Rezension von: Lothar Fritze, Legitimer Widerstand? Der Fall Elser
Das Echo zum 70. Jahrestag des Attentats im Bürgerbräukeller belegt deutlich: An der Debatte
um Georg Elser und dessen Bombe möchte sich heute kaum jemand mehr die Finger verbrennen. Während die
"Frankfurter Rundschau" (FR) sich in ihrer aktuellen Berichterstattung zu Elsers Gedenken
im Stillschweigen über den Disput von 1999/2000 übt, hat Lothar Fritze seinen Untersuchungsgegenstand
noch nicht zu den Akten gelegt. In seinem unlängst veröffentlichten Werk "Legitimer Widerstand.
Der Fall Elser" greift er seine moralphilosophischen Betrachtungen wieder auf und dokumentiert
darüber hinaus die Kontroverse.
VON HANKA KLIESE
Hanka Kliese MdL
Seiner Untersuchung schickt Fritze voraus: "Rechtfertigungen in eigener Sache haben etwas Missliches.
Sie geben zu neuen Fehldeutungen Anlass und erweisen sich häufig als wirkungslos" (S. 7). Über die
Wirkung seines neuen Werkes kann noch nicht viel geschrieben werden, da es in den deutschen Printmedien
bislang wenig Resonanz fand. Außer der "Jungen Freiheit" – deren Rezension von Stefan Scheil
eine solide Oberflächenkenntnis des Buches offenbart – mochten sich überregionale Zeitungen kaum mit Fritzes
Thesen befassen.
In seinem Vorwort räumt der Autor Missverständliches aus dem Weg. Er verweist darauf, "die Legitimität
eines Anschlages auf Hitler in der Handlungssituation Elsers" nicht bestreiten zu wollen (S. 9).
Die Frage "ob es erlaubt sein kann, im Rahmen einer gewaltsamen Widerstandshandlung auch Unschuldige zu töten"
(ebd.), habe er stets offen gelassen, was er "keineswegs selbstverständlich" (S.9 f.) finde.
Fritze zitiert den Theologen Thomas von Aquin, der es für "in keiner Weise gestattet" hielt,
"Unschuldige zu töten", und deutet damit das Potenzial der Thematik vorsichtig an.
Die Studie ist in drei Teile (Einleitung, Dokumentation, Diskussion) gegliedert. Aus gutem Grund stellt
Fritze dem "Herzstück" seiner Argumentation (Kapitel E) und der Antwort auf seine Kritiker
(Kapitel G und H) eine Chronologie der Kontroverse voran. Bei dem "Herzstück" handelt es sich um
eine ausführlichere Fassung des FR-Artikels. Hierin prüft er – ausgehend von der Definition "Vorbild
sein heißt in einem allgemeinen Sinne gültig sein" (S. 60) – die Frage nach der Vorbildlichkeit der
Handlungen Elsers.
Fritze legt vorab fest, dass vor dem Hintergrund des Unrechtscharakters des
"Dritten Reichs" Widerstand zu leisten für jedermann erlaubt war. Er wirft jedoch die Frage auf,
ob dieser Widerstand nicht auch gewissen Regeln folgen müsse, um als moralisch akzeptabel zu gelten.
Seiner Ansicht nach ist es "möglich, aufgrund unzureichender Überlegungen oder allzu großer
Risikoscheu etwas moralisch Richtiges moralisch anfechtbar oder inakzeptabel zu tun" (S.60 f.).
In derartigen Fällen könne keine unbeschränkte Vorbildlichkeit attestiert werden. Dies trifft nach
ausführlicher Prüfung auf den "Fall Elser" zu, der nach Fritzes Untersuchungsschema nicht in
jeder Hinsicht als vorbildhaft gelten könne.
Unter anderem befasst er sich mit dem Zustandekommen des
Attentatsentschlusses und der Wahl der Attentatsmethode. Der Autor geht auch der Frage nach, ob Elser
nach dem Fehlschlagen des Attentats Reue empfunden und es ein nachträgliches Umdenken gegeben habe.
Dabei stützt er sich auf die Argumentation seines Widerparts Peter Steinbach, bei dem es heißt: "Elser
hat seine Tat nicht bereut" (S. 80). Steinbach formulierte aber auch, dass Elser sich durch die
Tötung Unschuldiger "belastet" gefühlt habe. Hier ist Fritze zum großen Teil auf Mutmaßungen
angewiesen. Wenn er zur Frage der Reue schreibt: "Überlegungen dieser Art sind von Elser nicht
bekannt" (S. 79), bedeutet dies schließlich nicht, dass es derlei Gefühlregungen bei Elser nicht
gab. Durch die spärliche Quellenlage vermag diese Passage der Studie jedoch weniger zu überzeugen. Andere Untersuchungsabschnitte, etwa "Motivation und Persönlichkeit", speisen
sich aus einem größeren Quellenfundus.
