Rezension in "Aufklärung und Kritik"

Lothar Fritze, Legitimer Widerstand? Der Fall Elser

VON HELMUT WALTHER

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Lothar Fritze, Mitglied unserer Gesellschaft für kritische Philosophie (GKP) und mehrfacher Autor unserer Zeitschrift A&K, ist apl. Professor an der Technischen Universität Chemnitz sowie Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der TU Dresden. Seine Forschungsschwerpunkte sind Probleme der angewandten Ethik, Totalitarismusforschung und Ideengeschichte, zu welchen er mit verschiedenen Publikationen hervorgetreten ist.

Im November 1999 veröffentlichte er in der Frankfurter Rundschau seine moralphilosophische Untersuchung "Die Bombe im Bürgerbräukeller". Der Anschlag auf Hitler vom 8. November 1939. Versuch einer moralischen Bewertung des Attentäters Johann Georg Elser"; nachdem dieser Artikel eine heftige Diskussion ausgelöst hatte, erschien eine Langfassung des Textes im Jahrbuch Extremismus & Demokratie, 12 (2000) unter dem Titel "Der Ehre zuviel" sowie unter dem Titel "Geschichtsschreibung und Vorbildwirkung" eine "Antwort an einige Kritiker" (Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte (JJZG), 4 (2002/2003). Alle genannten Texte dokumentiert nunmehr der Autor in dem soeben erschienenen Buch, ergänzt durch weitere neuere Diskussionsbeiträge.

Worum geht es? Wollte der Autor "den Zusammenhang zwischen der Bewertung von Widerstandshandlungen und der Schaffung von Vorbildern ... verdeutlichen" (S.7), so musste er erleben, sich mittels "falscher Behauptungen, fehlerhaften Argumentationen, deplazierte Insinuationen und nicht zuletzt die nicht selten damit einhergehenden persönlichen Verunglimpfungen" (S. 8) fortgesetzten Angriffen ausgesetzt zu sehen: "Dabei unterschied sich das Niveau der Aufmachungen in als seriös geltenden Zeitungen nur unmerklich von dem der so genannten Boulevardpresse. Wechselseitig überbot man sich mit unsinnigen Behauptungen und gehässigen Kommentaren; man wetteiferte um die eindrucksvollste journalistische Fehlleistung." (S. 16)

Liest man die Texte in der FR und die o.g. Langfassung aufmerksam, kann man den Zorn des Autors gut nachvollziehen, wenn man ihm etwa "Verantwortungslosigkeit" vorwarf, denn sein Text "nähme Elser die Würde, diskreditiere durch die angelegten Meßlatten den gesamten deutschen Widerstand, betreibe Geschichtsrevisionismus" u.a.m. (S. 25).

Besonders hervor taten sich in dieser Hinsicht die Sachwalter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Peter Steinbach und Johannes Tuchel, die unterstellen, "Fritze sei nicht in der Lage, den verbrecherischen Charakter des NS-Regimes zu erkennen" und anregen, "erteilte Lehrbefugnisse zu überprüfen". (S. 133)

Kann man in diesem Falle wohl ein Eigeninteresse erkennen, das auf den "eigenen Attentäter" nichts kommen lassen will, weil die Gedenkstätte schließlich vom "Glanz" dieser "Vorbilder" lebt, so kann man die Einseitigkeiten Rolf Hochhuths wohl nur in persönlichen Vorurteilen begründet sehen, wenn er etwa den Autor folgendermaßen beschreibt: "ein junger Dozent der durch lange Friedensjahre glücksverdummten Generation" ...

Zuletzt erscheint auch Jutta Limbach, immerhin die ehemalige Vorsitzende des Bundesverfassungsgerichts, in ihren Einlassungen zu dieser Diskussion gelinde 282 Aufklärung und Kritik 2/2009 ausgedrückt nicht sehr konsequent, um nicht zu sagen widersprüchlich.

Kann der nachfolgend beschriebene Ansatz der Untersuchung wirklich so missverstanden werden? Der Autor prüft "wesentliche Aspekte der Gesamtproblematik der Elserschen Tat anhand von vier Fragen ...: (1) Durfte man Hitler töten bzw. töten wollen? (2) Durfte man, um Hitler töten zu können, den Tod Unbeteiligter oder gar Unschuldiger billigend in Kauf nehmen? (3) Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen durfte man den Tod Dritter in Kauf nehmen? (4) Hat Elser in seiner Person und seiner Vorgehensweise diesen Voraussetzungen genügt?" (S. 62)

"Die letztlich im Mittelpunkt stehende Frage lautet, ob und inwiefern die Handlungsweise von Elser als vorbildlich oder nachahmenswert gelten kann." ... "Die Bewertung eines Widerständlers und seiner Tat kann sich ... nicht allein auf die gute Absicht kaprizieren. Wer eine Tat ohne jede Einschränkung rechtfertigt, akzeptiert damit die Handlungsweise dieser Person in allen ihren wesentlichen Elementen, also einschließlich des Beweggrundes, der Zielbestimmung, der Mittelwahl, der Vorbereitung und der Durchführung der Handlung." (S. 105)

