Landgerichtsrat Dr. Nikolaus Naaff

Ermittlungsverfahrens zur Aufklärung des Bürgerbräuattentats Anfang der 1950-er Jahre

In der bayerischen Hauptstadt begann seinerzeit ein Verfahren, das in einem Schreiben des Generalstaatsanwalts so beschrieben wurde: "Mit Entschließung des Bayer. Staatsministeriums der Justiz in München vom 23. Februar 1950 - II 23321/49 - wurde die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zur Aufklärung des Bürgerbräuattentats vom 8. November 1939 angeordnet.


VON ULRICH RENZ (2005)

  

Ulrich Renz

Ulrich Renz

Die Ermittlungen sollten in erster Linie der Feststellung der historischen Wahrheit dienen, da ein strafbarer Tatbestand auf irgend einer Seite nicht erkennbar ist. Anlass für das Ermittlungsverfahren waren auch zahlreiche in letzter Zeit in Umlauf befindliche offensichtlich falsche Darstellungen der Vorgänge und vor allem die Tatsache, dass auch im öffentlichen Leben stehende Personen sich der Teilnahme an dem Attentat rühmten, obwohl starke Zweifel an der Richtigkeit dieser Behauptungen bestehen müssen."

Tatsächlich wollten sich in der Nachkriegszeit einige Personen profilieren, indem sie sich als Attentäter vom Bürgerbräukeller bezeichneten. Zu ihnen gehörte beispielsweise der bayerische Politiker Alfred Loritz, Vorsitzender einer Partei namens Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung. Dieser Rechtsanwalt gehörte während der nationalsozialistischen Herrschart dem monarchistischen Widerstand an, war nach dem Krieg Landtagsabgeordneter und kurze Zeit Minister für Entnazifizierung in München sowie bis 1953 Mitglied des Bundestages.

Die in München angelaufenen Ermittlungen wurden allmählich ausgeweitet, denn die Strafverfolger stießen nun doch noch auf strafbare Tatbestände. Sie richteten sich gegen bestimmte Personen, vor allem aus den Reihen des KZ-Personals in Dachau, und zwar wegen Beihilfe zum Mord. So geriet auch der ehemalige SS-Oberscharführer Theodor Heinrich Bongartz ins Visier der Staatsanwaltschaft.

Heute weiß man, dass dieser Mann, der als Henker in Dachau fungierte, Georg Elser am 9. April 1945 durch einen Kopfschuss ermordete. Als in München gegen ihn ermittelt wurde, war er freilich schon längst tot. Er starb kurz nach Kriegsende in der Gefangenschaft. Ermittelt wurde unter anderem auch gegen den einstigen SS-Obersturmführer Edgar Stiller, der den Auftrag hatte, die "Sonderhäftlinge" im sogenannten Kommandanturarrest im Lager Dachau zu betreuen. Im November 1954 wurde er außer Verfolgung gesetzt.

Die Spinne im Netz dieser sich immer weiter verzweigenden Ermittlungen war der Landgerichtsrat Dr. Nikolaus Naaff. Er versah das Amt eines Untersuchungsrichters, das dann bei einer Justizreform am 1.Januar 1975 abgeschafft wurde. Bis dahin war eine solche Amtsperson laut amtlicher Definition "in Strafverfahren der die Voruntersuchung eröffnende und führende Richter". Naaff, der in Dachau wohnte, stammte aus Karlsbad, wo er 1894 geboren wurde. Im Ersten Weltkrieg diente er in der österreichischen Armee als "Zugsführer im Landesschützen-Regiment I".

Mit großem Eifer, der ganz deutlich aus den fünfbändigen Akten über das Verfahren im Staatsarchiv spricht, machte sich Naaff an die Aufgabe, die Wahrheit über jenes Attentat im Jahre 1939 zu finden, mit dem Georg Elser dem "Führer" Adolf Hitler nach dem Leben trachtete und nur knapp scheiterte. Heute gilt als historisch gesichert, dass der Schreiner aus Königsbronn damals ganz allein und aus eigenem Antrieb handelte, als er eine Bombe im Saal des Bürgerbräukellers einbaute. Sie explodierte exakt nach seinem Plan, doch Hitler hatte völlig überraschend 13 Minuten zuvor das Lokal verlassen, in dem er mit "alten Kämpfern" die Erinnerung an seinen missglückten Putsch aus dem Jahre 1923 beschwor.

Bei seinen Bemühungen um "die Feststellung der historischen Wahrheit" ließ Naaff Dutzende von Personen vernehmen, soweit er dies nicht selbst besorgte. Befragt wurden vor allem ehemaligen Angehörige der SS und der Polizei sowie frühere Häftlinge. Erstmals nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft kamen aber auch Bekannte und Familienangehörige Elsers zu Wort. Die Protokolle ihrer Aussagen sind von besonderer Bedeutung, denn diese Zeitzeugen aus dem engsten Umkreis des Attentäters sind später nie mehr derart befragt worden. [...]

Bei Durchsicht der Akten, die Richter Naaff zusammentrug, stellt sich im übrigen wieder einmal die Frage, warum es noch Jahrzehnte dauerte, bis sich die damals gesuchte "historische Wahrheit" endgültig durchsetzte. Denn aus den Aktenbänden quillt geradezu die Erkenntnis, dass Elser der alleinige Täter war und dass nirgends Spuren irgendwelcher Hintermänner gefunden wurden. So heißt es im Entwurf eines Schreibens der Generalstaatsanwaltschaft an das bayerische Justizministerium vom 23. August 1951: "Der Schreinergeselle Georg Elser aus Königsbronn (Wttbg.) ist, wie nun hinreichend gesichert ist, der Alleintäter des Bürgerbräukeller-Attentats vom 9. November 1939 auf Adolf Hitler."

Und die Polizei in Stuttgart fügte den protokollierten Aussagen der Zeugen, die sie auf Ersuchen von Naaff vernommen hatte, schon im August 1950 die Schlussfolgerung an: "Die im Zuständigkeitsbereich der Landespolizei Württemberg durchgeführten Ermittlungen haben ergeben, dass Elser, der im Privatleben ein Sonderling und Einzelgänger war, im Beruf aber ein sehr geschickter Handwerker, das Attentat am 8.11.1939 in München allein durchgeführt hat. Anhaltspunkte, dass Hintermänner beteiligt oder Elser zum Attentat angestiftet haben, haben sich nach Angaben der früheren Kriminalbeamten der Geheimen Staatspolizei-Leitstelle Stuttgart damals nicht ergeben."

Quelle: Ulrich Renz, Georg Elsers Abschied. Angehörige und andere Zeugen berichten über die letzte Begegnung mit dem Widerstandskämpfer, Schriftenreihe der Georg Elser Gedenkstätte Königsbronn Band 6, Königsbronn 2005, S. 3-9

Die fünf Bände mit den Akten dieses Ermittlungsverfahrens liegen im Staatsarchiv München unter 'Staatsanwaltschaften 34475/1-5'


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