Niemand weiß genau, ob und wie sehr sich Johann Georg Elser Gedanken über die Verfolgung der Juden während der Herrschaft
der Nationalsozialisten machte. In der "Autobiografie" des Mannes, der Adolf Hitler im Jahre 1939 in die Luft sprengen wollte, kommt dieses Thema gar nicht vor.
Allerdings gab ein Jugendfreund zu Protokoll, der Attentäter habe sehr wohl die Leiden der Juden beklagt.
VON ULRICH RENZ (2000)
Ulrich Renz
Als "Autobiografie" des schwäbischen Handwerkers und Widerstandskämpfers gilt das Protokoll der Vernehmung Elsers durch die Gestapo, das 1969/70 von Lothar Gruchmann und Anton Hoch veröffentlicht und ausgewertet wurde und das mit den bis dahin umlaufenden Legenden und Gerüchten über den Attentäter gründlich aufräumte. Bis heute ist es das einzige umfassende Zeugnis über Person und Tat Elsers, der selbst keinerlei Aufzeichnungen hinterließ.
Inzwischen ist bei allen ernsthaften Historikern unstrittig, dass der Einzeltäter Elser seinerzeit mit außerordentlicher Klarheit und Weitsicht die Entwicklung unter dem NS-Regime beurteilte und daraus die Begründung seines Plans ableitete, Hitler während der Rede beim traditionellen Treffen "alter Kämpfer" im "Bürgerbräukeller" von München durch eine Bombe zu töten. Das Attentat vom 8. November 1939 scheiterte nur, weil der Diktator den Saal völlig überraschend vorzeitig verließ, 13 Minuten danach explodierte der Sprengkörper. Elser wurde am gleichen Abend beim Versuch gefasst, nach Konstanz in die Schweiz zu flüchten. Im April 1945 wurde er im KZ Dachau ermordet.
Seinen Vernehmern legte Elser ausführlich dar, was ihn zur Tat veranlasste. So wurde unter anderem protokolliert: "Die seit 1933 in der Arbeiterschaft von mir beobachtete Unzufriedenheit und der von mir seit Herbst 1938 vermutete unvermeidliche Krieg beschäftigten stets meine Gedankengänge ... Ich stellte allein Betrachtungen an, wie man die Verhältnisse der Arbeiterschaft bessern und einen Krieg vermeiden könnte." Weiter sagte er: "Der Arbeiter kann z. B. seinen Arbeitsplatz nicht mehr wechseln, wie er will, er ist heute durch die HJ nicht mehr Herr seiner Kinder und auch in religiöser Hinsicht kann er sich nicht mehr so frei betätigen." Daraus ergab sich: "Die von mir angestellten Betrachtungen zeitigten das Ergebnis, dass die Verhältnisse in Deutschland nur durch eine Beseitigung der augenblicklichen Führung geändert werden könnten."
Dass sich der Widerstandskämpfer nicht über die Verfolgung der Juden äußerte, hatte wohl einen einfachen Grund: Er wurde nicht danach gefragt. Der Schriftsteller Hellmut G. Haasis, Verfasser der jüngsten, sehr einfühlsamen Biographie des Attentäters ("Den Hitler jag' ich in die Luft"), schreibt auch: "Er . . . verkehrte nicht mit Juden, weil es um ihn kaum welche gab." Haasis ist aber überzeugt: "Elser war mit Sicherheit kein Antisemit."
Das versicherte auch
Eugen Rau, Jugendfreund und Klassenkamerad Elsers in der Gemeinde Königsbronn im Osten der Schwäbischen Alb, wo der spätere Attentäter aufwuchs und wo heute endlich eine Gedenkstätte an ihn erinnert. Rau und seine Frau, beide inzwischen gestorben, galten als die einzigen Menschen, denen Elser anvertraut hatte, dass er Hitler umbringen wolle. Jedenfalls berichteten sie dies rund 50 Jahre nach der Tat, als der Georg-Elser-Arbeitskreis aus der Kreisstadt Heidenheim Zeitzeugen befragte.
In einer 1989 erschienenen Broschüre über Elser veröffentlichte der Arbeitskreis - die wichtige treibende Kraft bei allen Bemühungen um Anerkennung des Attentäters und seiner Tat - dann ein Gespräch, das er mit dem damals 85jährigen Eugen Rau führte. Der Interviewer Manfred Maier, eines der führenden Mitglieder im Arbeitskreis, erinnert sich, dass ihn damals auch die Überlegung beschäftigte, einem so kritisch denkenden, hellsichtigen Bürger wie Elser, von Anfang an entschiedener Gegner des Regimes, könne wohl kaum verborgen und auch nicht gleichgültig gewesen sein, was seinerzeit mit jüdischen Bürgern, mit jüdischen Menschen, geschah. Und so, berichtet Maier nun, befragte er Rau auch zu diesem Thema. Die Niederschrift des ganzen Interviews habe er sich dann von Rau - und dessen Frau - "absegnen lassen", sagt Maier, der - begleitet von einem Schauspieler und einem Musiker - mit einer eindrucksvollen szenischen Lesung aus dein Elser-Protokoll häufig in der Öffentlichkeit, nicht zuletzt in Schulen, auftritt.
Und so veröffentlichte der Arbeitskreis im Wortlaut des Gesprächs mit Rau auch diese, bis heute wenig beachtete,
Passage:
Frage: "Wie stand Georg Elser zur Judenfrage?"
Rau: "Georg war kein Judenfeind. Ich kann mich noch an eine Äußerung von ihm erinnern. Er sagte einmal zu mir: Warum plagt man die Juden so, warum macht man sie kaputt?"
Quelle: Ulrich Renz, Elser und die Juden, in: Tribüne, Zeitschrift zum Verständnis des Judentums,
Heft 155 (2000), S. 47 ff