Die Studie unterscheidet sich, und das wird in nahezu jedem Unterkapitel deutlich, von anderen
erheblich durch ihre Vorgeschichte. Ein abgedrucktes "Rundfunk-Statement", das Fritze für den
Deutschlandfunk verfasst hatte, lässt erahnen, was den Autor infolge seines FR-Artikels und damit
verbundener Kollektivschelte beschäftigt haben muss: "Ich kann nicht verstehen, warum jemand, der
eine Auffassung zur Diskussion gestellt hat – auch wenn diese Auffassung scharf formuliert ist – ,
mit Häme und Spott überzogen wird. In einem solchen Klima wird sich vermutlich jeder überlegen, ob er
seine Ideen überhaupt publik macht" (S. 54).
Durch diese Dokumentation gibt Fritzes Werk nicht
nur Aufschluss über den Inhalt, sondern auch den Charakter der Kontroverse. In Kapitel G
"Interesse und Diskursverweigerung" verweist der Autor auf den Missstand der nicht
stattgefundenen Debatte. Tatsächlich dokumentieren die Reaktionen auf Fritzes FR-Artikel, dass nur
eine Minderheit sich die Mühe gemacht hatte, seine wissenschaftliche Untersuchung als eine solche
zu begreifen und in ihrer Gesamtheit durchschauen zu wollen.
Im "Jahrbuch Extremismus & Demokratie"
aus dem Jahr 2000 fand eine ausgewogene Diskussion zu Fritzes Thesen statt, in der nicht mit Kritik gespart,
aber auch Verständnis für die Untersuchung geäußert wurde. Doch waren die vernichtenden Urteile der
deutschen Tagespresse wirkungsmächtiger als die Aufsätze des Jahrbuchs.
Nicht auf jeden der ihm
gemachten Vorwürfe lässt sich Fritze ein und vermerkt geradezu trotzig: "Wer glaubt, Argumente
abfertigen zu können, indem er über die vermeintlichen Motive ihrer Artikulation oder über die mutmaßlichen
sozialen Auswirkungen spekuliert, die ihre gesellschaftliche Akzeptanz haben könnten, gleichzeitig
aber jede inhaltliche Prüfung unterlässt, hat damit sein Desinteresse an einer die Sache selbst
betreffenden Kontroverse kund getan" (S. 122).
Eine der wenigen inhaltlich ausgefochtenen Fragen zielte auf das Motiv der Tat, also darauf, inwieweit
Elser in der Lage war, die gesamtpolitische Tragweite seines Attentates zu erahnen. Steinbach und Tuchel
dokumentierten dazu in einer Ausstellung der "Gedenkstätte Deutscher Widerstand" Elsers Absicht
"den drohenden Weltkrieg zu verhindern" (S.134). Derart vorausschauende Fähigkeiten erkennt
Fritze in Elsers Tat mitnichten und bemerkt spitz, dass es sich – folgt man Steinbach und Tuchel – bei
dem zweifelsfrei intelligenten Handwerker um einen "geradezu begnadeten Sozialtheoretiker und brillanten
Zeitdiagnostiker" (S. 135) gehandelt haben muss.
Steinbach und Tuchel gehen davon aus, er
habe Anfang November 1939 die "Ausweitung des Krieges im Westen" (S. 134) verhindern wollen.
Fest steht für Fritze ebenfalls, dass es Elser laut Vernehmungsprotokoll darum ging, "noch
größeres Blutvergießen verhindern" (ebd.) zu wollen. Der Autor betrachtet die detailgemäße
Diskussion um das Motiv nicht als Haarspalterei. Er wirft Steinbach und Tuchel, die seine Untersuchungen
in toto als "scholastische Konstruktion, jenseits von Zeit und Raum, weit entfernt von den historischen
Fakten und ohne Berücksichtigung der Realität des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus" (Zitat 2008)
deuten, vor: "Dies sind keine Kleinigkeiten! Es ist eine Zerstörung der Kultur des Argumentierens
zu Propagandazwecken" (S. 136).
In seiner Untersuchung ginge es nicht um eine nachträgliche Herabsetzung Georg Elsers, schreibt
Fritze gleichsam beiläufig im letzten Kapitel. Dass er es überhaupt erwähnen muss, zeigt, welche
Sensibilität im Umgang mit dem "Fall Elser" geboten ist. Eine Ursache für die Empörung über die
"Verunglimpfung" des Attentäters könnte sein, dass der Autor sich für seine moralphilosophische
Untersuchung ausgerechnet den "Underdog" des deutschen Widerstandes gewählt hat.
Kaum einem Kritiker gelang es, Elser losgelöst von der tatsächlich über Jahrzehnte mangelhaften Würdigung seiner
Person zu betrachten. Doch so verlockend es ist, den "einfachen Arbeiter" Elser aus dem Schatten
des konservativen Widerstandes lösen zu wollen, so wenig hat es mit Fritzes Argumenten zu tun. Wer
an diesen aber ein ernsthaftes Interesse hat, dem sei die sorgfältige Lektüre des Buches empfohlen.
Quelle: Endstation Rechts 10.11.2009
Endstation Rechts ist ein Projekt der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD Mecklenburg-Vorpommern.
Die Autorin ist SPD-Abgeordnete des Sächsischen Landtags und Sprecherin für Sportpolitik, Sprecherin für Behindertenpolitik
und Sprecherin für Tourismus.