"Nicht jeder Widerstand gegen das Unrecht ist gut; nicht jede Art und Weise, dem Bösen zu widerstehen, ist moralisch akzeptabel. ... Der Umstand, dass der Kampf gegen Unrecht häufig unter Extrem- und Ausnahmebedingungen ... geführt werden muss, zieht keine Suspendierung moralischer Grundsätze nach sich ..." (S. 93)

"Nichts wäre letztlich fataler als die Propagierung falscher Vorbilder. Mit der uneingeschränkt positiven Bewertung des Elserschen Anschlags hat man einen solchen Irrweg eingeschlagen." (S. 199)

Es geht also nicht um die grundsätzliche Frage, ob Elser zu seinem Attentat wohl berechtigt war - vielmehr wird dies bejaht! -, dagegen steht im Mittelpunkt der Untersuchung, ob Kenntnisse, Motive und die Art der Durchführung des Attentats Elser so zu einem Vorbild machen, dass er für nachfolgende Generationen in gleicher Lage als Handlungsmuster dienen kann. Und dies wird mit guten Gründen in wichtigen Teilbereichen zu Recht verneint: Kurz zusammengefasst werfen sowohl Elsers Motive als auch seine Urteilsbildung zum Zeitpunkt der Tatplanung und -ausführung - und nur dies kann ja von Bedeutung für die Beurteilung sein! - Fragen auf; noch weniger aber kann die Tatausführung selbst als wirklich vorbildhaft gelten: Hat er wirklich das mildeste ihm mögliche Tatmittel gewählt? Und musste er nicht - wenn er schon den Tod von unbeteiligten Dritten in Kauf nahm (was denn ja auch eintrat), die Tatsteuerung unter möglicher Selbstaufopferung so in der Hand behalten, dass er bei einem Scheitern - wie es durch die vorzeitige Abreise Hitlers denn auch eintraf - einen Abbruch hätte herbeiführen können, anstatt sich selbst in Sicherheit zu bringen suchen?

Im Verlauf des Buches wird in einem Exkurs über die angeblichen "Widerstandstaten" der RAF auch aufgewiesen, dass solch konkrete Voraussetzungen und Anforderungen an eine persönliche Widerstandsermächtigung außerordentlich wichtig sind, da sich sonst nur allzu leichtfertig solch falsche Vorbilder verselbständigen und benutzen lassen mit ganz verheerenden Folgen. Als Gegenbeispiel wird an den tiefgehenden Überlegungen der Attentäter des 20. Juli 1944 vorgeführt, welche Voraussetzungen wirklich vorbildhafter Widerstand erfüllen sollte (S. 192 f.) "Die aus der Rückschau urteilende Nachwelt neigt dazu, es sich bei der Rechtfertigung der Akteure von damals leichter zu machen als diese selbst." (S. 81. f.)

Diese Voraussetzungen sind, insbesondere, wenn der Tod Unschuldiger in Kauf genommen wird, sehr eng zu fassen, und hierin hat Elser in mancherlei Hinsicht versagt - und so kann ihm sein persönlicher Mut zu dieser Tat nicht abgesprochen werden, was auch der Autor keineswegs tut, aber die Vorbildwirkung, wie sie ganz einschränkungslos etwa von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand propagiert wird, kann ihm so nicht zugebilligt werden.

Natürlich meldeten sich auch einige einsichtige Stimmen zu Wort, zur Freude des Rezensenten darunter sowohl der Ehrenvorsitzende der GKP, Hans Albert, wie auch unser Mitherausgeber Norbert Hoerster, sowie Manfred Hättich und Gerhard Schönrich, die dem Autor insbesondere bestätigten, "dass immer wieder aufgetretene Missverständnisse und Fehldeutungen nicht auf Unklarheiten meines Textes zurückzuführen sind." (S. 122)

"Ich habe inzwischen an die hundert Presseartikel und Leserbriefe zum Fall Fritze gelesen. Die Bilanz ist deprimierend. Auch angesehene Zeitungen haben sich nicht die Mühe gemacht, einigermaßen sorgfältig auf die Untersuchung von Dr. Fritze einzugehen. Sie haben weder ihre Leser richtig informiert, noch sich argumentativ auf den Text von Fritze eingelassen. Was nicht in ihre Linie passte, haben sie verschwiegen oder passend umgedeutet." (S.17) - so Hans Albert; und Norbert Hoerster: "Wie Fritze [...] das Elser-Attentat mit großer Sorgfalt und Detailgenauigkeit einordnet und sodann bewertet, erscheint mir ganz und gar gelungen." (S. 138)

Quelle: Aufklärung und Kritik, Heft 32 Oktober 2009 16.Jahrgang Nr.2, S. 281 ff


Helmut Walther, Jahrgang 1947, ist Vorstandsmitglied der Ludwig-Feuerbach-Gesellschaft Nürnberg e.V. sowie der Gesellschaft für kritische Philosophie Nürnberg und Webmaster beider Vereine sowie ausführender Redakteur der Zeitschrift Aufklärung & Kritik.

Lothar Fritze, Legitimer Widerstand? Der Fall Elser