Georg Elser: Berliner Verhörprotokoll
3.Tag – Dienstag, 21. November 1939
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Weiterverhandelt am 21.11.1939 um 8 Uhr 30.
Weltanschauung
Auf entsprechende Befragung gibt Elser an:
Ich glaube, dass die ganze Welt und auch das menschliche Leben von Gott geschaffen wurde. Ich glaube auch, dass sich nichts in der Welt abspielt, von dem Gott nichts weiß. Die Menschen werden wohl einen freien Lauf haben, aber Gott kann sich dreinmischen, wann er will.
Er hat mir auch meinen freien Lauf gelassen. Ob er sich bei meiner Tat auch dreingemischt hat und den Führer früher weggehen ließ, weiß ich nicht.
Ich habe nicht gewusst, dass es in Russland keine Kirchen und keine Geistlichen mehr gibt. Ich habe nie davon gelesen und glaube das auch gar nicht. Dagegen glaube ich, dass die deutsche Regierung die in Deutschland bestehenden Kirchen, d. h. Religionen, abschaffen will. Soviel ich weiß oder gehört habe, sollen alle Deutschen nur noch an eine Lehre glauben. Sie sollen Deutsche Christen werden. Wenn ich gefragt werde, ob ich das für gut oder schlecht halte, so kann ich dies nicht beantworten, weil ich die Lehre der Deutschen Christen nicht kenne.
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Ich glaube an Himmel und Hölle, so wie ich es in der Schule im Religions- und Konfirmandenunterricht gehört habe. Ich glaube, dass Gott auch persönlich in einem Gebet angerufen werden kann und dass er das hört und erfüllen kann, wenn er will.
Vermerk:
Dem Beschuldigten werden einige Begriffe aus der nationalsozialistischen Weltanschauung auseinandergesetzt. Diese Gedankengänge sind ihm angeblich unbekannt.
B) Zur Sache
Im Herbst 1938 war ich, wie bereits erwähnt, in der Armaturenfabrik Heidenheim in der Versandabteilung beschäftigt und bei meinen Eltern in Königsbronn wohnhaft.
Nach meiner Ansicht haben sich die Verhältnisse in der Arbeiterschaft nach der nationalen Revolution in verschiedener Hinsicht verschlechtert. So z.B. habe ich festgestellt, dass die Löhne niedriger und die Abzüge höher wurden. Während ich im Jahre 1929 in der Uhrenfabrik in Konstanz durchschnittlich 50,- RM wöchentlich verdient habe, haben die Abzüge zu dieser Zeit für Steuer, Krankenkasse, Arbeitslosenunterstützung und Invaliden-
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marken nur ungefähr 5,- RM betragen. Heute sind die Abzüge bereits bei einem Wochenverdienst von 25,- RM so hoch. Der Stundenlohn eines Schreiners hat im Jahre 1929 eine Reichsmark betragen, heute wird nur noch ein Stundenlohn von 68 Pfg. bezahlt Es ist mir erinnerlich, dass 1929 sogar ein Stundenlohn von 1,05 RM tarifmäßig bezahlt worden ist. Aus Unterhaltungen mit verschiedenen Arbeitern ist bekannt, dass auch in anderen Berufsgruppen nach der nationalen Erhebung die Löhne gesenkt und die Abzüge größer wurden. Beispiele kann ich nicht anführen.Ferner steht die Arbeiterschaft nach meiner Ansicht seit der nationalen Revolution unter einem gewissen Zwang. Der Arbeiter kann z. B. seinen Arbeitsplatz nicht mehr wechseln wie er will, er ist heute durch die HJ. nicht mehr Herr seiner Kinder und auch in religiöser Hinsicht kann er sich nicht mehr so frei betätigen.
Ich denke hier insbesondere an die Tätigkeit der Deutschen Christen. Weitere Beispiele fallen mir augenblicklich nicht ein. Diese Feststellungen und Beobachtungen habe ich bis zum Jahre 1938 und auch in der Folgezeit gemacht Ich habe noch im Laufe dieser Zeit festgestellt, dass deswegen die Arbeiterschaft gegen die Regierung "eine Wut" hat. Diese Feststellungen habe ich im
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allgemeinen gemacht, einzelne Personen, die sich in diesem Sinne geäußert haben, kann ich nicht angeben. Diese Feststellungen habe ich in den Betrieben, wo ich gearbeitet habe, in Wirtschaften und während der Bahnfahrt gemacht einzelne Personen kann ich mit bestem Willen namentlich nicht angeben. Die Namen dieser Personen sind mir nicht bekannt Ich muss zugeben, dass es zwischendurch auch vorkam, dass bei solchen Unterhaltungen auch einzelne, mir ebenso unbekannte Personen widersprochen haben. Bei den Unterhaltungen über die angeblich schlechten sozialen Verhältnisse habe auch ich mich beteiligt und die Ansicht meiner Kameraden hierüber geteilt. Darüber, wie man diese Verhältnisse beseitigen kann, ist nie gesprochen worden.Im Herbst 1938 wurde nach meinen Feststellungen in der Arbeiterschaft allgemein mit einem Krieg gerechnet. Ich kann heute nicht mehr angeben, ob dies auf die politischen Ereignisse im Herbst vorigen Jahres allein oder auch auf andere Gründe zurückzuführen war. In der Arbeiterschaft herrschte deswegen große Unruhe. Auch ich vermutete, dass es wegen der Sudetenfrage "schief geht", d. h., dass es zu einem Krieg kommt. Nach der Münchener Besprechung kehrte in der Arbeiterschaft wieder Ruhe ein, der Krieg wurde als erledigt be-
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trachtet. Ob weiterhin von einem Krieg unter der Arbeiterschaft gesprochen wurde, kann ich heute nicht mehr sagen.Ich war bereits voriges Jahr um diese Zeit der Überzeugung, dass es bei dem Münchener Abkommen nicht bleibt, dass Deutschland anderen Ländern gegenüber noch weitere Forderungen stellen und sich andere Länder einverleiben wird und dass deshalb ein Krieg unvermeidlich ist, d. h. ich hatte die Vermutung, dass es so kommen wird. Dies war meine eigene Auffassung. Ich kann mich nicht erinnern, dass Arbeitskameraden nach dem Abkommen von München 1938 noch von einer weiteren Kriegsgefahr sprachen. Ich gebe allerdings zu, dass ich in dieser Zeit ausländische Radiosendungen gehört habe.
