Daneben verfolgten Einzelgänger und Außenseiter ihre besonderen Wege. Unter die einsamen Fanatiker wird man
freilich den Tischler G. Elser, der am 8. November 1939 den Anschlag im Bürgerbräukeller verübte, nicht zu rechnen haben.
Obwohl man versucht hat, ihn als auf eigene Faust handelnden kommunistischen Meisterattentäter in die Geschichte des
Widerstands einzureihen 23, ist doch wohl keine Frage, dass die Installation einer Höllenmaschine nicht ohne
Hilfe der Gestapo möglich gewesen ist und Hitlers Rede planmäßig vor der Explosion abgebrochen wurde.
Der Anschlag arbeitete in gewisser Weise gegen die Opposition, indem er nicht nur Hitlers Missionsbewusstsein stärkte
und die Reihe der "providentiellen" Rettungen zu eröffnen schien, er hat auch, wie noch zu zeigen sein wird,
ls ausgesprochener Störungsfaktor in eine wirklich geplante Aktion hineingewirkt. Im übrigen benutzte Himmler den Vorfall,
um die Verhaftung von 40 bayrischen Legitimisten als Komplicen zu fordern, und offiziell wurde der britische Geheimdienst
der Anstiftung beschuldigt.
Dies ist das einzige Bombenattentat, das aus der Zeit vor dem Kriege der Öffentlichkeit mitgeteilt wurde, aber es kann
angenommen werden, dass es andere Sprengstoffexplosionen gab, die nicht so allgemein bekannt wurden. Selbst der amerikanische
Korrespondent William L. Shirer, der gewiss nicht grade den Symptomen von Widerstand in seiner Umgebung besondere Aufmerksamkeit
schenkte, berichtet in seinem "Berliner Tagebuch" von zwei solchen Explosionen in einer einzigen Nacht 24.
[...]
Sehr viel dringlichere Gestalt nahmen die Widerstandspläne im November 1939 an, nach Beendigung des Polenfeldzuges und ehe die Offensive im Westen begann. Gegen ihren frühzeitigen Ansatz - noch im Winter -, aber auch von der moralisch-politischen Sicht aus - neue Aggression und Neutralitätsverletzungen - erhob unter den Heeresgruppenführern im Westen der Generaloberst von Leeb lebhaften Einspruch, ebenso Halder und bis zu einer bestimmten Grenze hin auch Brauchitsch. Es kam abermals zu einer Staatsstreichplanung, für die der früher erwähnte Oberstleutnant Großcurth eingesetzt wurde. Sie war gekoppelt - "um die Generale von ihren Skrupeln zu befreien" - mit dem ersten greifbaren Attentatsplan, für den Erich Kordt, weil er zur Reichskanzlei Zutritt hatte, sich erbot. Die beiden Verbindungsmänner zu den Militärs, von Etzdorf und von Kessel, wurden ins Vertrauen gezogen.
Am 11. November sollte von der Abwehr (Oster) an Kordt der Sprengstoff geliefert werden. Am 8. erfolgte das Attentat im Bürgerbräukeller, das die beabsichtigte Lieferung wegen verschärfter Sperre unmöglich machte, und auf der militärischen Seite kam Halder zu einer Analyse der Situation, die ihn den Absprung (wie Beck mahnte: "Das Herz voraus") nicht mehr finden ließ 75.
23
Siehe dazu Gisevius, a.a.0. (Schweizer Ausgabe von 1946),
S. 440. Der Autor bezieht sich auf Untersuchungen Nebes, von denen man nicht umhin kann, zu vermuten, dass
sie die Gestapo zu entlasten bestimmt waren. So schon in der 1. Aufl. dieses Buches (S. 216, Anm. 16). Siehe jetzt
auch Wheeler-Bennett, a.a.0., S. 504 f.
24
Berlin Diary (New York 1942), S. 218 (September 20., 1939).
75
Für diese Phase vgl. jetzt die eingehende Untersuchung von E. Kosthorst,
Die deutsche Opposition gegen Hitler zwischen Polen- und Frankreich-Feldzug (Schriftenreihe der Bundeszentrale für
Heimatdienst, Heft 8, 1954). Ferner Sendtner, a.a.0., S. 383 ff. und Kordt, a.a.0., S. 355 ff.
Quelle: Hans Rothfels, Die deutsche Opposition gegen Hitler. Eine Würdigung, Ungekürzte,
stark revidierte Ausgabe, Frankfurt am Main 1958, S. 58, S. 84 f (Erstauflage 1949)
Hans Rothfels (* 12. April 1891 in Kassel; 22. Juni 1976 in Tübingen) war ein
deutscher Historiker.
Er war seit 1926 Professor in Königsberg, wurde aber 1934 wegen
seiner jüdischen Herkunft von seinem Lehrstuhl vertrieben.
1939 emigrierte er in die USA, kehrte aber 1951 nach Deutschland zurück.
1949 erschien sein Buch "Die deutsche Opposition gegen Hitler. Eine Würdigung.".
Er gilt als stark konservativ und antikommunistisch. Er war Mitglied der wissenschaftlichen
Kommission für die Dokumentation der Vertreibung der Deutschen in die 1950er Jahren.
Rothfels war einer der Historiker, die sich das Bürgerbräuattentat nur so erklären konnten,
dass "die Installation einer Höllenmaschine nicht ohne Hilfe der Gestapo möglich gewesen ist und Hitlers
Rede planmäßig vor der Explosion abgebrochen wurde."
Der in Fußnote 23 von Rothfels gescholtene
Hans Bernd Gisevius
hatte hingegen schon frühzeitig erkannt, dass Elser tatsächlich ein "auf eigene Faust"
handelnder Einzeltäter war.