Das Geständnis von Georg Elser

Von Franz Josef Huber, Kriminaldirektor
Am 10. November 1939 war ich in das Bulgarische Konsulat zu einem Empfang eingeladen. Meine Frau und ich wollten gerade aus dem Haus gehen - da läutete das Telefon. Am anderen Ende der Leitung meldete sich der damalige Reichskriminalrat und SS-Oberführer Müller. Er sagte, Nebe käme mit seinen Untersuchungen nicht richtig voran. Ich solle sofort nach München kommen. Heydrich und er würden mich am nächsten Morgen auf dem Bahnhof abholen.

Ich zog also meinen Frack wieder aus und legte den bulgarischen Alexander-Orden wieder in die Schublade. Zwei Stunden später saß ich mit meinen Mitarbeitern [Dr. Rennau und Dr. Trenker] bereits im Nachtzug in München.

Am Bahnsteig in München warteten Heydrich und Gestapo-Müller mit großem Gefolge. Alles war in Uniform. Kurz und scharf sagte mir Heydrich, dass ich die Leitung der Sonderkommission übernehmen sollte. Ich selbst sollte Nebe diesen Wechsel mitteilen.

Heydrich und Müller fuhren sofort nach Berlin zurück. Ihr Sonderzug wartete bereits auf einem Nebengleis. Ich ging mit meinen Mitarbeitern in das Staatspolizeiamt in der Briennerstraße. Dort war das Hauptquartier der Sonderkommission.


Gestapo-Zentrale im Wittelsbacher Palais in der Brienner Straße in München
Quelle: Ullstein Bilderdienst

Ich habe Nebe nicht gesagt, dass er nicht mehr Leiter der Sonderkommission sei. Ich habe abgewartet, bis Heydrich es ihm selbst mitteilte. Ich glaube, Nebe hatte den Eindruck, ich solle das Attentat von der politischen Seite her aufklären.


Franz Josef Huber (Mitte) mit Mitarbeitern am Tatort
Quelle: Ullstein Bilderdienst

Deutlich konnte ich sofort die Explosionsstelle an der Säule feststellen. Die Säule war kurz über dem Boden völlig weggerissen. Dadurch war die gesamte Saaldecke eingestürzt. Die Zerstörungen im Saal waren derart, dass ich mich wunderte, wie jemand hatte lebend herauskommen können.

Bruchstücke der "Höllenmaschine"
Quelle: Bild am Sonntag Archiv

Eilige Vernehmungsprotokolle gingen sofort über Fernschreiber nach Berlin. Die meisten dieser Eilberichte wurden mir vorher vorgelegt. Eines Tages fand ich darunter eine höchst sonderbare Meldung, die von einem Sachbearbeiter Nebes geschrieben war. Sie lautete: Nach dem letzten Stand der Ermittlungen ist es ausgeschlossen, Georg Elser als Täter zu bezeichnen. Ich war völlig verblüfft, weil ich diesen Namen vorher noch nie gehört hatte.

Ich telefonierte sofort mit Nebe und ließ mir von ihm das erzählen, was man bereits wusste. So erfuhr ich, wie Elser in Konstanz-Kreuzlingen festgenommen worden war. Schon vor der Explosion der Bombe. Man hatte ihn anschließend nach München gebracht und sofort vernommen. Man sah in ihm einen Hauptverdächtigen. Man hielt ihn nicht für den Attentäter, glaubte aber, dass er irgendwie mit den Tätern zusammengearbeitet hatte.

Als man schließlich einsah, dass von dem Manne nichts zu erfahren war und auch keine neuen Beweise gegen ihn zu finden waren, schrieb man die ungewöhnliche Meldung für Berlin.

[Hubers erstes Verhör Elsers]

Zwei Beamte führten in ihrer Mitte einen kleinen, schmächtigen Mann ins Zimmer. Er erschien mir knapp über 30 Jahre alt und hatte ein ernstes, sympathisches Gesicht. Er trug einen dunkelblauen Anzug. Nebe und Lobbes grinsten den Hereinkommenden an, dann blickten sie zu mir herüber. Spöttisch sagte Arthur Nebe: "Nun sieh dir den Mann gut an. Das soll der Attentäter sein?" Er hatte recht. Elser sah wirklich nicht aus wie ein Attentäter.

Günter Peis (links) mit Franz Josef Huber im Bürgerbräukeller, 1959. Sie stehen an der Stelle, wo Elser die Säule aushöhlte.
Quelle: Bild am Sonntag Archiv (Kopie von Mikrofilm)

Er wirkte fast schüchtern. So, als könne er nicht begreifen, was wir von ihm wollten. Schon nach seinen ersten Sätzen stellte ich mich auf seine schwäbische Mundart ein. Nachdem wir uns ausgiebig über seine Personalien unterhalten hatten, ging ich auf seinen Münchener Aufenthalt ein. Ich fragte ihn nach den Lokalen, die er in München kenne.