Im Herbst, Winter 1938 oder auch erst Anfang 1939 habe ich mir von dem Musikalienhändler Klein in Heidenheim einen Radioapparat zur Probe geben lassen. Ich glaube, es hat sich um einen Philipps-Apparat gehandelt, der meines Wissens über 200,- RM kosten sollte. Ich hatte tatsächlich die Absicht, mir einen Apparat auf Raten zu kaufen. Da aber meine Mutter, wenn ich ihn zu Hause einschaltete, immer sagte, sie brauche keine Unterhaltung, habe ich ihn dann nicht gekauft, sondern unge-
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fähr nach 14 Tagen wieder zurückgegeben. Zu Hause hatte ich den Apparat in meiner Kammer stehen und ihn mittels eines Zwischenstücks an meiner elektrischen Lampe angeschlossen. Mit diesem Apparat habe ich, als ich alle möglichen Stationen absuchte, zufällig an irgendeiner Stelle deutsch sprechen hören. Auf der Skala war der Name "Moskau" nicht verzeichnet, sonst hätte ich ihn gleich gefunden und hätte gar nicht lange zu suchen brauchen. - Dies darf nicht so aufgefasst werden, als ob ich nach der Station Moskau besonders gesucht hätte. Ich meinte dies so, dass ich sonst gleich gewusst hätte, wo Moskau ist. Ich habe also Moskau nicht gesucht, sondern bin beim Drehen nur zufällig darauf gekommen. Beim Abhören der Sprechsendung habe ich dann gemerkt, dass es Moskau sein muss. Ob ich vorher schon wusste, dass der Sender Moskau auch in deutscher Sprache sendet, weiß ich heute nicht mehr. Von da ab habe ich dann noch öfter diesen Sender eingestellt. Während der ganzen Zeit, in der ich den Apparat hatte, vielleicht drei- oder viermal. Andere deutschsprechende Auslandssender habe ich mit diesem Apparat nie abgehört. Andere Sender dieser Art oder Moskau habe ich dann nicht mehr gehört, bis ich im Mai 1939 nach Schnaitheim zu Schmauder's gezogen bin.90
Als ich zu Schmauder's zog, hatten diese, glaube ich, noch keinen Radio. Sie schafften sich erst einen an, als ich schon dort wohnte. Ich muss mich berichtigen: Es fällt mir eben ein, dass Schmauders ihren Apparat schon hatten, als ich zu ihnen zog. Was für eine Marke es war, weiß ich nicht. Soviel ich weiß, hatte er ungefähr 170,- bis 200,- RM gekostet.
Der Apparat stand dort in der Küche. Mit diesem Apparat haben wir, d. h., wer eben gerade in der Küche war, den Straßburger Sender öfter gehört. Ebenso einen Schweizer Sender. Abends, wenn die Familie Schmauder im Bett war, habe ich dann noch manchesmal allein den Moskauer Sender eingeschaltet und deutsche Sendungen gehört. Auch auf diesem Apparat war der Name "Moskau" nicht verzeichnet. Andere Sender mit Ausnahme deutscher Rundfunksender und vielleicht auch ein- oder zweimal eines englischen Senders habe ich dort nicht gehört. Den Freiheitssender 29.8. oder andere Sender dieser Art kenne ich nicht. Im Familienkreis Schmauder wurde dann auch über den Inhalt der Sendungen gesprochen. Auf Einzelheiten dieser Unterhaltungen kann ich mich heute nicht mehr besinnen. Es ist mir aber noch erinnerlich, dass bestimmte Nachrichten, die offensichtlich falsch
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waren, von uns abgelehnt wurden. Über andere hat man sich unterhalten, ob sie vielleicht richtig sein könnten.Die seit 1933 in der Arbeiterschaft von mir beobachtete Unzufriedenheit und der von mir seit Herbst 1938 vermutete unvermeidliche Krieg beschäftigten stets meine Gedankengänge. Ob dies vor oder nach der Septemberkrise 1938 war, kann ich heute nicht mehr angeben. Ich stellte allein Betrachtungen an, wie man die Verhältnisse der Arbeiterschaft bessern und einen Krieg vermeiden könnte. Hierzu wurde ich von niemandem angeregt, auch wurde ich von niemandem in diesem Sinne beeinflusst. Derartige oder ähnliche Unterhaltungen habe ich nie gehört. Auch vom Moskauer Sender habe ich nie gehört, dass die deutsche Regierung und das Regime gestürzt werden müssen. Die von mir angestellten Betrachtungen zeitigten das Ergebnis, dass die Verhältnisse in Deutschland nur durch eine Beseitigung der augenblicklichen Führung geändert werden könnten. Unter der Führung verstand ich die "Obersten", ich meine damit Hitler, Göring und Goebbels. Durch meine Überlegungen kam ich zu der Überzeugung, dass durch die Beseitigung dieser 3 Männer andere Männer an die Regierung kommen, die an das
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Der Gedanke der Beseitigung der Führung ließ mich damals nicht mehr zur Ruhe kommen und bereits im Herbst 1938 - es war dies vor dem November 1938 - hatte ich auf Grund der immer angestellten Betrachtungen den Entschluss gefasst, die Beseitigung der Führung selbst vorzunehmen. Ich dachte mir, dass dies nur möglich sei, wenn die Führung sich bei
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irgendeiner Kundgebung befindet. Aus der Tagespresse entnahm ich damals, dass die nächste Zusammenkunft, bei der auch die Führung teilnimmt, sich am 8. und 9. November 1938 in München im Bürgerbräukeller abspielt. Bestimmt kann ich allerdings nicht mehr sagen, ob ich diese Zusammenkunft tatsächlich aus der Zeitung oder sonst irgendwie erfahren habe. Ob mir dies später noch einfällt, kann ich nicht angeben.
