Brief von Günter Peis

Unbarmherzige Historiker & Medien

Elser - ein Thema auf der Frankfurter Buchmesse, ein Thema auch und gerade für den Kreis Heidenheim. Der Innsbrucker Prof. Günter Peis, seit Jahrzehnten schon mit dem Hitler-Attentäter befasst, hat der HNP einen Leserbrief geschrieben:
"Nach unserem angenehmen Telefongespräch, bei dem ich offenherzig und kollegial die Einsicht in die stichhaltigsten Originaldokumente aus meiner 50-jährigen Elser-Forschung angeboten hatte, wollte ich auch die in letzter Minute erfolgte Einladung des Herrn BM Stütz wahrnehmen, um an der späten, durch verschiedene Gremien der Politischen Bildung unterstützten Ehrung des glücklosen Hitler-Attentäters Georg Elser teilzunehmen.

  
   Günter Peis (links) mit Georg Vollmer
Wie Sie aus meinen zahlreichen Publikationen in den bedeutendsten Medien der Welt ersehen können, hat mich das tragische Schicksal Georg Elsers bereits seit meinen Kindheitsjahren tief bewegt und mein weiteres Leben sowie meinen beruflichen Werdegang als Journalist und Historiker maßgeblich bestimmt. Deshalb habe ich aus eigener Betroffenheit die Wahrheit um die Motive seiner mutigen Tat und die sonderbaren Umstände seines Todes im KZ Dachau über ein halbes Jahrhundert hindurch detektivisch zu ergründen versucht.

Mitbürger, Held

Wenn ich mich nach meinem leidenschaftlichen Engagement für die gebührende Ehrung Ihres Königsbronner Helden und Mitbürgers Georg Elser heute von Innsbruck aus kurz zu Wort melde, so geschieht dies aus meinen mühsam und unbestechlich gewonnenen Erkenntnissen heraus, dass Georg Elser seit seiner Verhaftung in Konstanz am Abend des 8. November 1939 im Wechsel der geschichtlichen Ereignisse bis zum heutigen Tage nur als Spielball der Politik benutzt und seine 'verwegenste Tat unseres Jahrhunderts', die uns die Hölle des verheerendsten Krieges aller Zeiten ersparen sollte, immer wieder durch willfährige Chronisten in Zweifel gezogen und sogar vorsätzlich verfälscht wurde.

55 Millionen Menschen in aller Welt darunter alle europäischen Juden wären wahrscheinlich am Leben geblieben, hätte Georg Elser den Zeitmechanismus seiner selbstgebastelten Höllenmaschine nur um ein paar Zahnradkerbungen zurückgeschraubt. Zwölf Minuten früher und Hitler wäre zusammen mit allen anderen Machthabern des Dritten Reiches durch seine Bombe getötet worden.

Schicksal der Deutschen

Zwölf kurze Minuten sie entschieden das Schicksal der Deutschen und bestimmten die Zukunft der Welt.

'Was geschah aber mit jenem Mann, der 1939 für uns alle sein Leben riskierte? Wo steht sein Denkmal? In welcher Ehrenliste der Widerstandskämpfer wurde der Name Georg Elser aufgenommen?' Diese Frage habe ich bei all meinen bekannten Publikationen nicht erst heute, sondern schon seit 1959 immer wieder gestellt in Deutschland, in England, Frankreich und ebenso in Amerika.

Schändlich entlohnt

Die Welt hatte den mutigen Schwaben schändlich entlohnt: 1945 wurde Georg Elser von SS- Bewachern in Dachau durch Genickschuss ermordet. Und in den Jahren danach waren es weltbekannte Historiker, die nach den bekannten falschen 'Augenzeugenberichten' von Pastor Niemöller und anderen prominenten bayerischen Zellennachbarn Elsers in schlampiger und verwerflicher Weise auch noch den Nachruhm des Münchener Attentäters ruinierten.

