Königsbronn: mehr als "Attentatshausen"

Von Hans-Georg Wehling, Politikwissenschaftler


Hans-Georg Wehling Als "Attentatshausen" haben die Nazis Königsbronn zu verunglimpfen gesucht. Es könnte ein Ehrenname sein, der für aktiven Widerstand gegen den Nationalsozialismus steht. Denn aus Königsbronn stammt Georg Elser, der Attentäter, der am 8. November 1939 Hitler samt der nationalsozialistischen Führungsclique in die Luft zu sprengen versuchte. ...

Georg Elser war ein Einzeltäter, so sehr seine Schergen Hintermänner, am liebsten aus dem Ausland, aus ihm herauszufoltern versucht hatten. Er hatte auch keine Mitwisser. Seine Angehörigen wurden zu Unrecht in Sippenhaft genommen. Auch Königsbronn wurde in Mitleidenschaft gezogen, als "Attentatshausen", auch das zu Unrecht. Viele Königsbronner wurden verhört, gar in Haft genommen.

Allerdings ist Georg Elser ein typisches Kind seiner altwürttembergisch-protestantischen Heimat, ein Tüftler, intelligent, handwerklich geschickt, mit hohem technischen Wissen und Können, beharrlich, fleißig, gründlich, unermüdlich, diszipliniert, der ein Problem, das sich ihm stellt, still für sich zu lösen sucht, ganz auf sich gestellt. Dabei ging er penibel vor, mit höchster Präzision und ständiger Überprüfung seiner Lösungsschritte. Geradezu besessen, Zeit und Mühe nicht scheuend, gibt man nicht auf, bis die Lösung des Problems gefunden ist.

Für Elser hieß das Problem Adolf Hitler, den es zu beseitigen galt, bevor es zu spät war: für den Frieden, für Deutschland, für die Welt. Gerade auch diese Verbindung von Tüftlertum und moralisch motiviertem Handeln ist nicht untypisch für dieses pietistisch grundierte Land. Eine Prägung, die bleibt, auch wenn man nicht mehr in die Kirche geht.

Allerdings wurde Elser eine andere typisch württembergische Eigenheit zum Verhängnis: nichts wegwerfen zu können, weil es schade drum wäre, weil man es irgendwann noch brauchen könnte; so konnte er überführt werden. - Ein solches Täterprofil konnte es eigentlich nur in Altwürttemberg geben. Polizei und Gestapo, Hitler und Himmler konnten einfach nicht glauben, dass dieser einfache Schwabe, dem jede "Tyrannenmörder"-Attitüde fremd war, ein Einzeltäter war, ohne Hintermänner, nicht das gedungene Werkzeug feindlicher Mächte, ohne die Logistik einer Verschwörergruppe. Sie kannten Württemberg und seine Menschen schlecht. Auch die Geschichtsschreibung hat später Zeit gebraucht, das Phänomen Elser zu begreifen.

Geboren wurde Georg Elser am 4. Januar 1903 in Hermaringen bei Heidenheim. 1904 zogen die Eltern nach Königsbronn, wo der Vater ein Fuhrunternehmen und einen Holzhandel aufmachte. Eine kleine Landwirtschaft, von der Mutter betrieben, kam hinzu. Das Verhältnis zum jähzornigen Vater war nicht glücklich, er trank und war nicht sonderlich erfolgreich in seinen Geschäften. Ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn, ein Gespür für Unrecht scheint Erbe dieser eher düsteren Kindheit zu sein. Georg Elser galt als Sonderling, er suchte Halt und Trost in der Musik und im Tüfteln, sein Leben lang.

Nach Ende der Schulzeit begann Elser 1917 eine Lehre in den Hüttenwerken von Königsbronn, als Eisendreher. Sein technisches Talent wird durch die Zeugnisse der Gewerbeschule in Heidenheim bezeugt, doch er vertrug die Arbeit in der Eisendreherei nicht, sodass er die Lehre aufgab, dann seiner Neigung folgte und eine Lehre in einer kleinen Schreinerei am Ort antrat. Vor allem in der Möbelschreinerei lagen für ihn Interesse und Begabung. Die Gewerbeschule absolvierte er als Bester seines Jahrgangs.