[1. Fahrt nach München (8.-9. November 1938)]
Am 8. November 1938 fuhr ich von Königsbronn aus mit der Bahn nach München, um mir den Verlauf der Kundgebung am 8. November im Bürgerbräukeller in München anzusehen. Ich wollte mich damals vergewissern, ob und welche Möglichkeiten dort vorhanden sind, meinen Entschluss in die Tat umzusetzen. Über die Art der Durchführung meines Entschlusses hatte ich mir bis dahin keine Gedanken gemacht. Soviel ich mich erinnere, kam ich damals am 8. November 1938 gegen 19 Uhr in München an. Die Zeit der Abfahrt in Königsbronn ist mir nicht mehr in Erinnerung. Unmittelbar nach Eintreffen des Zuges in München begab ich mich vom Zug aus in das Quartieramt im Hauptbahnhof München, wo ich um ein Nachtquartier nachgefragt habe.
Es wurde mir
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ohne weiteres ein Zimmer in der Albanistraße zugewiesen. Die Hausnummer und der Quartiergeber sind mir nicht mehr bekannt. Ich glaube, dass ich dieses Anwesen heute noch finden würde. Das Quartieramt befand sich halblinks des Bahnsteiges, den ich verlassen habe. Über dem Eingang war groß die Aufschrift "Quartieramt" angebracht. Ob es sich um das Quartieramt des 8./9. November gehandelt hat, weiß ich nicht. Es befanden sich in diesem Quartieramt einige Schalter, das Personal des Quartieramtes und das Publikum befand sich dort teils in Parteiuniform, teils in Zivil. Ob ich dort nach meinem Namen und nach meiner Herkunft befragt worden bin und ob ich gefragt worden bin, ob ich Marschteilnehmer von 1923 bin, ist mir nicht mehr in Erinnerung. Ich glaube, dass ich lediglich gefragt wurde, in welcher Gegend ich Unterkunft wünsche. Einen diesbezüglichen Wunsch habe ich nicht geäußert. Mir wurde dort lediglich ein Zettel mit der Aufschrift: "Albanistraße", Hausnummer und Mietgeber ausgehändigt. Ein Programm für den Verlauf des 8./9. November in München erhielt ich bestimmt nicht. Ob ich für die Unterkunft etwas bezahlen musste, weiß ich heute nicht mehr. Vom Quartieramt begab ich mich unmittelbar in die Albani-
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straße. Nachdem ich in München keine Ortskenntnisse hatte, fuhr ich mit der Straßenbahn dorthin. Ein Straßenbahnschaffner hat mir auf Befragen die entsprechenden Auskünfte erteilt, um zu der angegebenen Wohnung zu gelangen. Nachdem ich in der bezeichneten Wohnung angelangt war, musste ich feststellen, dass dort überhaupt keine Übernachtungsgelegenheit vorhanden war. Die Leute selbst haben sich dann meiner angenommen und haben mich einen Stock tiefer bei einer mir heute nicht mehr bekannten Familie einquartiert. Soviel ich weiß, musste ich dort auf dem Sofa schlafen. Polizeilich habe ich mich dort nicht gemeldet. Den Leuten habe ich auf Befragen meinen richtigen Namen Georg Elser und meinen Wohnort Königsbronn angegeben. Diesen Leuten erklärte ich, dass ich mir lediglich München ansehen möchte. Weitere Fragen haben die Leute an mich nicht gestellt. In der Albanistraße war ich gegen 20 Uhr angekommen. Etwa um 20 Uhr 15 begab ich mich von dort aus zu Fuß in den Bürgerbräukeller. Wenn ich mich nicht täusche, habe ich mich bei meinen Quartiergebern nach dem besten Weg dorthin erkundigt. Es kann auch möglich sein, dass ich während des Weges noch bei Straßenpassanten nach dem Bürgerbräukeller gefragt habe. Den Weg, den ich dorthin zurückgelegt habe, kann
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ich nicht mehr bezeichnen. Ich kann mich nur entsinnen, dass ich ein Stück der Isar entlang gegangen bin. Als ich in die Rosenheimer Straße kam, war dort die Fahrbahn gesperrt und auf dem Gehsteig hatte Publikum Aufstellung genommen. Ich nahm ebenfalls dort Aufstellung und wartete ab, ob man etwas Besonderes zu sehen bekomme. Den Bürgerbräukeller konnte ich von dort aus nicht sehen. Ich stand am Rosenheimer Berg bei der Einmündung der Hochstraße. Dort stand ich bis gegen 22 Uhr 30, bis sich die Leute verlaufen hatten. Daraufhin begab ich mich weiterhin die Rosenheimer Straße stadtauswärts, um zum Bürgerbräukeller selbst zu gelangen. Die Absperrung war bei meinem Eintreffen am Bürgerbräukeller bereits aufgehoben. Der Eingang war noch erleuchtet. Vom Haupteingang aus begab ich mich durch den Garderobenraum unmittelbar zum Saal, wo noch einzelne Personen anwesend waren. Ich begab mich vom Saaleingang aus bis ungefähr in die Mitte des Saales, betrachtete diesen, stellte fest, wo das Rednerpult stand und welche Ausschmückungen vorhanden waren. Auf die Galerie selbst habe ich mich nicht begeben. Betrachtungen darüber, wie man in diesem Saal am besten ein Attentat zur Ausführung bringt, habe ich dort nicht angestellt. Nachdem ich mir die Anlage des Saales angesehen hatte,97