Elser wich mir aus. Er missverstand mich bewusst. Fragte ich ihn nach dem Bürgerbräu-Keller, antwortete er mit dem Löwenbräu-Keller. Ich schoss eine Frage nach der anderen ab. Ich fragte nach Dingen, die völlig unwesentlich waren und steuerte dann ganz plötzlich wieder auf die Kernfrage zu: Waren Sie jemals im Bürgerbräu-Keller? Elser wich immer aus. Plötzlich gab es für mich keinen Zweifel mehr: Dieser Mann hatte etwas mit dem Attentat zu tun.

Ich fragte Elser, ob er mir ruhig in die Augen sehen könne. Wir starrten uns etwa fünf Minuten an, ohne dass ein Wort gesprochen wurde. Ganz langsam verwischte sich das Bild des Mannes vor mir, und ich sah ein anderes: Den zerstörten Saal im Bürgerbräu mit den Schutthaufen, mit der herabhängenden Decke, mit den Toten, mit der gesprengten Säule... Der Sprengstoff muss in die Säule eingebaut gewesen sein... Jemand musste gebohrt haben... Ganz tief... Wahrscheinlich hatte er sich unter einem Tisch versteckt... So sah ich Elser plötzlich in meiner Vorstellung: Wie er die Säule anbohrte, wie er sich schreckhaft umblickte, wie er - kniete!

Ich befahl ihm, den Stuhl loszulassen, in die Mitte des Zimmers zu gehen und dann seine Hose auszuziehen.

Elser ging an einen kleinen runden Tisch und begann, sich auszuziehen. Er tat unbeholfen. Ich sagte ihm, dass ich vor allem seine Knie sehen wollte. Langsam schob er die Beine seiner langen Unterhose hoch. Dann blickte er mir ins Gesicht. In seinen Augen standen Tränen.

Ich sah, dass Elsers Knie geschwollen waren. In diesem Augenblick wusste ich: Der war dabei!

Wir sprachen jetzt über das Attentat an sich. Plötzlich fragte Elser mich, was so einen Mann erwarte, der das getan habe. Ich wollte ihm nicht jede Hoffnung rauben und antwortete ausweichend. Es käme auf die Motive an. Ob der Täter sich von anderen habe bezahlen lassen, ob er Reue zeige und ob er geständig sei und nicht lüge.

[Erneutes Verhör Elsers, Geständnis]

Ich habe ausdrücklich angeordnet, dass Elser aussagen sollte, "ohne ermuntert zu werden". Darunter verstehen wir Kriminalisten ein Verhör, in dem der Angeklagte nicht auf Fragen antwortet, sondern mit seinen eigenen Worten erzählt.

"Ich... war... es." Seine Sprechweise war auch bei diesem Geständnis sehr bescheiden und zurückhaltend. Elser war bereits 1938 in München gewesen und hatte an einer Führung im Bürgerbräu-Keller teilgenommen. Der Saal des Bürgerbräu-Kellers war ja so etwas wie eine nationale Weihestätte. 1923, vor dem Marsch zu Feldherrenhalle, hatte Adolf Hitler vor seinen Parteimitgliedern mit einer Pistole in die Decke geschossen und die "nationale Revolution" ausgerufen. Das Einschussloch in der Decke des Saales wurde später - für Touristen - mit einem roten Kreis ummalt.

Elser schilderte uns genau, wie er fast ein Jahr lang das Attentat vorbereitet hatte. Wie er Geld gespart, die Teile für seine Höllenmaschine besorgt und schließlich die Bombe im Saal eingebaut hatte.

Elser hatte die Höllenmaschine bereits eingebaut. Er brauchte nur noch das Uhrwerk zu stellen. Er hatte also Zeit. Darum fuhr er mit seinem ganzen Gepäck nach Hause.

Dann kam Elser nach München zurück. Schon am 5. November stellte er das Uhrwerk ein. Am 8. November sollte es ablaufen.

Elser deckte das Loch mit Korkplatten ab, damit niemand das Ticken der Uhr hören konnte. Auch am 6. und 7. November blieb er in München. Jede Nacht überzeugte er sich, dass die Uhr noch lief.

Am Morgen des 8. November für Elser von München nach Konstanz. Er wollte über die Grenze in die Schweiz gehen. Unmittelbar vor der Explosion seiner Bombe wollte er dort verkünden: Gleich geht Hitler hoch; und ich, Georg Elser, ich habe ihn umgelegt.

Elser wollte Hitler unter allen Umständen töten. Außerdem hatte er gehofft, die gesamte Spitze von Regierung und Partei zu treffen. Er hatte nie daran gedacht, dass auch Unschuldige verletzt oder getötet werden könnten. Er war sehr bedrückt, dass es dazu gekommen war.

