Widerstandskämpfer war aus dem Volk - aber kein "einfacher Mann"
Noch immer schwankt das Bild des Menschen Georg Elser
Der Widerstandskämpfer Johann Georg Elser ist auf dem ihm gebührenden Platz in der Geschichte angekommen, doch
in der Öffentlichkeit schwankt das Bild seiner Person und seiner Herkunft immer noch ganz beträchtlich. Da sind
Korrekturen nötig, deutliche Konturen nachzuziehen. Vielleicht kann dazu der
geplante neue Spielfilm
über den Mann aus Königsbronn beitragen.
VON ULRICH RENZ (2013)
Ulrich Renz
Das Drehbuch schreibt, zusammen mit seiner Tochter Leonie-Claire, der erfahrene Autor Fred Breinersdorfer, der schon maßgeblich am erfolgreichen Kinowerk "Sophie Scholl - Die letzten Tage" beteiligt war und im übrigen in der Fernsehspielfilmszene sehr rührig ist. Leonie-Claire Breinersdorfer teilte auf Anfrage mit: "Wir hoffen, dass im September 2013 mit den Dreharbeiten begonnen werden kann." Das Drehbuch befinde sich auf einem guten Weg, allerdings lasse sich über die Darsteller noch nichts sagen.
Auf jeden Fall ist festzuhalten: Die Beschreibung Elsers als "einfacher Mann" beruht auf einem groben Mißverständnis. Er kam zwar - wie sein Gegner Adolf Hitler - aus einfachen Verhältnissen. Doch anders als die verkrachte Existenz aus Österreich war Elser auf seine Art ein Herr, eine Freundin verwendete den Begriff "Gentleman". Auf keinen Fall war er der "Hallodri", als den ihn ein anderer Biograf bezeichnete: Helmut Ortner, Autor des Buches "Der einsame Attentäter", wurde in jüngerer Vergangenheit derart in der Regionalausgabe der "Frankfurter Allgemeinen" zitiert.
Die Klassifizierung "einfach" ist ohnehin zweischneidig. Sie zielt zum einen auf die Herkunft, zum anderen wirkt sie mit Blick auf die Persönlichkeit
geringschätzig. Und genauso meint es auch mancher aus der "besseren Gesellschaft", dessen Einschätzung des Widerstandskämpfers bis auf den heutigen Tag
nachwirkt. Typisch sind die Äußerungen des Kirchenmannes Martin Niemöller, der Elser nach dem Krieg als Werkzeug der Nazis bezeichnete und damit einen wichtigen Beitrag
zu dessen fortdauernder Verleumdung leistete. Später noch sagte er in einer Filmaufnahme, die Jutta Neipert 2009 in ihren Film "Die zweite
Hinrichtung des Georg Elser" einblendete, über den Mann, mit dem er im KZ eingesperrt war: "Ich hatte den Eindruck, dass das ein sehr braver und durchschnittlicher
Handwerker war."
Das war ein Urteil "von oben herab", wie es sich auch der Hitler-Biograf Joachim Fest leistete, der den Königsbronner Widerstandskämpfer in seinem Buch über den Diktator gar nicht erwähnte und 2001 in einem Interview mit dem "Spiegel" gönnerhaft meinte, Elser, die Geschwister Scholl und andere "waren höchst ehrenwerte Akteure. Aber sie konnten das Regime nicht ernsthaft gefährden."
Diese Einstellung aus elitärer Warte ist immer noch verbreitet, wenn es um Elser geht. Weil sie auf oberflächlicher Betrachtung der Herkunft des Mannes fußt, verkennt sie völlig, wie intelligent, technisch genial und politisch weitblickend Elser war. All die Niemöllers und Fests irrten - und irren - sich fundamental.