habe ich mich von dort aus durch den Garderobenraum in das sog. Bräustübl des Bürgerbräukellers begeben, wo ich mich am ersten Tisch zur Einnahme des Abendessens niederließ. Es dürfte dies gegen 23 Uhr gewesen sein. Nach ungefähr einer Viertelstunde nahm an meinem Tisch ein mir unbekannter Mann Platz, der mich ansprach, nachdem ich von meinem Bier sehr wenig getrunken habe. An diesem Tisch haben sich noch sieben Personen befunden; ob diese bereits vor mir Platz genommen hatten, ist mir nicht mehr erinnerlich. Nachdem er auch an dem Dialekt merkte, dass ich Schwabe bin, stellte er sich mir als Schlachthausverwalter in Aalen/Württemberg vor. Ich nannte ihm gegenüber meinen richtigen Namen und meinen richtigen Wohnort. Eine weitere Unterhaltung hat mit diesem Mann nicht stattgefunden, soviel ich mich erinnere, hat er mir einen halben Liter Bier bezahlt. Dieser Mann war ungefähr 1,74 m groß und etwa 37-38 Jahre alt. Eine nähere Beschreibung kann ich nicht abgeben. Mit anderen Personen habe ich mich dort nicht unterhalten. Gegen 24 Uhr habe ich nach Bezahlung meiner Zeche den Bürgerbräukeller verlassen und habe mich zu Fuß in mein Quartier begeben. Dabei habe ich den gleichen Weg zurückgelegt, auf dem ich zum Bürgerbräukeller gelangt bin. Gegen 0.30 Uhr war98
ich in der Albanistraße wieder angelangt. Ich begab mich sofort auf mein Zimmer und legte mich auf dem Sofa zum Schlafen nieder. Meine Quartierleute hatten sich bereits zur Ruhe begeben.Am 9.11.1938 habe ich gegen 8 Uhr bei meinen Quartiersleuten das Frühstück eingenommen und mich dann zu Fuß auf dem mir bereits bekannten Weg wiederum zum Bürgerbräukeller begeben, wo ich mir die Aufstellung des Zuges vom 9. November 1923 ansah. Ich hatte gegenüber dem Eingang des Bürgerbräukellers auf dem Gehsteig unter dem Publikum Aufstellung genommen. Dort war ich etwa gegen 11 Uhr angelangt. Ich sah mir dort die Aufstellung des Zuges vom 9. November an und sah auch die Anfahrt des Führers. Nachdem sich der Zug in Marsch gesetzt hatte, ging auch ich in das Stadtinnere und besah mir dort die Stadt, ging anschließend zum Bahnhof, von wo aus ich mit der Bahn nach Königsbronn zurückfuhr. An Einzelheiten kann ich mich nicht mehr entsinnen, ich weiß nur, dass ich mir die Stadt angesehen habe. Die Zeit der Abfahrt ist mir ebenfalls nicht mehr bekannt. Ich weiß nur, dass ich noch am gleichen Abend nach Königsbronn zurückgelangt bin.
Die Quartierleute in München hatte ich nicht mehr aufgesucht. Für das Quartier habe ich
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freiwillig etwas bezahlt, ich glaube, es war 1,- RM. Beim Weggehen in der Frühe habe ich diesen erklärt, dass ich mir den Zug des 9. November ansehen und dass ich anschließend sofort wieder nach Hause fahren werde. Die Fahrt von Königsbronn nach München und von München nach Königsbronn kam mir ungefähr auf 11,- bis 12,- RM zu stehen. Genau kann ich dies nicht angeben; ob ich eine Sonntagskarte benutzt habe, ist mir nicht erinnerlich, auch weiß ich nicht, ob ich mit dem Schnellzug gefahren bin. Ich fuhr dritter Klasse. Die Fahrt hatte ich aus eigenen Mitteln bestritten. Welche Kleidung ich damals getragen habe, kann ich heute nicht mehr angeben. Ich habe die Fahrt nach München allein ausgeführt und bin auch allein nach Königsbronn zurückgefahren. Reisebekanntschaften habe ich nicht gemacht, auch in München habe ich keinen Bekannten getroffen, ich habe mich dort lediglich mit dem bereits bezeichneten Schlachthofverwalter aus Aalen einige Zeit unterhalten. Irgendwelche Verbindungen in München habe ich seinerzeit nicht angebahnt. Was ich zu Hause und an meiner damaligen Arbeitsstelle über mein damaliges Fernbleiben erklärt habe, weiß ich heute nicht mehr. Vielleicht habe ich mich in der Fabrik krank gemeldet.100
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Soeben fällt mir noch ein, dass ich nach der Besichtigung des Saales des Bürgerbräukellers noch feststellen konnte, dass der Saal in keiner Weise bewacht wurde, dass keine Kontrolle vorhanden war und dass jedermann ohne weiteres zu diesem Saal Zutritt erlangen konnte.
Nach 2 oder 3 Tagen habe ich mir während der Freizeit überlegt, an welcher Stelle des Saales, "etwas zu machen ist". Auf Grund der Saalbesichtigung hielt ich diesen für einen Anschlag "auf die Führung" als geeignet. Ich kam damals zu dem festen Entschluss, das Attentat dort zur Ausführung zu bringen. Über die Art der Durchführung habe ich mir zu dieser Zeit noch keine Gedanken gemacht.
[Entwendung von 250 Pressstückchen Pulver (ab November 1938)]
In den folgenden Wochen hatte ich mir dann langsam im Kopf zurechtgelegt, dass es am besten sei, Sprengstoff in jene bestimmte Säule hinter dem Rednerpodium zu packen und diesen Sprengstoff durch irgendeine Vorrichtung zur richtigen Zeit zur Entzündung zu bringen. Wie dieser Entzündungsapparat aussehen müsste, darüber war ich mir damals noch nicht im Klaren. Die Säule habe ich mir deshalb gewählt, weil die bei einer Explosion umherfliegenden Stücke die Leute am und um das Rednerpult treffen mussten. Außerdem dachte
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ich auch schon daran, dass vielleicht die Decke einstürzen könnte. Welche Personen allerdings um das Rednerpult bei der Veranstaltung sitzen, wusste ich nicht. Ich wusste aber, dass Hitler spricht und nahm an, dass in seiner nächsten Nähe die Führung sitze.
Bis dahin hatte ich mich weder theoretisch noch praktisch mit dem Bau irgendeines Apparates beschäftigt, mit dem man Sprengstoff zu einer bestimmten Zeit zur Entzündung bringen könnte. Deshalb hatte ich vorher auch noch nie irgendwelche Zeichnungen von einer solchen Entzündungseinrichtung oder einer Höllenmaschine angefertigt oder gar Vorbereitungen zum Bau von Modellen getroffen.
