In Berlin wird Georg Elser geehrt. In München wird seine Heldentat entwertet.
Seit gestern steht in der Wilhelmstraße (Ecke An der Kolonnade) ein sieben Meter hohes Denkmal.
Von Weitem sieht es aus wie ein großer Kleiderbügel, aus der Nähe sieht man, dass sein gebogener Stahlmast
die Kontur eines Gesichtes zeigt: Augenbrauen, Nase, Lippen, Kinn. Es ist das Gesicht Georg Elsers.VON GUNNAR SCHUPELIUS
Elser (1903-1945) war ein Schreiner aus Württemberg, der am 9. November 1938 in München ein Bombenattentat
auf Adolf Hitler verübte und später im KZ ermordet wurde. Hitler verließ den Ort des Anschlags, den
Münchner Bürgerbräukeller, früher als geplant und entging so dem sicheren Tod.Hätte Elser Erfolg gehabt,
wäre das Nazi-Reich zusammengebrochen, es hätte keinen Zweiten Weltkrieg und keinen Massenmord an den
europäischen Juden gegeben, darin sind sich die Historiker einig.
Die Idee für das Denkmal hatten der Schriftsteller Rolf Hochhuth und der Berliner CDU-Politiker
Uwe Lehmann-Brauns. Der Senat bezahlte das 200 000 Euro teure Kunstwerk, das jetzt genau dort steht,
wo Hitler seine Reichskanzlei zu betreten pflegte. Es steht dort gut. Es zeigt, wie mutig einzelne
Menschen sein können.
Georg Elser wurde in Deutschland über Jahrzehnte ignoriert und erst nach dem berühmten Kinofilm
von Klaus Maria Brandauer als Widerstandskämpfer entdeckt.Seit 2001 gibt es zu seinem Gedenken
den "Georg-Elser-Preis für Zivilcourage" (5000 Euro Preisgeld). Gestern wurde der Preis an Dietrich
Wagner vergeben. Dietrich Wagner demonstrierte gegen den Bau des neuen Fernbahnhofs von Stuttgart,
als ihn am 30. September 2010 der Strahl eines Wasserwerfers der Polizei im Gesicht traf.
Wagner wurde schwer verletzt und ist seitdem nahezu erblindet.
Die Georg-Elser-Initiative in München begründete die Vergabe mit der Feststellung, Wagner stehe als
"Symbol für bürgerlichen Widerstand". Diese Begründung verstehe ich, ehrlich gesagt, überhaupt nicht.
In den Statuten der Initiative heißt es, der Preis solle an Menschen gehen, "die wie Georg Elser
früh erkannt haben, wohin die Reise gehen soll und sich mit aller Kraft einem herrschenden, zynischen,
zerstörerischen Trend entgegengestellt haben."
Dietrich Wagner stellte sich keinem "zynischen zerstörerischen Trend" entgegen. Er protestierte gegen den Neubau eines Bahnhofs,
der von demokratischen Instanzen in einem rechtsstaatlichen Verfahren geplant worden war.
Weil Demonstranten Gewalt anwandten, musste die Polizei einschreiten. Es war eine demokratische
Polizei. Wagners Verletzung war ein Unfall.
Georg Elser wollte den größten Massenmörder aller Zeiten stoppen. Dietrich Wagner störte sich an einer
Baustelle. Georg Elser plante sein Attentat in einem Polizeistaat, in dem ein falsches Wort den Tod bedeutete.
Dietrich Wagner nahm sein Recht auf Protest in einem freien Deutschland wahr, in dem der Staat selber
dieses Recht jedes einzelnen Bürgers schützt. Georg Elser wurde von der SS ermordet. Dietrich Wagner
wurde durch einen unglücklichen Zufall verletzt.
Die Elser-Initiative tat Dietrich Wagner sicherlich
einen Gefallen, als sie ihm den Preis verlieh. Aber sie entwertete damit die Tat des Mannes Georg Elser,
zu dessen Gedenken sie ihre Ehrungen verleiht.
Quelle: Berliner Zeitung 9.11.2011Georg-Elser-Denkzeichen in Berlin Pressespiegel zum Münchener Preis für Dietrich Wagner Georg-Elser-Preis vor dem Aus?