[...] Man sollte eigentlich meinen, dass ihm für diesen "Beinahe-Eingriff" in die Weltgeschichte
die größte Anerkennung zuteil geworden wäre; dass die dreifache Tragik des "Beinahe"
genug Stoff für eine posthume Heldenverehrung geboten hätte:
Hitler verfehlte er mit seiner Bombe um wenige Minuten, die eigene Freiheit auf der Flucht um wenige Meter, die Rettung
seines Lebens um wenige Tage.
Stattdessen kursierten noch Jahre nach seinem Tod die phantastischsten Legenden, die den Attentäter "um seine
Tat brachten". Und erst allmählich tritt Elser, der lange vor dem Generalstabsoffizier Claus Graf Schenk von
Stauffenberg handelte, aus dem Schatten der Männer des 20. Juli.
War Elsers Name schon in der Geschichte des Widerstands oft nicht mehr als eine Fußnote, so ist er im kollektiven
Gedächtnis als schwäbischer Tüftler überhaupt nicht verankert. Und das, obwohl die Schwaben selbst
ja sonst keine Gelegenheit verstreichen lassen, den Mythos vom "schwäbischen Tüftler" fortzuschreiben.
Doch Elsers Attentäter-Biographie ist tatsächlich die eines begabten und mutigen Tüftlers:
Sein technisches Verständnis und großes handwerkliches Geschick bildeten überhaupt erst die
Voraussetzung für sein Handeln. Wenn nun Georg Elser in der Ausstellung im Alten Schloss als Tüftler
vorgestellt wird - an dem Ort übrigens, an dem Stauffenberg mit seinem Bruder die Kindheit verbrachte -,
dann ist dieses Erinnern vielleicht auch eine kleine Wiedergutmachung an dem so oft vergessenen Widerstandskämpfer. [...]
Der "Ausnahme-Tüftler"
Die Höllenmaschine war das tüftlerische Meisterstück des Schreinergesellen Georg Elser.
Im Verhörprotokoll der Gestapo schwingt zwischen den Zeilen der ganze Stolz eines begabten Bastlers mit,
der die fachmännische Konstruktion, Wirkungsweise und diffizile Einbautechnik bereitwilligst und bis ins
Detail erläutert. Besonderen Wert legt Elser auf die Konstruktion der Zündvorrichtung und deren Koppelung
mit den Uhrwerken sowie darauf, dass er die Wirkungsweise rein zeichnerisch gelöst hat. Und tatsächlich
hebt ihn die planvolle Rationalität des technischen Zeichnens in den Rang eines Konstrukteurs. Er verfügt
über dessen Abstraktionsfähigkeit, ist nicht mehr gefesselt an die Sinnlichkeit des Bastlers, der am Modell
operiert.
Elser nutzt seine Freude am Konstruktiven; aus ihr schöpft er die Möglichkeit, Technik gewissermaßen als verlängerten Arm gegen Hitler einzusetzen; sie gibt ihm die Kraft zum Handeln. Möglicherweise kompensiert er mit den technischen Vorbereitungen auch seine persönliche Wut und Enttäuschung über den häufigen Arbeitsplatzverlust, für den er Hitler verantwortlich macht. Und vielleicht kann man sogar sagen, dass die Höllenmaschine überhaupt die
größte denkbare handwerkliche Herausforderung für ihn darstellte und ihr Funktionieren eine Bestätigung seines hohen Berufsethos und Handwerkerstolzes war.
Elsers technische Leistung bei der Konstruktion seiner Höllenmaschine verdient zweifellos höchste Anerkennung. Und doch versagen viele ihm diese Anerkennung aus ethisch-moralischen Gründen. Zwar unterscheidet sich Elsers zielstrebige Bastlerenergie - das Grübeln, Ausprobieren, Bauen am Modell, die Geheimniskrämerei - nicht grundsätzlich von derjenigen anderer Tüftler. Doch seine Bombe steht im scheinbaren Gegensatz zu den üblichen technischen Erfindungen: Sie war von todbringender Konsequenz für Menschen, denen das Attentat nicht galt, während jene anderen Erfinder zum heutigen Bild vom wirtschaftlichen "Musterländle" beitrugen.
Elser selbst hat sehr darunter gelitten, dass durch ihn auch unschuldige Menschen ums Leben kamen. Doch er hatte
im festen Glauben an das Gelingen der Tat diese schwere Entscheidung getroffen - angetrieben von der Hoffnung,
"größeres Blutvergießen zu verhindern". Ein ausgeprägter Sinn für politische
Gerechtigkeit, verankert auch in religiöser Überzeugung, ließen ihn selbstlos und couragiert handeln -
keineswegs jedoch gewissenlos. Was also spricht mit Blick auf die nur vordergründig destruktive Bestimmung der
Höllenmaschine dagegen, Elser als "Ausnahme-Tüftler" zu würdigen? Noch größere
Anerkennung hat er jedoch als Widerstandskämpfer verdient. [...]
Quelle: Schwäbische Tüftler: Der Tüftler ein Schwabe? Der Schwabe ein Tüftler?, Begleitbuch zur Ausstellung
Württembergisches Landesmuseum Stuttgart 13.10.1995 - 18.1.1996, Wissenschaftliche Bearbeitung: Utz Jeggle; Heidi
Staib; Friederike Valet, Stuttgart 1995
Bei dieser Ausstellung stand Georg Elser in einer Reihe mit Carl Benz,
Gottlieb Daimler, Robert Bosch, Ferdinand Graf von
Zeppelin, Max Eyth Richard Hirschmann und Dutzenden anderen Kreativen aus Baden-Württemberg.