Nach meiner Rückkehr von meinem ersten Besuch in München (d. h. am 8./9.November 38, ungefähr 19 Jahre vorher war ich schon einmal zum Oktoberfest in München) setzte ich meine Arbeiten in der Armaturenfabrik wie früher fort. Während der Arbeitszeit beschäftigte ich mich nicht mit meinen besonderen Plänen. Dazu verwendete ich die Freizeit. Ehe ich mir aber über die genaue Ausführung des Planes im Klaren war, habe ich mir bereits dadurch einen Vorrat an Sprengstoff zugelegt, dass ich meine Stelle in der Versandabteilung der genannten Firma dazu aus-
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nutzte, nach und nach im Laufe mehrerer Monate insgesamt 250 Pressstückchen Pulver zu entwenden. Ein solches Blättchen des gepressten Pulvers war 9 mm stark und hatte einen Durchmesser von 19 mm. Der Diebstahl wurde im Betrieb nicht bemerkt. Ich hatte die einzelnen Stückchen immer aus den Kisten, die bei den Pulverpressen standen, unauffällig und rasch weggenommen. Solange ich noch zu Hause wohnte, d. h. noch nicht nach Schnaitheim gezogen war, habe ich den sich ansammelnden Vorrat an Pulver in meinem Kleiderschrank in meiner Kammer aufbewahrt. Ich hatte das Pulver in ein Papier eingewickelt, unten in den Schrank hineingelegt und das Päckchen mit Wäsche zugedeckt. Von meinen Angehörigen hat nie jemand dieses Pulver entdeckt. Ich hatte mein Zimmer immer abgeschlossen.
Als ich mir die ungefähre Konstruktion des Apparates im Kopf und vielleicht auch schon auf einer Handskizze (das weiß ich nicht mehr genau, ob ich mir nicht erst später eine solche angefertigt habe) zurechtgelegt hatte, stellte ich fest, dass es notwendig sei, die genauen Maße der Säule, in der ich den Apparat anbringen wollte, zu haben. Ich fuhr deshalb noch einmal nach München und hielt mich dort vom 4.-12. April 1939 auf.
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[2. Fahrt nach München (4.-12. April 1939)]
Am 4. April fuhr ich mit der Bahn (3.Klasse) vom Königsbronn nach München ab. Die Zeit der Abfahrt und der Ankunft in München ist mir nicht mehr bekannt. Die ersten zwei Tage übernachtete ich in einer Wirtschaft, die gegenüber dem Kino am Isartorplatz liegt. Der Name dieser Wirtschaft und der Name der Wirtsleute ist mir nicht bekannt. Ich habe mich dort unter meinem richtigen Namen polizeilich angemeldet. Nachdem es mir dort in dieser Wirtschaft nicht gefallen hat - es war mir zu unsauber und zu unbehaglich - habe ich mich in einer Wirtschaft im Osten von München einquartiert. Auch diese Wirtschaft kann ich nicht näher bezeichnen. (Nach den Erklärungen des Elser kommt eine Wirtschaft in Bogenhausen oder Heidhausen in Frage). Auch dort habe ich mich unter meinem richtigen Namen polizeilich angemeldet. In dieser Wirtschaft habe ich zwei- oder dreimal genächtigt. Nachdem am darauf folgenden Tage in dieser Wirtschaft sämtliche Zimmer belegt waren, begab ich mich von dort aus in eine Wirtschaft in der Nähe des Rosenheimer Platzes, die sich dort, vom Stadtinnern aus gesehen, rechts an der Rosenheimer Straße befindet. Ich bin nicht in der Lage, den Namen dieser Wirtschaft anzugeben.
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Auch dort habe ich mich, wie überall, unter meinem richtigen Namen polizeilich gemeldet. Diese Wirtschaften wurden von mir selbst aufgesucht, ich wurde dorthin von niemandem verwiesen. Durchschnittlich habe ich in diesen Wirtschaften für das Übernachten 1,50 bis 2,00 RM bezahlt.
Während dieses Aufenthaltes in München bin ich einmal, und zwar durch den Eingang vom Bräustübl her, durch den Garderobenraum hindurch in den Saal des Bürgerbräukellers gegangen. Dies war am 1. oder 2. Tage, also am 5. oder 6.4.1939.
Die Türen, die ich, um in den Saal zu gelangen, durchschreiten musste, waren geöffnet, d. h. nicht verschlossen. Wie ich später beobachtet habe, war sie überhaupt tagsüber immer geöffnet und wurde nur nachts verschlossen. Zu überlegen, wo ich meinen Sprengkörper später anbringen würde, brauchte ich mir nicht mehr. Ich war mir bereits darüber im Klaren, dass ich dies oberhalb des Galerieabsatzes tun würde. Ich begab mich deshalb damals sofort auf die Galerie, und zwar, soviel ich mich erinnern kann, auf dem kürzesten Wege über die Treppe links des Einganges. Auf der Galerie habe ich dann die Maße der in Frage kommenden Säule mit einem mitgebrachten zusammenklappbaren Meterstab abgemessen und die Umriss-
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maße in meinem Notizbuch eingetragen, d. h., ich habe eine kleine Handskizze in meinem Notizbuch gemacht und an dieser Skizze die Maße vermerkt. Ich glaube nicht, dass sich damals jemand außer mir in dem Saal befunden hat, wenigstens kann ich mich nicht entsinnen, jemand gesehen zu haben. Den Saal habe ich durch den Hauptausgang wieder verlassen. Insgesamt dürfte ich mich ungefähr 5 Minuten darin aufgehalten haben. Zu welcher Tageszeit dies war, weiß ich nicht mehr, es war aber bei Tag. Ob ich beim Verlassen des Bürgerbräukellers durch das Bräustüberl gegangen bin, oder mich gar noch darin aufgehalten habe oder den direkten Ausgang vom Garderobenraum zur Straße benutzt habe, weiß ich auch nicht mehr. Unter "Bräustübl" verstehe ich den Wirtschaftsraum, der sich vom Haupteingang aus links befindet.In diesem Wirtschaftsraum habe ich mich während meines ganzen Aufenthaltes täglich mindestens einmal aufgehalten und dort irgendetwas gegessen oder getrunken. Gleich am ersten oder zweiten Tage hat sich der Hausbursche des Bürgerbräukellers, dessen Name mir nicht mehr erinnerlich, zufällig an meinem Tisch niedergelassen, um eine Mahlzeit einzunehmen oder ein Bier zu trinken. [Der Hausbursche hieß laut Protokoll vom 23.11.1939 Renner] Wir kamen so ins Gespräch und er erzählte mir u. a., dass er wahr-
