Der wird doch nicht eine Höllenmaschine bauen!
Vom 1. September bis 30. Oktober 1939 wohnte Georg Elser in der Türkenstraße 94 in München. Hier stellte er die Bombe fertig, die er in mehr als dreißig Nächten im Bürgerbräukeller in einer Säule einbaute. Alfons und Rosa Lehmann hatten ihm das kleine Zimmer vermietet. Die 1909 in Lenggries geborene Rosa Lehmann erinnert sich:
Da ist er gekommen, der Herr Elser, hat gesagt, er sei Kunstschreiner und Erfinder. Mei, da hab' ich ihn genommen. Da ist er bei uns eingezogen. Einen Haufen Kisten hat er gehabt, schöne Kisten, wahrscheinlich selber gemacht. Und meinen Mann hat er gefragt, ob der ihm nicht helfen würde, die Kisten in den Keller zu tragen. Was nimmt denn der so ein kleines Zimmer, wenn der so einen Haufen Zeug hat, hat mein Mann gemeint und die Kisten hinuntergetragen. Das war am 1. August 1939.
Alfons und Rosa Lehmann 1939. Quelle: Gedenkstätte Deutscher Widerstand
Es war an einem Sonntag Nachmittag, ich erinnere mich noch genau, wo mein Mann und ich heimgekommen sind und haben den Elser am Rand von so einem Holzkoffer mit gewölbten Deckel sitzen sehen, wie er da in einem Leitzordner studiert hat. Richtig erschrocken war er, als wir aufgesperrt hatten, den Ordner hat er in den Koffer geschmissen und fort war er. Da haben wir uns aber noch nichts gedacht.
Eines schönen Tages, wo ich gerade die Kammer aufgeräumt hab', seh ich da einen Akkumulator am Fenster stehn. Was braucht der einen Akkumulator? Komisch ist's schon, hab' ich meinem Mann gesagt, geh' einmal 'rüber und schau's dir an! Und am Schreibtisch stand eine Uhr, die war irgendwie eingestellt. Mein Mann hat sich also den Akkumulator und die Uhr angeschaut, dann mich, dann hat er gemeint: "Der wird doch nicht eine Höllenmaschine bauen!" Da haben wir beide recht gelacht und sind hinausgegangen. Damit war der Fall erledigt.
An einem anderen Tag, wo ich gerade in der Kammer aufräumen will, liegt der Elser noch im Bett. Der ist gut, denk ich mir, flackt am helllichten Tag noch im Bett. Einen Knieschwamm hätte er, hat er gesagt. Wahrscheinlich vom vielen Knieen in den Nächten, wo er das Dings im Bürgerbräukeller eingebaut hat. "Was machen wir jetzt mit dem?" hab ich meinen Mann gefragt: "Mei," hat der gesagt, "verhungern können wir ihn auch nicht lassen. Bring' ihm halt eine Suppe 'nüber!" Die hab' ich ihm dann gebracht und bald drauf ist er aufgestanden.
Am 12. Oktober bin ich ins Rote Kreuz zur Entbindung, da ist der Bub, der Peter, geboren. Es war eine schwere Geburt und ich hab' vierzehn Tage dort bleiben müssen. Da hat der Elser freilich freie Hand gehabt. Mein Mann war tagsüber im Geschäft, bis sechs Uhr abends und am Samstag bis zwei nachmittags.
Am 15. hat er mich besucht und gesagt: "Stell' dir vor, der Elser hat gekündigt." Damals hat man noch vom 15. auf den ersten kündigen können, umgekehrt nicht.
Das ist ja praktisch, dachte ich mir, ich da herinnen und kann niemanden suchen und der Elser zieht aus. "Reg' dich nicht auf", sagte mein Mann, "wir finden schon jemanden!" Das, wenn wir gewusst hätten, dass der bloß so kurz bleibt, da hätten wir ihn vielleicht gar nicht genommen. Aber so ist's, man kann nicht in die Leute hineinschauen!
Dann war noch die Geschichte mit der Abmeldung. Ich war gerade erst vom Krankenhaus daheim und könnt' vom Kind nicht weg. Da hab' ich zum Elser gesagt, ob er sich nicht selber abmelden könnte, er müsse nur das Formular bei der Polizei vorbeibringen. Wir haben es dann zusammen ausgefüllt und er ist gegangen. Abgemeldet hat er sich aber nicht. Später ist dann einer von der Polizei gekommen und hat mich furchtbar zusammengeschimpft, ob ich das Kleingedruckte nicht lesen würde? Da stünde doch, dass er mir das Abmeldeformular vorlegen müsse. Ja, und Strafe hab' ich dann auch noch zahlen müssen.
Am 1. November war er dann ausgezogen mit seinen vielen Kisten. Wohin, wussten wir nicht. Wir haben ja praktisch nie ein persönliches Wort miteinander gesprochen. Wir hatten unsere Sorgen und er den Kopf voll mit seinen Sachen. Ein paar Tage später, es war ein recht ein regnerischer Novembertag, schellte es um neun Uhr 'rum an der Tür. Der Elser stand draußen, klein und gedrungen, mit einem großen schwarzen Hut, der ihm das Gesicht verdeckte. Ich bin furchtbar erschrocken, er sah so unheimlich aus. Er wolle bloß fragen, ob Post für ihn gekommen sei. "Nein", sagte ich, "ist nichts da." Da ging er wieder. Da habe ich ihn das letzte Mal gesehen. Dabei hat der überhaupt nur einmal Post bekommen, soviel ich weiß. Und Besuch nie einen.
Am 9. November ist dann das Attentat passiert. Mein Mann ist gerade mit meiner Schwester und meiner kleinen Nichte im Tierpark gewesen, ich habe gekocht und Radio gehört; da haben sie es gebracht: dass sie einen gewissen Herrn Elser an der Schweizer Grenze erwischt und verhaftet hätten. Wegen dem Attentat auf den Hitler. Um Gottes willen! Um Gottes Willen!
Als mein Mann kam, sagte ich: "Du, es ist das Beste, du gehst zur Gestapo und meldest, dass der Elser bei uns gewohnt hat!" Da ist er vorgegangen zum Wittelsbacher Palais an der Briennerstraße und hat es gesagt. Da war die, Sache für uns eigentlich erledigt.
Für die nicht. Ein paar Tage darauf läutet es um fünf, riesige SS-Männer stehen vor der Tür, auf der Straße der große Mercedes. "Ist Ihr Mann da? Nein? Dann müssen wir warten!" ...
Jeden Tag ist dann die Gestapo gekommen und hat mich befragt. Einmal haben sie mich sogar zur Vernehmung kommen lassen. Kaum laufen konnt' ich, so haben mir die Knie gezittert. Dabei hab' ich doch immer nur sagen können, dass er bei uns gewohnt hat, der Elser. Mehr hab' ich nicht gewusst.
Quelle: Hella Schlumberger, Türkenstraße, Vorstadt und Hinterhof, eine Chronik, erzählt, München 1998
Rosa Lehmann: Hineinschauen kann man in keinen
Rosa Lehmann: Eigentlich ganz froh über diese Kündigung