Was die Herkunft des Schreiners betrifft, so hat sein Neffe Rudolf Hangs unlängst energisch Einspruch gegen die Formulierung in einem Zeitungsbericht erhoben, Elser sei der Sohn einer bettelarmen Familie gewesen. Das treffe nicht zu, schrieb Hangs in einem Leserbrief an die "Schorndorfer Nachrichten" und begründete dies: "Georg Elser Eltern hatten eine Landwirtschaft und einen Holzhandel. Keines der Kinder musste betteln. Alle erlernten Berufe und verdienten auf ehrliche Weise ihren Lebensunterhalt."
Elser war ein ernster und ernsthafter Mann. Auch Fotos, die ihn als Musikanten und Vereinsmitglied zeigen, vermitteln nicht den Eindruck, dass da ein ausgelassener Mitbürger in die Welt blickt. Er war auch kein Mensch, der auf Barrikaden ging. Im Verhör durch die Gestapo sagte er: "An irgendwelchen Aktionen, wie Flugblattverteilung, Zettelwerfen, Demonstrationszügen und Schmierereien habe ich mich nie beteiligt."
Er wusste, dass die entscheidende Tat lautlos vorbereitet werden musste. Zwar neigte er zu Grübeleien, doch setzte er die einmal getroffene Entscheidung für das Attentat auf Hitler mit kalter Präzision und moralischer Wucht ins Werk. Der aufrechte Schwabe war das Gegenbild seines Gegners, der sich ja nicht nur als monströser Massenmörder erwies, sondern Zeit seines Lebens ein notorischer Lügner und Betrüger war.
Elser behauptete im Verhör, er habe "nicht viel gelesen". Doch diese Aussage kann wie viele andere Äußerungen dazu gedient haben, sein Licht unter den Scheffel zu stellen - aus welchen Gründen auch immer. Denn es ist bekannt, dass er offenbar las, was ihm an Zeitungen und Fachzeitschriften in die Finger geriet. Er hörte Radio, auch ausländische Sender, und wenn berichtet wird, dass er bei öffentlich übertragenen Reden Hitlers die Flucht ergriff, dann bedeutet dies nicht, dass er nicht wusste, was der "Führer" von sich gab.
Elsers langjährige Freundin Elsa Härlen jedenfalls gab eine ganz andere Auskunft als er selbst. Nach dem Krieg sagte sie einem Journalisten, der sie dann in indirekter Rede zitierte: "Elser habe viel gelesen. Aber das sei ihr zu 'hoch' gewesen. Sie habe einen ganz Schrank voll Bücher gehabt, aber die wollte Elser nie lesen. Er wollte nur Bücher, durch die er sich bilden könne." Zu Weihnachten habe er sich ein wissenschaftliches Werk gewünscht. Elsa Härlen nannte den Freund einen "Gentleman" und versicherte, in sechs Jahren habe sie nie erlebt, das er sich vorbei benommen habe.
Georg Elser achtete auf sein Äußeres, kleidete sich sorgsam. Nicht von ungefähr lässt ihn der Regisseur Rainer Erler im Film "Der Attentäter" auch im Beruf mit Krawatte auftreten. Er trank kaum und rauchte nicht, rüdes Gerede widerte ihn an. Da ging er offenbar den Geschwistern voran, die dann mehr noch als er den gesellschaftlichen Aufstieg der Elsers aus Königsbronn repräsentierten.
Wer die große Fotogalerie von Rudolf Hangs, dem Sohn von Georgs Schwester Anna, betrachtet, steht beeindruckt vor Bildern von drei gut und modisch gekleideten jungen Frauen, die im Stuttgarter Schloßgarten promenieren. Es sind die Schwestern Georgs, und die auffälligen handwerklichen Fähigkeiten, die in der Familie Elser verbreitet waren und auch den jüngeren Bruder Leonhard zum Schreiner werden ließen, äußerten sich bei ihnen vor allem in der Kunst des Kleidernähens.
Franz Hirth, ein anderer Neffe des Widerstandskämpfers, sagt: "Meine Mutter war eine Tüftele, die hat alles machen können." Gemeint war Georg Elsers Schwester Maria, eine der drei Spaziergängerinnen vom Stuttgarter Schlossgarten, die ihr Geld als Näherin bei der Firma Bleyle verdiente, ehe sie in den Strudel der Ereignisse nach dem Attenat von München gerissen wurde. Sie beherrschte die Näherei ebenso perfekt wie ihre beiden Schwestern.