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scheinlich bald zum Militär einrücken müsse. Dabei kam mir der Gedanke, dass es für die Vorbereitung meiner beabsichtigten Tat sehr günstig wäre, wenn ich Hausbursche dort werden könnte. Ich fragte deshalb den Hausburschen, was er denn meine, ob ich denn seine Stelle nicht haben könnte. Er versprach mir, mal den Direktor zu fragen. Als ich in den folgenden Tagen immer wieder daran erinnern musste, und er mir sagte, dass er zu fragen noch keine Gelegenheit gehabt habe, habe ich mich selbst an den Direktor gewandt. Der war sehr erstaunt, zu hören, dass sein Hausbursche einen Gestellungsbefehl habe und hat offenbar im Anschluss an seine Unterhaltung mit mir dem Hausburschen einen Krach gemacht, weil er ihm noch nichts gesagt hatte. Der Hausbursche erzählte mir dies danach und schimpfte mit mir, dass ich den Direktor gefragt hatte, ohne ihm etwas davon vorher zu sagen. Wieder später kam der Direktor an meinen Tisch, als ich wieder gerade mal im Bürgerbräukeller saß, und sagte mir, dass es wahrscheinlich mit meiner Anstellung nichts werde, weil er hoffe, dass sein Hausbursche zurückgestellt werde. Daraufhin habe ich mich noch einige Male mit dem Hausburschen über diese Frage unterhalten, ihn auch mehrmals zu107
einem Glas Bier eingeladen und ihm schließlich 20,- RM und später sogar schriftlich 50,- RM versprochen, wenn er mir die Stelle vermittele, für den Fall, dass er doch zum Militär einrücken müsste. An welchen Tagen sich die einzelnen Unterhaltungen bzw. meine Versprechungen ihm gegenüber abspielten, weiß ich nicht mehr. Zweimal bin ich sogar mit dem Hausburschen außerhalb des Bürgerbräukellers in andere Wirtschaften gegangen, um ein Glas Bier zu trinken. Das erste Mal gingen wir auf seine Aufforderung in die Wirtschaft "Am Gasteig". Es begleitete uns zwei noch ein dritter junger Mann, den der Hausbursche mitbrachte und den ich vorher schon im "Bräustübl" gesehen hatte, der mir aber nicht näher bekannt war und an dessen Namen ich mich nicht mehr erinnern kann. Ich kann mir sogar im Augenblick nicht einmal mehr denken, wie er aussah. Das zweite Mal sind wir, wiederum auf Aufforderung des Hausburschen, in eine andere Wirtschaft gegangen, an deren Namen und genaue Lage ich mich nicht mehr erinnern kann. Auch dort haben wir Bier getrunken. Ich habe dem anderen ein oder zwei Glas Bier wieder bezahlt. Bei diesem Ausgang waren wir allein, ohne einen dritten.108
Ehe ich München verließ, habe ich mit dem Hausburschen ausgemacht, dass er mir schreiben solle, wenn er einrücken müsse. Ich wollte dann nach München kommen, und, wenn ich die Stelle bekommen hätte, würde der Hausbursche von mir 50 Mark erhalten haben. Hierzu verpflichtete ich mich, wie schon gesagt, schriftlich. Der Hausbursche hat mich wohl gefragt, warum mir die Stelle so wichtig sei. Ich habe ihm gesagt, dass dies die einzige Möglichkeit sei, nach München zu kommen, wo ich gern immer sein wolle. Er glaubte mir dies offenbar. Jedenfalls fragte er nicht weiter, denn ihm schien das Geld wichtiger zu sein als meine Gründe. Wie ich gesehen hatte, trank er gern.
Die Angelegenheit mit dem Hausburschen, d. h. die Möglichkeit, im Bürgerbräukeller angestellt zu werden, war der einzige Grund, weswegen ich solange in München blieb. Wenn das nicht gewesen wäre, wäre ich schon viel früher, wahrscheinlich am zweiten oder dritten Tag wieder nach Hause gefahren. Ich weiß dies zwar nicht mehr ganz genau. Es könnte auch sein, dass ich, je nachdem Ostern fiel, vielleicht über die Festtage trotzdem noch in München geblieben wäre, aber nicht länger.
Die dem Hausburschen versprochenen 50 RM
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hätte ich ihm von meinen Ersparnissen, die damals schon viel mehr, nämlich ungefähr 70 RM betrugen und später durch Verkauf von Holz aus meiner Werkstatt, Bassgeige und anderen Dingen bis zum August 1939 auf ungefähr 350-400 RM gestiegen waren, gut bezahlen können.Die mir in München reichlich zur Verfügung stehende Zeit, d. h. soweit ich nicht im Bürgerbräukeller, Saal und Bräustübl war, habe ich damit zugebracht, mir die Stadt anzusehen. Meine Spaziergänge habe ich immer zu Fuß gemacht. Irgendwelche Bekanntschaften, auch nur Wirtstischbekanntschaften, habe ich außer dem Hausburschen und dem einmaligen Begleiter, den ich nicht mehr kenne, nicht gemacht.
Halt, eben fällt mir ein, dass ich mich im Bürgerbräukeller auch mit drei Servierfräulein unterhalten habe und sogar von ihnen im Garten des Bürgerbräukellers auf ihre Bitte eine Photographie (Gruppenbild) gemacht habe. Sie hatten gesehen, dass ich einen Photoapparat bei mir hatte. Dieser Photoapparat war mein Eigentum, die Marke kenne ich nicht, ich hatte ihn von Maria Schmauder zu Weihnachten 1938 als Geschenk erhalten.
