Im Frühsommer 1989 führten Mitglieder des Elser-Arbeitskreises mehrere Gespräche in Königsbronn mit Eugen Rau, einem Jugendfreund und Klassenkameraden von Georg Elser, sowie dessen Ehefrau Emma Rau.
Der am 13.11.1903 geborene Eugen Rau macht einen aufgeschlossenen Eindruck; seine lachenden Augen strahlen hinter der Brille trotz des hohen Alters noch immer eine jugendliche Lebendigkeit aus. Er wirkt aufgekratzt, wenn man auf die Zeit des Anschlags, den Georg Elser gegen Hitler durchführte, zu sprechen kommt. Die Erinnerung an diese Zeit ist lebendig geblieben. 40 Jahre lang verschwieg Eugen Rau, dass er und seine Frau indirekt über das Attentatsvorhaben unterrichtet waren. Im Gespräch merkt man Eugen Rau an, dass er froh ist, darüber zu sprechen, damit die Wahrheit ans Licht kommt. Er erzählt so anschaulich, dass man die Distanz von 50 Jahren schnell vergisst.
Frage: Herr Rau, wie kam es, dass Georg Elser zu Ihnen Vertrauen hatte? Er war ja, wie es uns auch die Gestapo-Protokolle zeigen, sehr vorsichtig. Er wollte niemandem schaden und auf keinen Fall jemanden in seine Vorbereitungspläne hineinziehen.
Rau: Nun, Georg war mein Schulkamerad und Jugendfreund vom 7. Lebensjahr an. Es war ein Zufall. Es hatte sich folgendermaßen zugetragen: Im August 1939 beim Beerenpflücken, während der Himbeerzeit, sah meine Frau, wie sich ein Mann mit Fahrrad bemühte, sich hinter den Bäumen des Hochwalds zu verstecken. Meine Frau sagte zu mir: "Da hanna, des ischt doch dr Elsers Georg." - Ich: "Ha, noi"; doch sie meinte: "Der hat's Fahrrad drbei."
Wir gingen dann mit den Worten: "Ja, Georg, was machscht du dann dahoba [das Waldstück befindet sich oberhalb von Königsbronn, Richtung Ochsenberg] - du bischt doch in Müncha!" auf Georg zu. Georg: "l muss mit meim Vater schwätza - i will aber von niemand gseha werda." Nach dem üblichen: "Wie geht's, was duscht ond was schaffscht?" brach es auf Georg heraus: "Mir kriegad in Deutschland koi bessera Zeit, hend koi bessera Zukunft, bevor dui Regierung et end Luft gschprengt ischt. Ond i sag 's dir, i mach des no, i du 's." Ich sagte zu ihm: "Ha, Georg, des kascht doch et macha!" Georg verabschiedete sich von uns mit der eindringlichen Bitte: "Gell, schwätzet fei nex!"
Frage: Wann hörten Sie zum ersten Mal, dass es tatsächlich Elser war, der das Attentat am 8.11.1939 verübte?
Rau: Am Morgen des 13. November - an meinem Geburtstag - fünf Tage nach dem Attentat, frühmorgens um 6 Uhr 15 von einem Heidenheimer Handwerksmeister, der aktives Parteimitglied war. Von ihm, der bei uns im Keller ein Bad einbaute, wurde mir unter dem Hinweis der strengsten Verschwiegenheit und dass ich schwören müsse, es niemandem weiterzuerzählen, die Neuigkeit mitgeteilt, dass der Attentäter ein Königsbronner sei. Ich wurde kreideweiß [an dieser Stelle fällt Eugen Rau wieder erregt in ein breites Schwäbisch]: Wenn ma mir a Messer neigschtocha hätt, so hätt i koin Tropfa Blut gea, i ben auf älle Viera [auf Händen und Füßen] dia Treppa nauf und hau zu meim Weib gsaid: "Jetzt hat's dr Georg doch dau. - Bass auf, wenn se kommat, egal wer's ischt, nau derfscht bloß saga: Du woischt von nex; selbscht wenn s'de eischperrat!"
