Die gewölbte Stirn
Des Hermaringer Bastards
Beherbergt einen regen Verstand
Mit der Gangart eines Uhrwerks.
Vom Anfang bis zum Ende
Die treibende Kraft hinter ruhiger Fassade:
Wenn er in Königsbronn
Den Acker bestellt,
Die kleinen Geschwister hütet,
Beobachtet er - er ist vorsichtig
Sorgt für sich selbst - bleibt alleine.
Manchmal kommt er aus dem Takt,
Bricht die Lehre ab,
Fällt vom Baum,
Verliert einen Finger
In Vaters Säge,
Gerät in Schwierigkeiten.
Aber immer kehrt er (so sagt er),
In den geplanten Rhythmus zurück,
Tickt weiter wie ein Taktmesser.
Er arbeitet, wo sich's ergibt -
Von Aalen bis Konstanz:
Als Metallarbeiter, Möbelschreiner;
Er kündigt oder wird entlassen.
Er schweigt
Auf den Treffen der Gewerkschaft;
Er verlässt
Den Rot-Frontkämpferbund mit 28,
Doch wählt er weiter KPD.
Er liebt die Frauen
Wie sich's ergibt
Mathilde, Brunhilde, Anna...
Er spielt die Quetschkommode
Auf örtlichen Festivitäten.
Der Hauswirt lässt sich scheiden,
Als er erfährt,
Dass seine Frau und Elser
Mehr als nur Musik
Gemeinsam hatten.
Mathilde kriegt Manfred
Von Elser: 24 Mark
Jeden Monat als Unterhalt.
Elser schließt Freundschaft,
Doch er hält sich auf Distanz.
Oft bekommt er Arbeit
Von denen,
Die denken, sie wüssten,
Wer er ist,
Was er ist.
Er merkt sich nie
Ihre Namen.
Einer dieser Kontakte verschafft ihm
Bei einem Betrieb in Heidenheim
Zugang zur Rüstungsindustrie.
Er lernt schnell; wird
Befördert in den Versand.
Radio Moskau meldet: ... Lage der deutschen Arbeiter
Weiter verschlechtert...
Höhere Steuern und niedrigere Löhne
Als 1929...
Das Münchner Abkommen
Wird zum Krieg führen...
Deutschland rüstet sich
Zum Marsch auf seine Nachbarn...
Das prägt sich ein
Und vermischt sich
Mit Überzeugungen aus RFB Zeiten;
Es nährt das innere Uhrwerk -
Gibt ihm ein Ziel - wie ein Pendel.
Der Hitler und sein Pack
Müssen ersetzt werden
Durch einen Staat,
Der keinen Krieg führt
(Denkt sich Elser);
Durch einen, der harte Arbeit
Zu schätzen weiß und ordentlich entlohnt.
Hitler der Reklamefritze
Tut der alten Garde schön
Im Bürgerbräukeller,
Einem Gasthaus in München.
Vor dem Treffen am Jahrestag
Begibt sich Elser dorthin
Und fotografiert die Bühne.
Zurück in Königsbronn
Fängt Elser an zu grübeln,
Überlegt hin und her.
Hitler kommt,
Hitler geht,
Aufgebauscht von den
Euphorischen Blähungen
Alter Kämpfer.
Elser plant,
In die Säule
Nahe beim Podium
Einen Sprengsatz einzubauen
Zur selben Zeit im nächsten Jahr.
Vom Arbeitsplatz entwendet er
Presspulverstückchen
Und versteckt sie
In seinem Zimmer im Schrank.
Elser wechselt den Arbeitplatz:
Ein Steinbruch diesmal,
Wegen der Zünder
Und noch mehr Sprengstoff.
In eine Reisetruhe baut er
Einen doppelten Boden ein,
Um die heiße Ware zu verbergen.
Mit dem Fahrrad holt er
Eisenwaren für die Bombe
Aus Heidenheim
(In einer Seitengasse der Hitlerstraße!)
Mit einem Daumenschnipsen kaschiert er
Sein wissendes Lächeln:
"Eine Dose Neuner, bitte."
Mit Werkzeug und Sprengstoff
Kehrt er zurück nach München
Im August 39.
Im Brauhaus isst er zu Abend,
Begleicht um 10 seine Zeche,
Versteckt sich im Zuhörerraum,
Bis über die Sperrstunde hinaus.
Auf der Galerie
Über dem Podium
Arbeitet er im Knien
An der Säule.
