Den Preis zahlt Elser

Viele Jahre vergingen nach dem Krieg, bis Georg Elser posthum die ihm gebührende Anerkennung erfuhr. Heute tragen Straßen, Plätze und Schulen den Namen des Hitler-Attentäters, erinnern Büsten und Gedenktafeln an ihn. Auch ein Preis ist nach ihm benannt. Seit seiner ersten Verleihung im Jahre 2001 hat sich vieles verändert: Vergabekriterien, Jury und Öffentlichkeitswirkung. Die Fäden hält jetzt die Stadt München in der Hand. Vor Kurzem hat sie den Preis erstmals in eigener Regie überreicht.


VON MICHAEL BRENDEL

Die Idee war gut und fand weithin Beifall: Vor knapp eineinhalb Jahrzehnten initiierte die Publizistin Dr. Hella Schlumberger aus München einen Preis für Zivilcourage und zivilen Ungehorsam gegen herrschende Staatsgewalt. Die im zweijährlichen Turnus zu vergebende und mit 5000 Euro dotierte Auszeichnung wurde benannt nach Georg Elser, der am 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller ein Attentat auf Adolf Hitler verübt, allerdings sein Ziel verfehlt hatte, den Diktator zu töten.

Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, die Elser-Initiativen in München, Heidenheim, Bremen und Berlin sowie als "gesetzte" Mitglieder Hella Schlumberger und Manfred Maier (siehe Interview unten) bildeten die Jury. Für würdig, 2001 den ersten Elser-Preis entgegen zu nehmen, hielt sie Jürgen Quandt. In München wurde der Berliner Pfarrer geehrt, weil er von Abschiebung bedrohten Familien Kirchenasyl gewährt hatte.

Bereits zwei Jahre später hatte der von Schlumberger beschworene "Geist der Freundschaft und Solidarität" hinter den Kulissen erste Risse bekommen. Diesmal wurde der Elser-Preis in Heidenheim vergeben: an den Staatsanwalt Dr. Winfried Maier aus Augsburg, der sich Widerständen zum Trotz durch sein konsequentes Vorgehen im Steuerverfahren gegen den Waffenhändler Schreiber und andere Personen hervorgetan hatte.

Rückblickend verteidigte Hella Schlumberger zwar später die Idee eines Wanderpreises, gleichwohl schwangen zwischen den Zeilen grundsätzliche Bedenken mit: "Seit 2004 wurde immer wieder am Statut herumgebastelt und mit der jeweiligen Stimmenmehrheit der Jury auch beschlossen. De facto hat aber jede Elser-Initiative vor Ort ihre Entscheidungen selber getroffen, was Preisträger, Preisgeld ind Preisverleihung betraf."

Keineswegs von vorbehaltloser Einmütigkeit getragen waren auch die Entscheidungen für das Komitee der Soldatenmütter Russlands (Bremen 2005) und für Elias Bierdel (Berlin 2007), der als Vorsitzender der Hilfsorganisation Cap Anamur im Mittelmeer 37 schiffbrüchige Afrikaner an Bord genommen hatte, um sie in Sizilien an Bord gehen zu lassen. Das wiederum zog die Inhaftierung und eine Anklage wegen Beihilfe zu illegaler Einreise nach sich. Die Angelegenheit war erst 2009 mit dem Freispruch durch ein sizilianisches Gericht vom Tisch.

In jenem Jahr wollte eigentlich der Konstanzer Georg-Elser-Arbeitskreis die Preisverleihung übernehmen. Als sich absehen ließ, dass das aus personellen und organisatorischen Gründen nicht möglich sein würde, sprang München in die Bresche. Kritiker sahen darin eine "kalte Übernahme", da Schlumberger ihr geistiges Kind in die Stadt des Anschlags auf Hitler zurückgeholt habe. Für Erstaunen sorgte auch, dass sie den Begriff Georg-Elser-Preis beim Deutschen Patent- und Markenamt hatte schützen lassen.