Zu diesen Chronisten zählten damals auch und vor allem Prof. Anton Hoch und Lothar Gruchmann vom Institut für Zeitgeschichte in München, das bis zu meiner mit größtem Werbeaufwand (durch Großanzeigen in 500 deutschen Tageszeitungen!) bereits 1959 publizierten ersten 'Bild-am-Sonntag'- Serie über den Hitler-Attentäter Georg Elser vehement angezweifelt hatte.

Sie waren es, die bei meinen seinerzeitigen Rückfragen in ihrem Zeitgeschichtsinstitut paradoxerweise noch die Märchen vom 'selbst inszenierten Bombenanschlag auf den von Gott gesegneten Führer' vertreten haben und Georg Elser unkritisch sogar als 'SS-Unterscharführer' bzw. als 'willenloses Werkzeug der Gestapo' betrachteten.

Ausgerechnet jener damals bekannt gewordene Elser-Forscher Lothar Gruchmann hat nun zur Einstimmung auf die Einweihung der Gedenkstätte in Königsbronn auf der Grundlage längst überholter historischer Erkenntnisse, gefälschter Dokumente, falscher Zeugenaussagen und dem Hinweis auf ein einziges lediglich kopiertes und unverifiziertes Vernehmungsprotokoll mit dem Flair wissenschaftlicher Unfehlbarkeit nunmehr sein salomonisches Urteil über Georg Elser und die Hintergründe seines verhängnisvollen Attentats gefällt. In einer Sendung des deutschen Fernsehens 'Einer aus Königsbronn' behauptete der Münchener Gelehrte: 'Man kann heute davon ausgehen, dass die Alleintäterschaft Elsers wissenschaftlich einwandfrei feststeht!'

Anmaßend

Dieses wissenschaftlich verbrämte Urteil ist ebenso anmaßend und falsch wie die Lobpreisung, wonach 'alles, was wir heute über Georg Elser wissen', nur Lothar Gruchmann zu verdanken sei: 'Bei Recherchen der Justiz im Dritten Reich fand er durch Zufall Protokolle der Gestapo-Verhöre und brachte sie 1970 mit einem Kollegen heraus. Gruchmann und Hoch stellten klar, Elser war nicht von der SS gedungen!'

Was die beiden selbstgepriesenen Münchener Elser-Spezialisten (im Kontrast zu ihren früheren Ansichten über die Hintergründe des Münchener Bürgerbräu-Attentats!) erst 1970 'durch Zufall' entdeckten, haben zig Millionen Leser von 'Bild am Sonntag' und anderen führenden Blättern rund um die Welt schon viele Jahre vorher in allen Einzelheiten durch meine diversen Elser-Dokumentationen erfahren.

Zu meiner größten Überraschung haben mir bei meinen weiteren Recherchen zur Aufklärung des Elser-Mysteriums sodann Dutzende von Zeugen unter ihnen die beiden Söhne des verstorbenen Steinbruchbesitzers Vollmer erstmalig schließlich in allen Einzelheiten von der Existenz des Karl Kuch als geheimen Helfershelfer bei den Königsbronner Attentatsvorbereitungen von Georg Elser berichtet.

Auch im Stern

Diese überraschende wichtige und historisch entscheidende Entdeckung hatte sodann nicht nur der 'Stern' vor der Veröffentlichung meiner Serie 'Der Attentäter' noch einmal durch hochqualifizierte Rechercheure nachprüfen lassen.

Auch der weltbekannte Starregisseur Rainer Erler hat für seinen auf meinen Recherchen basierenden preisgekrönten gleichnamigen Film 'Der Attentäter' all meine dokumentarisch belegten Behauptungen durch eigene Zeugenbefragungen in Königsbronn, München und Zürich noch einmal mit buchhalterischer Akribie nachrecherchiert und dann erst sein Drehbuch mit den beiden verschworenen beiden Hauptakteuren des Münchener Attentats, Georg Elser und seinem Helfershelfer Karl Kuch, verfasst.