Wenn ich gefragt werde, zu welchem Zweck
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ich den Apparat mit nach München genommen habe und ob ich auch im Bürgerbräukeller photographiert habe, so muss ich sagen, dass ich den Apparat mitnahm, um vom Saal bzw. der bewussten Säule eine Aufnahme machen zu können. Tatsächlich habe ich auch, aber nicht bei dem erwähnten ersten Besuch, einige Aufnahmen im Saalinnern gemacht. Eine Aufnahme habe ich von der Säule, die ich später sprengte, von der gegenüberliegenden Galerieseite aus gemacht. Ich muss also zugeben, dass ich noch ein zweites Mal während dieses Osteraufenthaltes in den Saal gegangen bin. An welchem der 8 Tage dieser zweite Besuch des Saales war, weiß ich heute nicht mehr. Die Saaltür war auch diesmal auf und im Saal war außer mir niemand anwesend. Ich konnte auf dieselbe Weise wie das erste Mal aus- und eingehen. Soviel ich mich erinnere, sind diese Aufnahmen nicht sehr viel geworden. Sie waren zu dunkel. Diese Aufnahmen habe ich, ebenso wie alle anderen, die ich machte, bei meinem Photographen in Heidenheim entwickeln und abziehen lassen. Dem Photographen war nicht bekannt, wo diese Aufnahmen gemacht worden waren. An den Namen des Photographen kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Es mag sein, dass er Schuster heißt.111
Während meines Aufenthaltes in München habe ich dort keine weiteren Säle, Räumlichkeiten, u. dgl. aufgesucht, wo sich unter Umständen Gelegenheit geboten hätte, meinen Plan in die Tat umzusetzen.
Außer dem Photoapparat, dem Meterstab und dem Notizbuch habe ich keinerlei Geräte oder Gegenstände mit nach München genommen, die irgendwie der Vorbereitung meines Planes dienlich waren. Auch persönliches Gepäck hatte ich nicht. Ich trug den Anzug und die Wäsche, die ich auf dem Leibe hatte. Den Anzug, den ich seinerzeit getragen habe, kann ich heute nicht mehr bezeichnen.
Im Laufe des 12. April 1939 fuhr ich mit dem Zug (ob D- oder P-Zug weiß ich nicht mehr) 3. Klasse nach Königsbronn zurück. Die Abfahrts- oder ungefähre Ankunftszeit weiß ich nicht mehr.
Den Photoapparat hatte ich bis vor kurzem behalten. Ich habe ihn mit all meinen anderen Sachen erst am 6.11.1939 meiner Schwester in Stuttgart überlassen.
Die Reise nach München fiel insofern nicht weiter auf, als ich bereits im März 1939 meine Stelle in der Armaturenfabrik Heidenheim gekündigt und verlassen hatte. Der Grund dieser Kündigung lag in einem Streit, den ich mit einem Meister hatte. Es war dies der
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Meister der Lehrlingsabteilung namens Kastler, der mir verschiedentlich Grobheiten gesagt hatte, die ich mir nicht gefallen ließ, weil ich ihm nicht unterstellt war. Ich sollte ein Paket, das für ihn in der Versandabteilung angekommen war, vordringlich öffnen, was meines Erachtens nicht notwendig war.Es war nicht so, dass ich etwa diese Firma nur deswegen verlassen habe, weil ich befürchtete, dort nicht genügend Sprengstoff stehlen zu können. Die Kündigung wurde von dem Betriebsleiter Koch nicht angenommen. Koch wurde um diese Zeit krank und ich wandte mich daraufhin an den Stellvertreter Berschwinger, der mir nach wiederholten Vorsprachen nach einigen Tagen meine Papiere ausgehändigt hat.
Während meiner Münchener Reise stand ich also in keinem Arbeitsverhältnis. Zu Hause hatte ich nicht gesagt, dass ich verreise. Ich hielt dies nicht für notwendig, da ich mit meinen Eltern und meinem inzwischen verheirateten Bruder Leonhard nicht gut war. Ich wohnte zwar noch bis Mai 1939 im elterlichen Haus, trotzdem ich nach dem Willen meiner Mutter und meines Bruders schon im Dezember 1938 hätte ausziehen sollen. Leonhard und seine Frau wollten den Raum, den ich bewohnte,
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meiner Mutter zukommen lassen, damit sie den ganzen unteren Stock für sich allein hätten. Mein Vater war der einzige, der auf meiner Seite stand und mir die Kammer belassen wollte.[Schnaitheim (Mai - 4. August 1939)]
Im Mai 1939 bin ich dann nach Schnaitheim zur Familie Schmauder gezogen. In meinem elterlichen Hause habe ich nichts mehr gelassen. Ich habe alles, einschließlich meiner Werkstatteinrichtung, nach Schnaitheim geschafft. Eine neue provisorische Werkstatt habe ich mir wiederum in einem Souterrainraum im Hause Schmauder eingerichtet. Meine Schlafkammer befand sich dort allerdings in dem der Frau Schaad geb. Schmauder gehörenden Teil des Doppelhauses, in dem Familie Schmauder wohnte.
[Hilfsarbeiter bei Steinbruch Georg Vollmer in Königsbronn (April - Mai 1939)]
Einige Tage nach Rückkehr aus München, also Mitte oder vielleicht auch gegen Ende April 1939, trat ich eine neue Arbeitsstelle an. Dies war im Steinbruch des Georg Vollmer in Königsbronn. Von März, d. h. von meinem Austritt aus dem Armaturenwerk bis zum Antritt meiner neuen Arbeitsstelle beim Steinbruch, habe ich aus Ersparnissen meines Verdienstes gelebt. Zu Vollmer wurde ich von niemandem verwiesen. Auch wurde ich darauf von niemandem aufmerksam gemacht. Der Steinbruch und die Arbeiten in dem Steinbruch waren mir durch meinen Aufenthalt
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in Königsbronn bekannt. Es war mir auch bekannt, dass dort Sprengarbeiten vorgenommen werden. Der Hauptgrund, warum ich mich dort um Arbeit bewarb, war der, dass ich mir dort Pulver für den geplanten Anschlag beschaffen konnte. Ich habe damals bei dem dort beschäftigten Vorarbeiter Kolb um Arbeit vorgesprochen, der mich darauf ohne weiteres auch als Hilfsarbeiter eingestellt hat. Was ich dem Vorarbeiter Kolb seinerzeit erklärt habe, weiß ich heute nicht mehr. Kolb war mir ebenfalls durch meinen Königsbronner Aufenthalt persönlich bekannt. Kolb kannte mich auch aus dem gleichen Grunde. In dem Steinbruch hatte ich als Hilfsarbeiter in Rollwagen Steine zu verladen. In dem Steinbruch waren etwa 12-14 Mann beschäftigt. Die Leitung hatte der Vorarbeiter Kolb, der auch die Sprengarbeiten geleitet hat. Ferner war noch ein Schlosser da, dessen Name mir nicht bekannt ist und der die anfallenden Werkzeugreparaturen vorzunehmen hatte. Die übrigen dort beschäftigten Arbeiter waren Hilfsarbeiter. Hiervor kann ich nur einige namentlich benennen. Es sind dies:Munk, wohnhaft in Weiler,
Weiß, wohnhaft in Weiler,
Frank, wohnhaft in Weiler,
Rieg, wohnhaft in Weiler,
Maurer, wohnhaft in Ochsenberg.
