Als der Königsbronner Steinbruchbesitzer
Georg Vollmer
1941 im KZ Welzheim saß, schob seine verzweifelte Frau
das Attentat einer kommunistischen Dreiergruppe um den Zürcher Musikalienhändler
Kuch
in die Schuhe. Die Stuttgarter Gestapo nahm diese Ausflucht nicht ernst. Vollmer selbst entwickelte
die Phantasiegeschichte weiter, als er in seinem Entnazifizierungsverfahren Einspruch einlegte.
Beherzt zauberte er eine zweite Version aus seiner Märchenkiste, mit einem Brief vom 17. März 1946 an den Bayerischen Rundfunk. Plötzlich entpuppte sich Vollmer als ein gewaltiger Antifaschist, der schon seit dem Reichstagsbrand von 1933 alles habe kommen sehen. Weil er sich damals als ein großer Nazigegner benahm, war es "nicht so unbegreiflich, dass Georg Elser [...] sich bei mir um eine Stelle in meinem Steinbruch bewarb". Vollmer zieht Elser mit Dorfklatsch herunter, um sich selbst zu profilieren. "Auch war er [Elser] in Gesellschaft mit Frauen leichtsinnig. Über seine Verhältnisse lebte er bestimmt und verkehrte meistens in Kreisen, die gewissermaßen ebenso wie er zu den Halbgebildeten gehörten. Er pflegte Umgang mit Menschen, die sich von jeder bürgerlichen Richtung abhoben und die man im Volksmund die 'Halbherren' nannte."
Dann fügte Vollmer den ominösen Kuch aus Zürich hinzu und machte den ehemaligen Vorsitzenden des Konstanzer Trachtenvereins, Faistelhuber, den Elser bei der Verhaftung in Konstanz zu suchen vorgab, zum Mittelsmann, der Elser den Zugang zum Bürgerbräukeller verschafft habe. Elser interessierte sich nach Vollmer außergewöhnlich für die Sprengtechnik und sagte, er wolle in München in seinem Beruf arbeiten, dort werde er etwas schaffen, "wovon die ganze Welt sprechen werde". Elser sei "nur ein gekauftes Werkzeug" gewesen.
Das Märchen erreichte im August 1947 eine dritte Stufe. Nun führte Vollmer seine KZ-Haft auf seinen Widerstandskampf zurück. Mit dem Sprengstoff habe er nichts zu tun gehabt, das sei Sache des Sprengmeisters Kolb gewesen.
Nächste Stufe: Bei der Verhandlung vor der Spruchkammer im September 1949 griff Vollmer endgültig in die Vollen: Elser wünschte von ihm Sprengstoff, "er wolle im Laufe des Herbstes noch etwas unternehmen, worüber die ganze Welt sprechen würde". Elser habe den Sprengstoff nicht erhalten. Elser sollte den Sprengstoff stehlen, um Vollmer politisch kaltzustellen.
Ein Vierteljahr später war das Märchen noch einmal weitergewachsen. Vollmer schrieb der Berufungskammer nach Stuttgart: Da Elser Sprengmittel brauchte, "erbat er diese von mir - und gelangte in ihren Besitz". Vollmer rückt also nahe an den Lieferanten.
Die nächste, nun schon sechste Stufe des Märchenprozesses fällt ins Jahr 1950, als Vollmer im Auftrag des Münchner Untersuchungsrichters von der Kripo vernommen wird: Kuch beschäftigte sich nach Vollmers neuester Meinung "nur mit Spionage", habe auch in einer englischen Widerstandsgruppe mitgemischt, die wieder Kontakte zu einer deutschen hatte. Der deutsche Geheimdienst sei Kuch auf die Spur gekommen. Dem Attentat stand das Propagandaministerium sehr nahe, Hitler selbst wusste nichts davon. Faistelhuber wurde mit der Überwachung Elsers beauftragt. Nach dem Grenzübertritt sollte Elser zwei Millionen Mark Belohnung bekommen. Vollmer nennt am Ende alles, was er sich da zusammenreimt, eine "Kombination". Ein phantasievoller Amateurdetektiv.
Die absurde Erzählung erreichte ihre Vollendung schließlich in der siebten Stufe von 1956, als Vollmer Wiedergutmachung für seine KZ-Haft verlangte, um steuerbegünstigt zu werden. Nun riskierte er alles: Er habe von Elsers Attentat Kenntnis gehabt und ihm den Sprengstoff selber zur Verfügung gestellt. Das Landesamt für Wiedergutmachung schrieb empört: "Der Kläger rühmt sich also jetzt der Beihilfe zu dem Attentat."
Hellmut G. Haasis (* 7. Januar 1942 in Mühlacker/Enz) studierte evangelische Theologie, Geschichte, Soziologie
und Politik. Freier Schriftsteller, bekannt vor allem durch seine Biographie von Georg Elser.
1990 wurde er mit dem Thaddäus-Troll-Preis ausgezeichnet. Außerdem erhielt er den Civis-Preis der ARD für das Hörspiel
"Jud Süß" im WDR (1995) und den Schubart-Preis der Stadt Aalen für die Biographie Joseph Süß Oppenheimers (1999).