Porträts berühmter Männer - Von Luther bis zur Gegenwart
Von Christian Graf von Krockow, Politikwissenschaftler und Historiker
Elser war ein Einzelgänger, der in niemandes Dienst stand, und das gehört sich offenbar nicht. Widerstand muss organisiert sein. Nicht nur Hitler und Himmler glaubten darum hartnäckig an Verschwörungen und Hintermänner, sondern auch im Gegenlager war das der Fall. So hat zum Beispiel der unbeugsame Pfarrer Martin Niemöller - seit 1937 Häftling in Sachsenhausen und Dachau und wie Elser ein besonders behandelter "persönlicher Gefangener" Hitlers - hartnäckig geglaubt und noch nach 1945 verbreitet, dass sein Mithäftling ein gekauftes Subjekt und bloß vorgeschoben gewesen sei, um einen Anschlag der SS zu tarnen, der aus Propagandagründen unternommen wurde, um mit der wunderbaren Errettung des Führers die Macht der Vorsehung zu demonstrieren.
Folgerichtig ist Elser nach dem Zweiten Weltkrieg für viele Jahre in Vergessenheit geraten; in der 17. Auflage des Großen Brockhaus, der "Enzyklopädie", die 1966 beginnt und mit ihren Ergänzungsbänden bis 1981 reicht, kommt sein Name gar nicht vor. Mit der Teilung Deutschlands wurde auch die deutsche Geschichte und die Geschichte des Widerstandes geteilt; hier, in der Bundesrepublik, würdigte man den bürgerlichen, den sozialdemokratischen, den christlichen und den soldatischen Widerstand, daneben etwa noch den studentischen Kreis der "Weißen Rose". Dort, in der Deutschen Demokratischen Republik, feierte man die proletarischen und die kommunistischen Märtyrer. Doch der schlichte schwäbische Schreinergeselle fiel durch die Maschen, weil er nirgendwo zugehörig war. Wahrscheinlich kam untergründig noch hinzu, dass er die Rechtfertigung der Millionen beschädigte, die anderen und sich selbst erklärten, dass man ja doch nichts habe tun können.
In der Bibel, im 1. Buch Mose, wird erzählt, wie Abraham mit Gott um die Rettung Sodoms handelte. Abraham sprach zu Gott:
"Es möchten vielleicht fünfzig Gerechte in der Stadt sein; wolltest du die umbringen und dem Ort nicht vergeben um der fünfzig Gerechten willen, die darin wären? Das sei ferne von dir, dass du das tust und tötest den Gerechten mit dem Gottlosen, dass der Gerechte sei gleich wie der Gottlose! Das sei ferne von dir, der du aller Welt Richter bist! Du wirst so nicht richten."
"Der Herr sprach: Finde ich fünfzig Gerechte zu Sodom in der Stadt, so will ich um ihrer willen dem ganzen Ort vergeben."
Die fünfzig Gerechten fanden sich nicht, und so handelt Abraham hartnäckig weiter bis auf zehn herunter. Aber auch die fanden sich nicht. Der Ausgang ist bekannt: "Da ließ der Herr Schwefel und Feuer regnen von dem Herrn vom Himmel herab auf Sodom und Gomorra und kehrte die Städte um und die ganze Gegend und alle Einwohner der Städte und was auf dem Lande gewachsen war."
In Anspielung auf diese Geschichte hat der General Henning von Tresckow, der für Jahre die Mitte des militärischen Widerstandes bildete, nach dem Fehlschlag von Stauffenbergs Anschlag und kurz vor seinem Freitod zu einem Vertrauten gesagt: "Jetzt wird die ganze Welt über uns herfallen und uns beschimpfen. Aber ich bin nach wie vor der felsenfesten Überzeugung, dass wir recht gehandelt haben. Ich halte Hitler nicht nur für den Erzfeind Deutschlands, sondern auch für den Erzfeind der Welt. Wenn ich in wenigen Stunden vor den Richterstuhl Gottes trete, um Rechenschaft abzulegen über mein Tun und Unterlassen, so glaube ich mit gutem Gewissen vertreten zu können, was ich im Kampf gegen Hitler getan habe. Wenn einst Gott Abraham verheißen hat, dass er Sodom nicht verderben werde, wenn auch nur zehr Gerechte darin seien, so hoffe ich, dass Gott auch Deutschland um unsertwillen nicht vernichten wird."
Georg Elser hatte keinen Vertrauten, und ein eigenes Schlusswort war ihm nicht vergönnt. Vielleicht wäre er auch gar nicht in der Lage gewesen, es angemessen zu formulieren. Aber er gehörte zu den Gerechten, auf denen unsere Hoffnung ruht.
Christian Graf von Krockow (*1927 2002) war 1961 bis 1969 Professor an den Universitäten Göttingen,
Saarbrücken und Frankfurt. Als Emeritus war er freier Wissenschaftler und Schriftsteller. Er gilt als einer der führenden
Publizisten zur deutschen und preußischen Geschichte.
In seinen "Porträts Berühmter deutscher Männer" stellt er vor: Martin Luther, Friedrich Wilhelm I.,
Immanuel Kant, Friedrich August Ludwig von der Marwitz, Heinrich von Treitschke,
August Bebel, Walther Rathenau, Georg Elser, Reinhard Heydrich, Helmut Kohl.