Schlumberger wurde Selbstherrlichkeit vorgeworfen, da sie die anderen Elser-Arbeitskreise übergangen habe. In ihrer Antwort hielt sie dagegen, auf ihre Bitte hin, mögliche Preisträger zu benennen, keine Antwort erhalten zu haben. Ausnahme: Heidenheim brachte den Namen des Pianisten und Dirigenten Daniel Barenboim ins Spiel. Allerdings ohne die von Schlumberger bestellte Jury zu überzeugen - sie entschied sich für die als Nazi-Jägerin bekannt gewordene Beate Klarsfeld, die 1968 Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger öffentlich geohrfeigt hatte.

Die Elser-Arbeitskreise aus Berlin, Bremen, Konstanz und Heidenheim zogen sich unter Verweis auf die ihrer Meinung nach verletzten Statuten nach und nach zurück. Inhaltlich betrachtet bedeutete das jedoch kein Ende der Diskussion, ob die Kür des Preisträgers von 2011 angemessen war.

Im Gegenteil. Dass die Wahl auf Dietrich Wagner fiel, der im September 2010 am sogenannten "Schwarzen Donnerstag" beim Protest gegen Stuttgart 21 durch einen Wasserwerfer fast sein Augenlicht verloren hätte, teilte die Kommentatoren in zwei Lager: Die einen hielten es für unangebracht, den Widerstand Elsers gegen das Nazi-Regime mit dem Protest gegen einen Bahnhofsumbau zu vergleichen; Schlumberger argumentierte für die Gegenseite, die Entscheidung der Jury beziehe sich auf Wagner "nicht als Person, sondern als Symbol des bürgerlichen Widerstandes in der Tradition von Whyl und Wackersdorf".

Eine Zäsur vollzog sich im November 2013: Auf Antrag der örtlichen SPD- und der Grünen-Fraktion verlieh erstmals die Stadt München den Georg-Elser-Preis. Der Stadtrat hatte sich zuvor für den Regisseur Peter Ohlendorf und den unter Pseudonym arbeitenden Kameramann Thomas Kuban ausgesprochen. Unter dem Titel "Blut muss fließen" hatten die beiden einen Dokumentarfilm gedreht, der sich mit der rechtsradikalen Musikszene in Deutschland befasst. Urteil der Jury: Ohlendorf und Kuban "machen durch ihr Agieren deutlich, dass immer wieder neu um die Demokratie gerungen werden muss".

Verglichen mit der Vergangenheit wurde dieses neue Kapitel in der Geschichte des Elser-Preises unter weitaus geringerem Medieninteresse aufgeschlagen. Den Preis für die Neuausrichtung zahlt also Georg Elser.

Edward Snowden wäre würdig gewesen

Klare Haltung: Manfred Maier, Sprecher des Heidenheimer Georg-Elser-Arbeitskreises und einst Mitglied in der Jury des Georg-Eiser-Preises. FOTO: ARCHIV

Herr Maier, halten Sie die filmische Arbeit von Peter Ohlendorf und Thomas Kuban grundsätzlich für auszeichnungswürdig?

Ich kenne den Film nicht. Aber ich frage mich schon, wie ein Film in puncto Zivilcourage mit dem Handeln von Georg Elser zu vergleichen sein soll. Edward Snowden hingegen hat Elser in nichts nachgestanden. Was dieser Mann gemacht hat, finde ich ganz toll. Er wäre ein würdiger Preisträger gewesen.

Ein nach Georg Elser benannter Preis für einen Film ist in diesem Fall also keine angemessene Würdigung?

Meines Erachtens nein, denn wo bleibt das unerschrockene Aufbegehren gegen die Staatsgewalt...

... wie es einst in den Statuten stand. Bedingung war, die Preisträger müssten sich durch Zivilcourage, zivilen Ungehorsam und unerschrockenes Handeln gegen die Staatsgewalt hervorgetan haben. Heute heißt es: Der Elser-Preis zeichnet Menschen aus, die sich gegen undemokratische Strukturen, Organisationen und Entwicklungen auf individuelle Weise zur Wehr setzen und durch unangepasstes Handeln den Blick auf Gefährdungen der Demokratie richten. Klingt doch ziemlich ähnlich.