Frage: Wann begannen die Verhöre?
Rau: Um halb 10 Uhr am selben Tag war bei uns bereits die Gestapo im Haus. Insgesamt zogen sich die Verhöre über den Zeitraum von einem halben Jahr hin. Die Verhöre wurden teilweise in meiner Wohnung, an meinem Arbeitsplatz und im "König Karl" (heute Foto Becker) in Heidenheim - hier hatte die Gestapo Quartier bezogen -durchgeführt. Unser Glück war, dass wir an jenem Morgen des 13. November durch einen Zufall vorgewarnt wurden.
Frage: Warum erhob sich Elser gegen Hitler? Warum unterwarf er sich nicht der allgemeinen Siegesstimmung und der damals vorherrschenden Massenbegeisterung?
Rau: Georg hatte sich schon in der Weimarer Zeit gegen den herrschenden Druck gewehrt. Er war verärgert, weil er in Konstanz arbeitslos wurde. Die tägliche Anschauung, die Verschlechterung der politischen Situation hatten Georg verändert. Die Veränderung war spürbar, als er aus Konstanz zurückkam.
Frage: Wie stand Georg Elser zur Judenfrage?
Rau: Georg war kein Judenfeind. Ich kann mich noch an eine Äußerung von ihm entsinnen. Er sagte einmal zu mir. "Warum plagt man die Juden so, warum macht man sie kaputt?"
Frage: In einem Heidenheimer Zeitungsartikel vom Oktober 1965 wird Georg Elser als labil und unstet sowie als Eigenbrötler dargestellt. War er so?
Rau: Nein, all das war er nicht. Er war allerdings ein Mensch, der auf Gerechtigkeit pochte, wenn er sich im Recht wähnte. Er ertrug außerdem keine Grobheiten.
An dieser Stelle nickte Frau Rau und meinte: "Georg war ein lieber Mensch." Aufgefallen sei ihr allerdings, dass Georg, wenn er sie in den Jahren 1936/37 besucht hat, Alkohol verweigerte. Sie habe mehrmals mit ihrem Mann über dieses sonderliche Verhalten gesprochen.
Rau: Georg war Mitglied im Musikverein. Er konnte sehr lustig sein. Ich kann mich noch gut an viele gemeinsame Musikveranstaltungen erinnern. Er spielt Zither und Bandoneon [Harmonika]. Wir machten in dieser Zeit auch viele gemeinsame Ausflüge. Ich habe noch ein Foto von damals:
Das Foto, 1936 im Wental bei Steinheim aufgenommen, zeigt u.a. Eugen Rau mit seiner Ehefrau sowie Georg Elser und dessen damalige Freundin
Frage: Elser empfand sich als Kunstschreiner. Sind Ihnen Arbeiten von ihm bekannt?
Rau: Ja, er hat sehr schöne Uhrengehäuse und Intarsien hergestellt. Für meine 1932 geborene Tochter hat er ein Kinderbettchen gemacht, das steht noch oben auf unserer Bühne.
Frage: Wie sah sein politisches Weltbild aus? Gab es für ihn Vorbilder?
Rau: Über sein politisches Weltbild ist mir außer der Tatsache, dass er die Nazis nicht leiden konnte und dass er bei Veranstaltungen nie die Hakenkreuzfahne grüßte, nichts bekannt. Soweit ich weiß, hatte er keine Vorbilder.
Georg Elser mit Bandoneon 1932 in Ochsenberg
Noch heute ist Eugen Rau traurig darüber, dass ihm manche Königsbronner Mitbürger die Freundschaft zu Georg Elser mit den Worten "Man muss keine solchen Freunde haben, die einen an den Galgen bringen können!" zum Vorwurf machen.
An der Gartentür verabschiedet sich Eugen Rau von uns: "Er war kein Mörder, Elser, der Georg - er wollte nur Mörder hinmachen."
Eugen Rau verstarb am 3. August 1995 in Königsbronn.