Der Poker um das Schachspiel

Rätsel um eine Schnitzarbeit, die von dem Hitler-Attentäter Georg Elser stammen soll


VON CHRISTOPH LÜNGWITZ

Ein Schachspiel auf dem Wohnzimmerschrank ist an und für sich ja nichts Ungewöhnliches. Doch im Falle von Peter Wittmann sorgen die 32 Holzfiguren für Aufsehen: Sie wurden möglicherweise von Georg Elser während seiner Zeit im Konzentrationslager geschnitzt. Nun will Wittmann aus dem Andenken an den Hitler-Attentäter Profit schlagen.

Peter Wittmann und das Schachspiel, das er gerne für 30 000 Euro verkaufen möchte.    Foto: Steffen Leiprecht

Doch wie gelangten die Figuren überhaupt in seine Wohnung in der Ludwigs-Vorstadt? Der selbstständige Marketing-Berater ist heute 57 Jahre. Er kann Elser also gar nicht persönlich gekannt haben, da dieser kurz vor Kriegsende erschossen wurde. Stattdessen führt die Spur zu Wittmanns Vater, einem Mann namens Bruno Fialkowski, der in den letzten Kriegsjahren im KZ Dachau einsaß. Er kümmerte sich als Arzt um die Mitgefangenen und soll dadurch auch Zugang zu dem prominenten Häftling gehabt haben, der im Winter 1944/45 ins Lager kam. Laut Wittmann muss Elser die Figuren genau in dieser Zeit geschnitzt haben.

"Georg Elser war kein einfacher Häftling - er war der persönliche Gefangene Adolf Hitlers", urteilt der aktuelle Besitzer und berichtet vom Sonderstatus des Mannes, der am 8. November 1939 im Bürgerbräukeller ein Attentat auf den Diktator geplant hatte: Im Lager wurde Elser in Einzelhaft von der Außenwelt abgeschottet, hatte offensichtlich aber als gelernter Schreiner eine eigene Werkstatt. Nachdem er bei seiner Ankunft in Dachau von den langen Jahren im KZ Sachsenhausen sichtlich gezeichnet gewesen sei, habe sich Fialkowski um den Mitgefangenen gekümmert, sagt Wittmann. Aus Dankbarkeit für die Pflege soll Elser dem Arzt dann kurz vor seinem Tod das Schachspiel geschenkt haben.

Allerdings stützt sich Wittmann dabei auf Überlieferungen aus dritter Hand: Nach der Befreiung des Konzentrationslagers durch die Amerikaner war sein Vater wie viele andere Häftlinge zunächst in eines der umliegenden Dachauer Wohnhäuser einquartiert worden. Dort traf er auf eine junge Frau, die während der letzten Kriegsjahre von der SS zur Büroarbeit zwangsverpflichtet worden war. Doch obwohl 1946 das gemeinsame Kind zur Welt kam, endete die Liaison unerwartet schnell: Laut Wittmann hatte Fialkowski im Auftrag des US-Militärs die Rücktransporte der Häftlinge in ihre Heimatländer begleitet und wurde dabei 1947 in Polen unter Spionage-Verdacht festgenommen. Zu lebenslanger Haft verurteilt, starb er offenbar 1950 an einer Lungenkrankheit.

Mehr als ein halbes Jahrhundert ist seitdem vergangen. Doch vorn Erbe des Vaters erfuhr Wittmann erst vor 13 Jahren, als ihm seine Mutter die Holzfiguren überreichte. Seither hat er das Schachspiel aufbewahrt - in einer Schachtel auf dem Schrank - und will es jetzt aus plausiblen Gründen verkaufen: "Meine Mutter ist inzwischen 84 Jahre alt und muss über kurz oder lang in ein Altenheim."

Die Ankündigung sorgte sofort für Wirbel: Der Grünen-Stadtrat Siegfried Benker stellte umgehend den Antrag, man solle die Figuren für das Stadtmuseum erwerben: "Dieses Schachspiel ist ein herausragendes Dokument der Zeitgeschichte und wäre sicherlich ein beeindruckendes Exponat für Ausstellungen zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus", schreibt er im Antrag.

In der vergangenen Woche hat sich der Direktor des Stadtmuseums, Wolfgang Till, das Schachspiel erstmals angesehen. "Alle Figuren sind aus einem Guss - nicht irgendwelche Holzreste", urteilt er und hat keine Zweifel, dass das Schachspiel mit dem KZ Dachau im Zusammenhang steht. Doch über die Verbindung zu Elser wagte er noch kein Urteil: "Ich will die Überlieferung Wittmanns nicht anzweifeln, aber wir müssen die Aussage weiter erhärten." Zeitgeschichtlich und sachkundig, wie es Till ausdrückt. Mit Hilfe von Fachleuten der KZ-Gedenkstätte Dachau will er überprüfen, ob diese handwerkliche Arbeit überhaupt in das Lagerleben gepasst haben könnte.

Barbara Distel leitet seit 1975 die Gedenkstätte in Dachau. Doch anders als der Direktor des Stadtmuseums hält sie die ganze Geschichte "für einen ausgemachten Schwindel" Dabei ist sie sich mit Hella Schlumberger von der Münchner Georg-Elser-Initiative einig. Beide warnen vor Trittbrettfahrern, die den derzeitigen Hype rund um den Widerstand ausnutzen wollten. Schlumberger beurteilt den Fall für die Georg-Elser-Gedenkstätte im schwäbischen Königsbronn, die nach Angaben Wittmanns zu insgesamt sechs Kaufinteressenten zählt. Die Schriftstellerin zweifelt nach eigenen Nachforschungen an der Authentizität des Schachspiels: "Herr Wittmann müsste einen Beweis bringen, nicht nur mündliche Überlieferungen."

Schlumberger hat neun Gründe aufgelistet, die ihrer Meinung nach dagegen sprechen, dass das angebotene Schachspiel von Georg Elser stammt. So sei in den Akten des Münchner Instituts für Zeitgeschichte kein einziges Mal von Schachfiguren die Rede, ja: Elser habe nicht einmal selbst Schach gespielt. Zudem habe niemand außer dem Wachpersonal Kontakt zum Hitler-Attentäter gehabt - folglich also auch nicht Fialkowski. Selbst die Aussage, dass dieser Mann der Vater Wittmanns gewesen sei, stellt Schlumberger in Frage. "Er beweist nichts, und die Leute fallen reihenweise darauf rein", sagt sie und empfiehlt in ihrem Schreiben, nicht auf Wittmanns Angebot einzugehen. Während dieser nebulös von "Zahlen im fünfstelligen Bereich" spricht, wird Schlumberger präziser: 30 000 Euro soll das Schachspiel kosten. Eine solche Summe würde allerdings den Etat der Georg-Elser-Gedenkstätte um fast das Doppelte übersteigen. Schon deshalb sind die Königsbronner inzwischen aus dem Poker ausgestiegen.


Quelle: Süddeutsche Zeitung 7.4.2004 - www.sueddeutsche.de