Beim Licht
Einer abgeblendeten Taschenlampe.
Sorgfältig löst er
Die Verkleidung der Säule;
Gräbt sich durch
Metall, Ziegel und Mörtel,
Und baut dort ein Versteck.
Nachtsüber bohrt er,
Tagsüber schafft er
Den Schutt der Nacht
Davon
In einem kleinen Reisekoffer.
Am Nachmittag
Bastelt er
An seiner Zeitbombe
Im gemieteten Zimmer
In der Türkenstraße.
Findet im Bürgerbräukeller
Ein Tanzabend statt,
So sitzt er stolz
In der Nähe seines Werks
Und sieht den Paaren
Beim Knicksen und Drehen zu.
Sie denken dann,
Er bewundere sie.
Nach dem Tanz
Versteckt er sich
Auf der Galerie.
Taucht wieder auf,
Wenn alles zugesperrt ist,
Um weiterzumachen,
Wo er aufgehört hat.
Die nächtliche Arbeit
Strapaziert seine Knie;
35 Nächte,
Unterbrochen
Von Bettlägerigkeit,
Als seine Knie
Sich entzünden.
Fertig ist er am 6. November.
Er besucht seine Schwester
In Stuttgart,
Wo er sich Sorgen macht,
Um sein Projekt.
(Passt auch alles?
Gehen die Uhren noch richtig?)
Er will sich Gewissheit verschaffen.
Zurück in München,
Fährt zum Bürgerbräukeller
Abends, nach 10.
Er schlüpft in die Halle,
Nimmt die Treppe nach oben
Rauf zur Galerie.
Legt ein Ohr an die Säule,
Das Herz schlägt ihm bis zum Hals.
Er lauscht...
Und hört zufrieden,
Dass es noch immer
Tickt.
Er döst dort
Bis sechs Uhr
Am Morgen.
Kauft eine Fahrkarte
Dritter Klasse nach Konstanz
Über Friedrichshafen,
Wo er sich rasieren lässt,
Bevor er
Das Dampfboot besteigt.
In Konstanz
Schlendert Elser
In Richtung Schweizer Grenze:
Marktplatz, Dreifaltigkeitskirche,
Hüetlinstraße,
Kreuzlingerstraße,
Schwedenschanze, und
Über den Hof der Wessenberg-Schule.
Von einem offen Fenster
Des Internats
Können Grenzbeamte
Die Grenze
Deutlich sehen
Und auch Elser,
Wie er langsam
Über den Schulhof geht,
Als sie im Radio
Eine Eilmeldung hören:
Eine Explosion
Im Bürgerbräukeller
In München.
Balken brachen
Wie Bohnenstangen...
Das Dach stürzte ein ...
Sechs von der alten Garde
Und eine Kellnerin
Wurden getötet.
63 Menschen verletzt.
Hitler
War 13 Minuten früher
Gegangen, als geplant...
Wegen dringender Angelegenheiten
In Berlin...
Prall gefüllt sind Elsers Taschen
Mit den Überresten der Bombe
(Kleinteile, hauptsächlich);
Unterm Revers versteckt
Ein Abzeichen des RFB
(Aus sentimentalen Gründen);
In seiner Brusttasche steckt
Eine Ansichtskarte
Mit Bürgerbräukellermotiv.
Die Grenzbeamten ergreifen ihn.
Er habe versucht,
Die Grenze illegal zu überschreiten.
Sie zählen nicht
Zwei und zwei zusammen.
Andere später
Schon.
Hitler kann nicht glauben,
Dass ein Deutscher aus eigenem Antrieb
Solch ein Verbrechen versucht haben soll.
Er denkt es sich so,
Dass Elser
Im Bunde gewesen sein muss
Mit Spionen aus England.
Nach dem Kriege
Würde dieser Umstand
In einem Prozess
Ans Licht gebracht werden.
Gewinnen jedoch wird die andere Seite.
Als deutlich wird, dass das Kriegsende naht,
Da wird Elser ermordet
In Dachau -
Zwanzig Tage
Vor Befreiung des KZs.
Nachsatz
Elser hat jetzt einen kleinen Park
Mit einem kleinen Denkmal darin,
Viel kleiner als jenes
Für Rommel hoch oben
Auf einem Hügel
In Heidenheim.
Quelle: Gerald Williams, Blowing Up Hitler, U.S.A. 1986. Übersetzung: Marion Grob, Heidenheim 2006.