Die Elsers waren und sind sensible Menschen, was sich in der Musikalität ausdrückt. Sie sind beharrlich bis stur, woraus der Hang zur Perfektion entsteht. Und der Begriff "Tüftler" spielt bei der Beschreibung der Familie eine durchlaufende Rolle. Er taucht im Zusammenhang mit den Brüdern Georg und Leonhard auf, die beide anerkannt gute Schreiner waren. Er kommt vor, wenn es um die Schwestern Anna, Friederike und Maria geht. Und er trifft auf die Neffen Franz Hirth, Rudolf Hangs und Ewald Elser - den Sohn von Leonhard - zu, die als dritte Generation endgültig den Aufstieg der Familie Eler aus den beengten Verhältnissen in Königsbronn in die gutbürgerliche Gesellschaft repräsentieren.
Hirth, inzwischen im Ruhestand, davor Vermessungsingenieur bei der Stadt Stuttgart, ist ebenso ein Bastler und Tüftler wie Vetter Hangs, der den größten Teil seines Arbeitslebens "beim Daimler" verbrachte, zuletzt als Teamleiter in einem Elektronik-Entwicklungslabor. Seine Mutter Anna war auch "sehr geschickt", wie er berichtet. Im Gegensatz zum älteren Franz Hirth hat er allerdings den Onkel nicht mehr gekannt, ebenso wie Ewald. Der gilt ebenfalls als sehr geschickt, schaffte 50 Jahre lang bei den Schwäbischen Hüttenwerken, die meiste Zeit als Elektromeister.
Sicherlich hatte Elser einen schwierigen Charakter, der dafür sorgte, dass er keinen Freundeskreis um sich scharte. Inzwischen hat sich zwar die Erkenntnis durchgesetzt, dass er nicht gerade ein Sonderling oder Eigenbrötler war, sondern dass er sich auch in Gesellschaft wohlfühlte, dass er in Vereinen musizierte. Doch ist er wohl mit dem Begriff "geselliger Einzelgänger" zutreffend beschrieben.
Ein Kenner seines Lebens nennt ihn unnahbar. Er zeigte ungern Gefühle, er war streng, auch sich selbst gegenüber. Dieser Handwerker war in seinem Leben ständig unterfordert und kann nicht zufrieden gewesen sein. Ein großer Wurf wäre der Ausweg, und den wagte er dann auch. Angetrieben von seinem Gerechtigkeitssinn, ausgestattet mit wachem Geist und einem sehr praktischen Verstand, dazu mit seinem technischem Genie, sagte er dem Mann den Kampf an, in dem er die größte Gefahr für das Volk und einen Kriegstreiber sah.
Der Schweizer Historiker Klaus Urner hat in einem Satz Elsers Antriebskräfte zusammengepackt: "An den Fähigkeiten gemessen in seiner Hilfsarbeit fehlbesetzt, im Privatleben blockiert - dieses gleichsam auf kaltem Wege erfolgte Überrolltwerden, die Unterdrückung der schöpferischen Selbstentfaltung setzten jene Energien frei, die sich bei der Ausführung der Attentatsidee von einer zielstrebigen Mächtigkeit erwiesen." So schrieb es Urner in seinem Buch "Der Schweizer Hitler-Attentäter", in dem es um seinen Landmann Maurice Bavaud ging, der dem "Führer" ein Jahr vor Elser nach dem Leben trachtete.
Die über Jahre gewachsene Überzeugung des Handwerkers Georg Elser, dass Adolf Hitler Deutschland in die Katastrophe führe, mündete schließlich in jenes Ereignis, das Geschichte ist: Am Abend des 8. November 1939 explodierte Elsers Bombe im Saal des "Bürgerbräukellers" zu München. Acht Menschen starben, über 60 wurden verletzt. Doch Hitler hatte 13 Minuten vorher den Ort des Geschehens verlassen.