Danach arbeitete er in Schreinereien in Aalen und Heidenheim, immer völlig selbständig, wie es seinem Naturell entsprach. Doch es zog ihn hinaus in die Ferne, an den Bodensee, er schuf bei Dornier in Manzell Propeller für Flugzeuge - sie waren damals aus Holz, schichtweise verleimt und penibel zurechtgehobelt -, zog weiter nach Konstanz, wo er in einer Uhrenfabrik Gehäuse für Tisch-, Stand- und Wanduhren baute. Die schwierigen wirtschaftlichen Zeiten brachten auch ihm immer wieder Arbeitslosigkeit. 1932 kam er aus familiären Gründen zurück nach Königsbronn, mit einer kommunistischen Grundeinstellung, jedoch ohne KP-Mitglied zu sein, dafür war er viel zu sehr Einzelgänger, dafür war er auch in seinem Innern viel zu religiös.

Die Nazis lehnte er ab, in Hitler sah er von Anfang an einen Verbrecher. Sein Entschluss, Hitler samt seiner Führungsclique zu beseitigen, scheint vom September 1938 herzurühren, angesichts der drohenden Kriegsgefahr: "Hitler ist der Krieg, und wenn dieser Mann weg ist, gibt es Frieden", hat er im Verhör gesagt. Mit Zielstrebigkeit arbeitete er in einem Rüstungsbetrieb, um an Zünder und Pulver zu kommen, und in einem heimatlichen Steinbruch, um Kenntnisse über Sprengwirkungen zu erhalten und Sprengstoff mitzunehmen.

Dass er den Anschlag im Bürgerbräukeller verüben, Sprengstoff mit Zündung dabei in der Säule hinter dem Rednerpult platzieren sollte, hatte ihn der Augenschein gelehrt. Seinen Sprengapparat bastelte er streng nach eigenen Entwurfszeichnungen, im elterlichen Obstgarten machte er seine Sprengversuche, bevor er am 5. August 1939 mit all seinen Utensilien für das Attentat und einem Haufen Sprengstoff im Koffer nach München fuhr, um in Monate langer nächtlicher Kleinarbeit die Voraussetzungen für die Anbringung von Sprengstoff und Zünder in der Säule zu schaffen. ...

Georg Elser verkörpert den Widerstand des kleinen und bescheidenen Mannes, moralisch motiviert, durch das technische Können des Handwerkers und Tüftlers perfektioniert. Nicht zufällig entstammt Elser einem ganz bestimmten Milieu, dem protestantisch-altwürttembergischen, dem von Königsbronn am Rande der Ostalb, diesem früh industrialisierten Land mit protoindustrieller Tradition, beruhend auf dem Erzvorkommen sowie dem Fleiß und dem Können seiner Menschen. Insofern ist Königsbronn vielleicht doch "Attentatshausen" - aber natürlich auch mehr. ...

Quelle: Hans-Georg Wehling, Rosemarie Wehling (Hrsg.), Wegmarken südwestdeutscher Geschichte, Stuttgart 2004, S. 231 ff


Prof. Dr. Hans-Georg Wehling (* 1939 in Essen) war Abteilungsleiter Publikationen der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Honorarprofessor für Politikwissenschaft an der Universität Tübingen und ist ein exzellenter Kenner der regionalen politischen Kultur.

Wehling war 38 Jahre lang in der politischen Bildung tätig und hat sich vor allem als Schriftleiter der Zeitschrift "Der Bürger im Staat" einen Namen gemacht. Die von ihm aufgebaute Reihe "Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württemberg" umfasst mittlerweile über zwei Dutzend Bände und ist zu einem Markenzeichen geworden.