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Ferner war hier und da noch der Sohn des Steinbruchbesitzers anwesend, der während der Dauer seiner Anwesenheit die Arbeiten im Steinbruch beaufsichtigt hat. Dieser war durchschnittlich täglich 6 bis 7 Stunden im Steinbruch. In diesem Steinbruch wurde an Werktagen täglich von 7-12 Uhr und 13-18 Uhr gearbeitet. In der Stunde verdiente ich dort während der Dauer meiner Beschäftigung 0,70 RM.
Die Sprengarbeiten in diesem Steinbruch wurden, wie bereits erwähnt, von dem Vorarbeiter Kolb geleitet. Das zu den Sprengungen benötigte Pulver war in einem Betonhäuschen, das sich in der Nähe des Steinbruches befand, verwahrt. Erst durch meine Beschäftigung im Steinbruch wurde ich darauf aufmerksam. Vorher war mir das nicht bekannt. Das Häuschen war ungefähr im Innern 1.50 Meter lang und 1 Meter breit. Das Betonhäuschen konnte mit einer Eisenblechtüre abgeschlossen werden, diese war mit einem gewöhnlichen Türschloss versehen. Im Innern des Häuschens befand sich noch eine Gattertüre. Ob dort eine Vorrichtung zum Absperren vorhanden war, ist mir nicht bekannt. In diesem Häuschen hat Kolb den gelieferten Sprengstoff verwahrt und aus diesem Häuschen hat er stets auch den zu den Sprengungen notwendigen Sprengstoff geholt. Durchschnittlich wurde am Tage zwei- bis dreimal gesprengt. Es gab
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aber auch Tage, an denen keine Sprengungen vorgenommen wurden. Ob Kolb auch Buch geführt hat über den gelieferten und den verwendeten Sprengstoff, ist mir nicht bekannt.Von meinem Arbeitsplatz aus konnte ich häufig beobachten, wann und wie Kolb Sprengstoff geholt hat.
[Entwendung von Sprengpatronen und -kapseln beim Steinbruch Vollmer (Mai 1939)]
Bereits in der ersten Woche ging ich daran, mir Sprengstoff widerrechtlich anzueignen. Das erste Mal geschah dies, als in der Nähe meines Arbeitsplatzes Sprengungen vorgenommen wurden. Häufig war es so, dass Kolb mehr Sprengstoff aus dem Betonhäuschen geholt hatte, als zu den Sprengungen erforderlich war. Wie viel Sprengstoff zu den Sprengungen erforderlich war, konnte immer erst an Ort und Stelle festgestellt werden. Den zuviel geholten Sprengstoff hat er an den Stellen, die sich etwas entfernt von den zu sprengenden Stücken befanden, hinterlegt. Es handelte sich oftmals um 5 oder 8 oder 2 Sprengpatronen, die unbeaufsichtigt dort gelegen waren. Wenn dies von mir beobachtet war, habe ich mich eigens dorthin begeben und mir stets eine Patrone angeeignet, die ich mir in die Tasche gesteckt hatte. Vorher hatte ich mich stets davon vergewissert, dass mich niemand dabei beobachtet hat. Dies habe ich ungefähr acht Mal
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gemacht. Es war dies stets während der Arbeitszeit. Aufgefallen ist offenbar dieser Diebstahl nie, denn Kolb hat nie etwas gefunden oder erwähnt.In den letzteren Wochen meiner Beschäftigung im Steinbruch ging ich auch daran, zur Nachtzeit aus dem bereits erwähnten Betonhäuschen Sprengpatronen zu entwenden. Besondere Vorsicht habe ich dabei nicht walten lassen, denn der Steinbruch und das Betonhäuschen befanden sich außerhalb der Ortschaft. Ich führte damals Schlüssel bei mir, die aus dem elterlichen Anwesen in Königsbronn stammten und die ich bei meinem Wegzug mit dem Werkzeug mit nach Schnaitheim genommen hatte. Mit diesen Schlüsseln versuchte ich, das Betonhäuschen zu öffnen. Es handelte sich um 3 Schlüssel, von denen einer das Schloss aufgesperrt hat. Es ging dies allerdings sehr schwer. Nachdem ich die Türe zu dem Häuschen geöffnet hatte, begab ich mich in das Innere, wo ich die erwähnte Gattertüre, die nicht verschlossen war, öffnete. Ich schaltete die von mir mitgebrachte Taschenlampe ein und stellte fest, dass sich in dem Häuschen zwei Holzkisten befanden, etwa 80 cm lang und 25-30 cm breit und ungefähr 35 cm hoch. Beide Kisten waren geöffnet, die Deckel lagen neben den Kisten. Beide Kisten waren angebrochen und noch bis zur Hälfte
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mit Sprengpatronen gefüllt. Die Patronen in der einen Kiste hatten den Aufdruck "Donarit", ferner war eine Zahl aufgedruckt, die mir nicht in Erinnerung ist, vermutlich war es die Zahl I. Die Patronen in der anderen Kiste hatten den Aufdruck "Gelantine", bestimmt kann ich dies jedoch nicht angeben. Die Patronen waren nochmals in Kartons verpackt mit je 20 bis 25 Stück und so in die Kisten eingelegt. An diesem Tage, an dem ich zum ersten Mal in diesem Häuschen war, nahm ich ein derartiges Paket mit ungefähr 20 Patronen an mich. Ob es sich um "Donarit" oder "Gelantine-Patronen" handelte, weiß ich nicht mehr. Anschließend habe ich das Häuschen verlassen, die Türe habe ich mit dem gleichen Schlüssel zugesperrt und mich mit den Patronen nach Hause begeben.Vernehmung wird abgebrochen um 23.20 Uhr.
gez. KK. Kappler gez. KK. Schmidt gez. KK Seibold.
Quelle: Bundesarchiv Berlin
Zum vierten Tag: Verhörprotokoll 22.11.1939