Alles deutet auf Friedrich Schmidt-Schütte hin - Er starb im Jahre 1983
Womöglich wird sich nie mehr feststellen lassen, wer denn nun der dritte unter jenen drei Gestapo-Kommissaren war, die Georg Elser in Berlin tagelang verhört und das legendäre Vernehmungsprotokoll angefertigt haben. Alles deutet darauf hin, dass es sich um einen Mann namens Friedrich Schmidt handelte, der sich später Schmidt-Schütte nannte. Doch ein konkreter Beweis für die Verbindung zwischen ihm und dem Fall Elser ließ sich bisher nicht finden. Die weiteren Ausichten bei der Suche sind nicht gut.
VON ULRICH RENZ (2013)
Ulrich Renz
Auch bei dieser Suche rächen sich die Versäumnisse, die in den ersten langen Jahren nach dem Krieg die Elser-Forschung geprägt haben. Wenig wurde damals unternommen,
um Zeitzeugen ausfindig zu machen und zu befragen. Wäre nicht in München ein Ermittungsverfahren geführt worden, in dessen Mittelpunkt die Vernehmung
von Angehörigen Elsers stand, sähe die Bilanz noch schlechter aus. In den 1960er Jahren unternahm es dann der Historiker Anton Hoch vom Institut für Zeitgeschichte in München,
die Wahrheit zur erforschen, nachdem sein Kollege Lothar Gruchmann das
Vernehmungsprotokoll
entdeckt hatte. Während seiner langwierigen Recherchen spürte er zwei der Kommissare auf. Den dritten fand aber auch er nicht. Denn wie die beiden
anderen setzte dieser nur seinen Nachnamen unter das Protokoll, und in seinem Fall war es eben ein Allerweltsname: Schmidt - ohne jede weitere Erklärung.
Beispiel auf Seite 44, Ende des ersten Verhörtags.
So lauteten also die drei Namen unter dem wichtigsten Dokument im Fall Elser: Kappler, Seibold, Schmidt. In keinen amtlichen Unterlagen über diese ehemaligen Angehörigen der Gestapo findet sich ein Hinweis darauf, dass sie bei den Ermittlungen gegen den Königsbronner Widerstandskämpfer eine Rolle spielten. Offensichtlich war dieser Abschnitt in ihrer Karriere, über die sonst alle möglichen Dokumente Auskunft geben, nur eine kurze Episode. Fünf Tage dauerte das Verhör in der Gestapo-Zentrale in Berlin. Dann gingen die drei Vernehmer wieder getrennte Wege. Inzwischen ist bekannt, dass sie auch vorher nicht zusammen gearbeitet hatten. Sie waren aus verschiedenen Dienststellen, von verschiedenen Posten zusammengerufen worden, um Elser zu vernehmen. Ohnehin war das Reichssicherheitshauptamt (RSHA), zu dem die Gestapo gehörte, damals eine "Baustelle", offiziell erst im September 1939 geschaffen. Der Kriminalrat
a.D. Hans Lobbes sagte im September in einem Ermittlungsverfahren als Zeuge aus: "Ich möchte hierbei nicht unberücksichtigt lassen, dass im RSHA häufig Beamte Dienststellen wechseln mußten und auch bei Abordnungen die Dienststellen durchliefen und später wieder zu ihren üblichen Dienststellen zurückkehrten." Die Georg Elser Gedenkstätte in Königsbronn schildert
im Band 9 ihrer Schriftenreihe unter dem Titel
"Elser und die Kommissare" jene Zeiten.
Anton Hoch gelang es dennoch, die Kommissare Kappler und Seibold und vor allem ihre Verwicklung in den Fall Elser ausfindig zu machen, obwohl die amtlichen Akten diese Verbindung nicht erkennen ließen. Bei Herbert Kappler war dies relativ einfach. Sein Name war hinlänglich bekannt, denn er wurde gleich nach dem Krieg in Italien wegen der Erschießung von Geiseln verurteilt und saß auf der Gefängnisinsel Gaeta. Sein Fall schlug hohe Wellen und beschäftigte die deutsche Öffentlichkeit immer wieder. Hoch schrieb ihm nach Gaeta und erhielt die Bestätigung, dass der Adressat zu den Vernehmern Elsers gehört hatte.
