Georg Elser hat den Anschlag auf Hitler nicht aus christlicher Überzeugung begangen. Seine Motive waren politisch: "die Verhältnisse der Arbeiterschaft bessern und einen Krieg vermeiden" (Hoch/Gruchmann, S. 98). Zu einem Zeitpunkt, als die Weltöffentlichkeit die Nationalsozialisten akzeptierte und Hitler innenpolitisch breiten Rückhalt hatte, entschloss sich Elser 1938 am Vorabend des 2. Weltkriegs zur Tat: "Der Tyrann muss weg!" Hinter der pompösen Propagandafassade erkannte Elser das wahre Gesicht des Faschismus: Krieg und Völkermord. Mit seiner Tat wollte er die Führung um Hitler beseitigen, um die Aggressivität des Nationalsozialismus nach innen und außen zu bremsen. Die Tatsache, dass er damit Mord begehen würde, war ihm bewusst und keinesfalls gleichgültig. Als ihm in der Gestapohaft ein Film von der Beerdigung der acht Menschen gezeigt wurde, die bei der Explosion im Bürgerbräu ums Leben kamen, ist Elser zusammengebrochen und hat daraufhin sein Geständnis abgelegt.
Elsers Tat war ein bewusstes Vergehen gegen das 5. Gebot: "Du sollst nicht töten!", geboren aus der Überzeugung, dass er sich nicht passiv verhalten kann, wenn um ihn herum Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Mit dem Anschlag gegen Hitler hat sich Elser für seine Mitmenschen eingesetzt. Durch den Tyrannenmord wollte er "ein noch größeres Blutvergießen verhindern" (Hoch/Gruchmann, S. 92).
Der Theologe Dietrich Bonhoeffer, einer der ganz wenigen Christen in Deutschland, der gegen den Nationalsozialismus aktiv Widerstand geleistet hat und an der Vorbereitung des Attentatsversuchs am 20. Juli 1944 mitbeteiligt war, hat diesen Sachverhalt in einem anschaulichen Bild zum Ausdruck gebracht: "Wenn ich sehe, wie ein Verrückter mit einem Wagen in eine Menschenmenge hineinrast, habe ich da nicht die Aufgabe, dem Rad in die Speichen zu greifen und durch diesen Gewaltakt noch größeres Unheil zu verhindern?" Elser hat versucht, dem Rad schon fünf Jahre früher in die Speichen zu greifen. Dass es dazu des Mordes bedurfte, ist nicht ihm anzulasten, sondern den machthabenden Nationalsozialisten und denen, die ihnen zur Macht verhalfen. Und doch trägt Elser für diese Tat Verantwortung, denn sonst würde ihm abgesprochen, wozu sich ein Mensch selbst in aussichtsloser Situation nach christlichem Glauben noch befähigt wissen darf: Gott eine Antwort zu geben.
Gewaltfreier Widerstand war unter der NS-Diktatur, die jeden Widerstand mit nackter Gewalt im Keim erstickte, nur noch theoretisch denkbar. Elsers Attentat war darum eine reiflich überlegte Gewissensentscheidung. Die Alternative war nicht: töten oder schuldlos bleiben, sondern: den Tyrannen beseitigen oder durch Nichtstun am Tod von Millionen mitschuldig werden. Jede Handlungsweise unter den damaligen Umständen hat Schuld nach sich gezogen.
Elser hat den Weg gewählt, der ihm im Rahmen seiner Möglichkeiten als vernünftig und realisierbar erschien.
Das offizielle Motto der Tübinger Universität lautet: "Attempto!" Zu deutsch: "Ich wag's!". In diesem Sinne war Elser ein Attentäter. Er hat gewagt, was andere nicht konnten oder wozu sie sich nicht durchringen mochten. Er hat das für ihn geringere Übel zum hilflosen Geschehenlassen gewählt: den Tyrannenmord. Diese Gewissensentscheidung kann, weil sie um die Schuld wusste, in die sie mit hineinverstrickt war, auch christlich genannt werden. Elser verstand sich nicht als praktizierender Christ und doch hat er durch den Entschluss zur Tat Zugang zum christlichen Glauben gefunden. Ungefähr dreißig Mal ging er nach eigenen Angaben im Laufe des Jahres 1939 in eine Kirche, um dort sein Vaterunser zu sprechen. Ob Georg Elser auch in den Jahren der Isolation und Gefangenschaft bis zu seiner Ermordung 1945 in Gott ein Gegenüber fand, das seinem Gewissen Ruhe verschaffte und ihm Kraft zum Durchstehen gab, wird kein Mensch mit Sicherheit sagen können. Im Vertrauen auf Gott wage ich es zu hoffen.