[Äußerungen Elsers gegenüber Huber]

"Ich musste ihn umbringen. Er ist gefährlich. Er bringt uns allen Unglück.

Ich habe alle seine Reden gelesen. Ich habe auch 'Mein Kampf' gelesen. Genau studiert sogar. Schon damals stand mein Plan fest.

Dann hat er am 1. September den Krieg gegen Polen angefangen. Da wusste ich, dass es Zeit wurde. Ich konnte nicht mehr warten.

Ich war schon nach München gezogen. Mit meinem gesparten Geld. Blumenstraße 19 habe ich gewohnt. Aber da wurde es mir zu teuer. Außerdem war die Wirtin neugierig.

Ich wusste genau, wann es geschehen musste. Der 8. November im Bürgerbräu-Keller war der einzige Tag, an dem man genau wusste, wo er war. Man wusste sogar die genaue Zeit. Und den genauen Platz, an dem er stand. Seit Jahren.

Ich musste mich beeilen. Aufschieben konnte ich nicht mehr. Er hatte den Krieg ja schon angefangen. Da suchte ich mir eine neue Wohnung."

Nach dem Ende seines Geständnisses war Elser erschöpft und traurig. Er hatte uns freimütig und in allen Einzelheiten alles erzählt, was wir wissen mussten. Es gab kaum noch eine Frage.

Wir legten einen getarnten Kriminalbeamten in die gleiche Zelle, um Elser unter Kontrolle zu haben. Schon oft hat ein Täter sein Geständnis bereut und Flucht oder Selbstmord versucht.

[Am nächsten Morgen Telefonat mit dem Vorgesetzten Hubers, SS-Oberführer Müller]

Dann fragte Gestapo-Müller: "Na und? Wer steckt dahinter?" - "Mein Lieber, da steckt gar nichts mehr dahinter!"

Gestapo-Müller vorwurfsvoll: "Um Gottes willen, wie kann man nur solche Gedanken haben."

Franz Josef Huber (links) und sein Freund Heinrich Müller (Chef der Gestapo) 1942 beim gemeinsamen Urlaub in Bozen
Quelle: Andreas Seeger, Gestapo-Müller. Die Karriere eines Schreibtischtäters, Berlin 1996

[Einige Tage später]

In einem Sonderwagen der Reichsbahn brachten wir den Attentäter in die Hauptstadt. Ich wurde anschließend gleich zu Himmler und Heydrich zum Vortrag befohlen.

Himmler war darüber sehr befremdet. Er sagte, hinter diesem Anschlag stünden einwandfrei die Engländer. Er blieb bei dieser Behauptung auch, als ich ihm sagte, dass dafür jeder Beweis fehle.

Besprechung bei Heinrich Himmler

Heinrich Himmler in einer Besprechung zum Fall Elser. Von links: Franz Josef Huber (Leiter der Gestapo Wien, Leiter der Täterkommission), Arthur Nebe (Chef der Kripo, Leiter der Sonderkommission Bürgerbräuattentat), Heinrich Himmler (Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei), Reinhard Heydrich (Chef des RSHA), Heinrich Müller (Chef der Gestapo).
Quelle: Ullstein Bilderdienst

Der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, Reinhard Heydrich, sagte mir nach unserem Gespräch, er sei ganz meiner Meinung. Es wäre aber besser gewesen, die Frage nach den Hintermännern nicht mit solcher Bestimmtheit abzulehnen. Himmler würde nie und nimmer glauben, dass der Anschlag das alleinige Werk Georg Elsers gewesen sei.

Hitler kam nach dem Anschlag noch einmal nach München und besuchte die Verletzten des Attentats in der Münchener Universitätsklinik. Anschließend besichtigte er den zerstörten Bürgerbräu-Keller. Er war [über die Alleintäterschaft] gar nicht so überrascht, sondern sagte nur so obenhin, das sei leicht möglich.

Quelle: Günter Peis, Zieh' dich aus, Georg Elser!, Bild am Sonntag (8.11.1959, 29.11.1959, 6.12.1959), Hamburg 1959


Kriminaldirektor Franz Josef Huber leitete von 1938 bis 1944 die Gestapo-Leitstelle Wien. 1939 wurde er kommissarischer Inspekteur der Sicherheitspolizei in Österreich, bevor er 1942 zum Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD in den "Reichgauen Wien, Niederdonau und Oberdonau" ernannt wurde. Nach dem Attentat holte man ihn im Nover 1939 nach München, wo er die Täterkommission im Rahmen der "Sonderkommission Bürgerbräuattentat" leitete.

Georg Elser und der Rote Frontkämpferbund
Albrecht Böhme
Walter Schellenberg
Hans Bernd Gisevius