Den einstigen Kommissar Seibold fand Anton Hoch durch den Hinweis eines anderen ehemaligen Angehörigen des Reichssicherheitshauptamtes. Der Gesuchte lebte in München, lehnte allerdings
Gespräche mit dem Historiker strikt ab, weil er seine Ruhe haben wollte: Er "hat genug", ließ er wissen. Immerhin stand nun aber auch seine Rolle fest. Sein Leben wird ebenfalls in
Band 9 der Königsbronner Schriftenreihe ausgebreitet. Seibold starb 1997 in seiner Heimatstadt München und nahm sein Wissen über Elser mit ins Grab.
Über "Schmidt" konnte die Gedenkstätte in ihrem 2008 erschienenen
Band 9
nur spekulieren - und das völlig unbefriedigend. Doch bei der weiteren Suche geriet ein Mann ins Visier, auf den alle Zeichen hindeuten: Friedrich (Fritz) Schmidt, geboren am 6. Dezember 1908 in Bochum. Nach Alter, Ausbildung, Dienstgrad und Aufenthalt zur fraglichen Zeit passt er ins Bild. Er studierte Jura, bewarb sich aber nicht bei der Justiz, weil er das zweite Staatsexamen nur mit "ausreichend" bestanden hatte. So landete er, der schon 1931 Mitglied der NSDAP wurde, 1936 bei der Gestapo. Er wurde stellvertetender Leiter der Gestapo-Leitstelle Hannover und wechselte 1939 ins Reichssicherheitshauptamt. Falls er tatächlich der Vernehmungsgruppe im Fall Elser angehörte, hatte dieses Team damit auch einen Juristen in seinen Reihen. Seit Januar 1939 war er Regierungsrat und SS-Sturmbannführer. Damit hatte er den höchsten SS-Rang inne, denn Kappler (Jahrgang 1907) war seinerzeit Untersturmführer, Seibold, 1909 geboren, war Obersturmführer. Und alle waren Kriminalkommissare.
Im Bundesarchiv und im Landesarchiv Berlin befinden sich umfangreiche Unterlagen über diesen Schmidt, denn in der Bundesrepublik wurden mehrere Verfahren gegen ihn angestrengt, in denen es um Verbrechen während seiner Zeit bei der Einsatzgruppe C im Osten und bei der Gestapo in Kiel ging, die er seit 1943 leitete. Vom Schwurgericht Kiel wurde er 1969 wegen Beihilfe zur Ermordung von allierten Fliegeroffizieren zu zwei Jahren Haft verurteilt.
Die Akten über die Ermittlungen und Verfahren gegen Schmidt enthalten immer wieder Schilderungen seines Lebenslaufes und vor allem seiner Karriere in der NS-Zeit. Erstaunlich dünn ist allerdings die Aktenlage, soweit sie die für den Fall Elser entscheidende Zeit betrifft: Den November 1939. Ausgerechnet für diese Periode fehlen präzise Angaben über seine Tätigkeit, doch war er damals auf jeden Fall in Berlin - als Georg Elser in der Zentrale der Gestapo verhört wurde. Er selbst sagte aus: "Im Sommer 1939 kehrte ich (aus Hannover) nach Berlin zurück, wo ich den Ausbruch des Krieges erlebte." Näheres erfährt man nicht, vielmehr geht er gleich zur nächsten Etappe über: "Anfang 1940 wurde ich zur Gestapo-Leitstelle nach Breslau versetzt." Bald schon war er aber wieder in der Hauptstadt: "So kam ich Ende 1940 nach Berlin zurück und zwar ins Reichssicherheitshauptamt und war hier bei der SS-Gerichtsbarkeit als Untersuchungsführer und Anklagevertreter tätig."
Es folgte die Versetzung zur Einsatzgruppe C und schließlich zur Gestapo in Kiel. Nach dem Krieg tauchte Schmidt unter falschem Namen unter, ließ sich schließlich als Friedrich Schütte in München nieder und arbeitete für Versicherungsgesellschaften. In einer Sendung des DDR-Fernsehens wurde er enttarnt und stellte sich den Behörden. Es begannen die Ermittlungen gegen ihn, die zum Urteil in Kiel führten. Mit Genehmigung der Regierung von Oberbayern durfte er sich nun offiziell Schmidt-Schütte nennen. Am 17. April 1983 starb er in München, eine Familie hinterließ der Junggeselle nicht. Und auch er nahm sein Wissen über Elser mit ins Grab.
Die Königsbronner Gedenkstätte wird sich in einer erweiterten Neuauflage des
Bandes 9 ihrer Schriftenreihe ausführlich mit Schmidt-Schütte befassen.