftragt
war – die allerdings für Kappler "angesichts der folgenden dramatischen Ereignisse in Italien rasch
an Bedeutung verlor".
Kapplers Rolle in Rom sei umfangreich dokumentiert – im Gegensatz zu jener im
Fall Elser. Die unter Kapplers menschenverachtender Regie begangenen Morde in den Ardeatinischen Höhlen sind
im Übrigen Thema des Spielfilms
"Massaker in Rom – Der Fall Kappler"
von 1973, mit Richard Burton
in der Rolle des Herbert Kappler.
Im August 1931, noch während seines Studiums zum Elektroingenieur, war Kappler NSDAP-Mitglied geworden. Knapp
eineinhalb Jahre, bis Anfang Dezember 1932, diente er in der SA, dann wechselte er in die SS. Außerdem
bescheinigt ein so genannter Personal-Bericht Kapplers Zugehörigkeit zur Gestapo seit Juni 1933 und befürwortet
die Beförderung zum SS-Untersturmführer. In diesem Rang wurde Kappler – zudem war er Kriminalkommissar –
Polizeiattaché an der deutschen Botschaft in Rom – schon vor Elsers Attentat im Münchner "Bürgerbräukeller"
am 8. November 1939.
Die Vernehmung Elsers, so Renz, müsse für Kappler – der im später von Deutschland besetzten
Italien Kommandant der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes in Rom war – also lediglich "ein
Intermezzo" gewesen sein. Die erwähnte langjährige Freundin von Kapplers Witwe, Elisabeth Alim,
habe berichtet, dass Kappler zum Berliner Verhör auf Empfehlung der Stuttgarter Gestapo herangezogen
worden sei, die darauf verwiesen habe, dass Kappler hervorragend geeignet sei, einen guten Kontakt zum
gleichfalls schwäbelnden Attentäter herzustellen.
Sämtliche Bände der Schriftenreihe (gefördert durch die Landeszentrale für politische Bildung) sind
erhältlich bei der Georg-Elser-Gedenkstätte, Bürgermeisteramt Königsbronn, Telefon (07328) 96250,
Georg-Elser-Gedenkstaette@koenigsbronn.de.
Im Zuge seiner Recherchen in Sachen Kappler hat sich Renz auch der Frage gewidmet, aus welchem Grunde
Elser nach der Münchner Vernehmung unter Leitung von Reichskriminaldirektor Arthur Nebe und anderen hochrangigen
Beamten denn überhaupt nochmals verhört wurde – und noch dazu von drei vergleichsweise unbedeutenden Gestapo-Leuten.
Und er hat ausführlich die Bemühungen des Historikers Dr. Anton Hoch dokumentiert, vom inhaftierten Kappler
Informationen über das Verhör Elsers zu erhalten.
Daran beteiligt war außerdem Friedrich Seibold, der nach dem Krieg als selbständiger Handelsvertreter
gearbeitet hat und 1997 in seiner Geburtsstadt München gestorben ist. Und ein Mann namens Schmidt,
Vorname unbekannt: Die Elser-Protokolle tragen lediglich die Nachnamen der Verhörenden. Bislang, so
schreibt Renz abschließend, seien die durch die Häufigkeit des Nachnamens erschwerten Nachforschungen
über diesen Kriminalkommissar nicht erfolgreich gewesen - doch "sie gehen weiter".
Quelle: Schwäbische Post 14.4.2009 - www.schwaepo.de