Ähnlich vielleicht, da haben sie nicht ganz unrecht. Aber die Preise sind genau betrachtet eben doch nicht vergleichbar, weil sie eine unterschiedliche Fixierung haben. Das finde ich sehr schade. Es ist die große Chance vertan worden, Georg Elser als den bekanntesten der unbekannten Hitler-Attentäter nach vorn zu bringen und ihm gerecht zu werden. Und schauen Sie doch mal die Berichterstattung über die Preisverleihung in München an. Wer hat davon schon groß etwas mitbekommen? Das sah zu Beginn doch ganz anders aus. Auch das sagt etwas über den Stellenwert aus, den der Elser-Preis heute genießt.

In den Anfangsjahren war die Jury besetzt mit Vertretern der Elser-Initiativen aus Heidenheim, München, Bremen und Berlin sowie der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Jetzt entscheidet der Münchner Stadtrat auf Empfehlung einer von ihm eingesetzten Jury. Schmerzt Sie das?

Ich will mal so sagen: Wenn ich Mitglied eines Gremiums bin, das gemeinsam eine Entscheidung zu treffen hat, dann lasse ich mich überzeugen, falls ein anderer meiner Meinung nach einen besseren Vorschlag hat. Das war in der Elser-Preis-Jury, in der ich gemeinsam mit Frau Dr. Hella Schlumberger, der Initiatorin des Preises, gesetzt war, leider nicht so. Oft war es erst nach erbitterten Auseinandersetzungen möglich, einen geeigneten Preisträger durchzusetzen.

Was meinen Sie damit konkret?

Frau Schlumberger ist eine intelligente Frau, und ihre Idee, den Georg-Elser-Preis ins Leben zu rufen, war großartig. Allerdings hatte sie ein Problem damit, dass sich ihr geistiges Kind etwas anders entwickelte als geplant...

... was die Auswahl der Preisträger angeht.

Genau. Sie konnte nicht akzeptieren, dass ich 2003 für den Augsburger Staatsanwalt Dr. Winfried Maier gekämpft habe, weil sie der Meinung war, er hätte nur seine berufliche Pflicht getan. Ich habe mich durchgesetzt, obwohl sie vehement dagegen kämpfte. Ähnlich war es 2005. Frau Schlumberger hat die Verleihung des Preises in Bremen an das Komitee der Soldatenmütter Russlands als Niederlage empfunden. Und damit nicht genug, wollte sie 2007 Elias Bierdel nicht, den Kapitän der Cap Anamur. Das waren teils nervenaufreibende Auseinandersetzungen.

Und doch hat Hella Schlumberger jetzt gewissermaßen die Nase vorn.

Ja, denn als die Konstanzer Elser-Initiative 2009 die Preisverleihung nicht stemmen konnte, hat Frau Schlumberger mehr oder weniger im Alleingang Beate Klarsfeld durchgedrückt. Äußerst umstritten und in der Öffentlichkeit heiß diskutiert war dann zwei Jahre später ja auch die Entscheidung, den Stuttgart-21-Gegner Dietrich Wagner auszuzeichnen.

Hatten diese ganzen Unstimmigkeiten Auswirkungen auf die Zusammenarbeit der verschiedenen Elser-Arbeitsgruppen?

Oh ja. Das ist leider alles ziemlich auseinander gelaufen. Wir haben tatsächlich den Kontakt zu den anderen Gruppen verloren, die nach und nach auf Tauchstation gegangen sind. Aber wir Heidenheimer bleiben natürlich weiterhin aktiv, auch wenn mit dem ganzen Ärger um den Elser-Preis viel gemeinsames Engagement verloren gegangen ist.

Quelle: Heidenheimer Sonntagszeitung 22.12.2013 - www.hz-online.de


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