Von seinem Schreibtisch in der Münchener Möhlstraße aus hatte der renommierte Elser-Forscher Lothar Gruchmann damals mit akademischem Hochmut festgestellt, dass sich eine wissenschaftliche Beschäftigung mit den durch mehrere namhafte Journalistenkollegen an den Schauplätzen des Geschehens ermittelten Fakten über Elsers Hintermann Kuch erübrige, da diese amateurhaften Feststellungen offenbar nur meiner Phantasie entsprungen seien.

Neuerdings hat auch die Gedenkstätte des deutschen Widerstandes in Berlin den Schwaben Georg Elser als offenbar glasklaren 'Einzeltäter' entdeckt und ihm zur vorübergehenden Aufwertung namentlich des fehlgeschlagenen Stauffenberg-Attentats vom 20. Juli 1944 als mutigsten und entschlossensten Widerstandskämpfer eine Sonderausstellung gewidmet, die sie als 'Dauerleihgabe' der Stadt Königsbronn vermachte. Auch diese nachträgliche Adaptierung seines heldenhaften Attentats auf Adolf Hitler durch die Berliner Gedenkstätte des deutschen Widerstands muss Georg Elser, der nachmeinen dokumentarisch belegten Erkenntnissen erst Ende April 1945 unter bisher ungeklärten Umständen im KZ Dachau ermordet wurde, abermals wehrlos über sich ergehen lassen.

Schärfster Protest

Könnte nämlich Georg Elser aus der Asche des Dachauer KZ-Krematoriums noch einmal seine Stimme erheben, so würde er mit absoluter Bestimmtheit vehement gegen diese Vereinnahmung seiner damaligen Heldentat, womit er den weiteren Vormarsch der deutschen Wehrmacht und die damit verbundene Ausweitung des Krieges verhindern wollte, schärfstens protestieren.

Jeder Historiker sollte eigentlich wissen, dass die meisten jener militärischen 'Widerstandskämpfer', die bis zum Jahre 1944 noch die Grenzen des Großdeutschen Reiches verteidigten und zum Teil selbst an den schlimmsten Greueltaten beteiligt waren, nach ihrem 'Blitzsieg in Polen' noch größtenteils bereit gewesen wären, den glücklosen Attentäter ihres obersten Feldherrn Adolf Hitler eigenhändig zu erschießen.

Nach den politischen Wechselbädern, in die Georg Elser zuerst durch Josef Goebbels und nach dem Kriege durch Pastor Niemöller mit Hilfe nahezu aller Historiker und Medien der Welt unbarmherzig hineingetaucht wurde, scheint mir der neuerliche Applaus für den 'einsamen Helden aus Königsbronn', den nunmehr auch unser Bundeskanzler Helmut Kohl dem ehemaligen Mitglied der KPD und des Rotfront-Kämpferbundes zollt, ebenfalls nur eine opportunistische Ehrerbietung für Georg Elser zu sein.

Und Frieden in Königsbronn

Diese Anmerkungen möchte ich nach der umstrittenen TV-Inszenierung und der Eröffnung Ihrer Gedenkstätte zur Ehrenrettung meines jahrzehntelangen stillen Wegbegleiters Georg Elser und für den Frieden unter den Bürgern von Königsbronn allen voran der durch Elsers Attentat am schwersten betroffenen Angehörigen der Familie Vollmer bei Ihnen als offenbar wahrheitssuchenden Journalistenkollegen deponieren.

Gerade die alteingesessenen Vollmers haben es nach ihrer Leidenszeit in den Gefängniszellen der Gestapo am wenigsten verdient, dass sie wegen ihres unbestechlichen Bekenntnisses zur historischen Wahrheit in oberflächlicher und unverantwortlicher Weise an ihrem wohlverdienten Lebensabend durch Historiker aus der Königsbronner Gemeinschaft regelrecht ins Abseits gedrängt wurden."

Quelle: Heidenheimer Neue Presse 13.10.1999


Günter Peis