Im Januar 1945 in Berlin im Reichssicherheitshauptamt entdeckt und verbrannt
Originaldokumente der Gestapo über Elser
Von Jochen Thies, Historiker
Christoph v. Dohnányi
Ab Januar 1945 übernahm der fünfzehnjährige Christoph die Verantwortung für die Verbindung der
Familie zum Vater. Seit der Einberufung seines Bruders war er der einzige Mann im Haus. Klaus merkte treffend an:
"Christoph hat eine schwere Aufgabe, Papa und mich zu ersetzen." Ihn ersetzte er zu einhundert Prozent,
"und Papa - das kann sowieso keiner!!". Der Jüngste war nun der Kurier der Familie, er
überbrachte Briefe, Päckchen und erlaubte Lektüre für seinen Vater und gab sie bei
den zuständigen Dienststellen ab. Jede Fahrt von Sacrow ins Stadtzentrum von Berlin zum
SS-Reichssicherheitshauptamt in die Prinz-Albrecht-Straße 9 war wegen der Bombardements und
Fliegerangriffe eine riskante Angelegenheit.
Christoph erinnert sich, wie er eines Tages mit einem Holzkoffer in das nach einem alliierten Luftangriffstark zerstörte Gebäude kam. Viele Räume waren leer, nur in einem lagen Aktenbündel herum. Nachdem er bei der Gefängnisleitung den Kofferinhalt abgegeben hatte, schlich er noch einmal zu dem Büroraum zurück und stopfte die Unterlagen in seinen Koffer, bis dieser voll war - in der Hoffnung, Material über den Vater gefunden zu haben. Dann eilte er nach Hause.
Als es am Abend einen Luftangriff gab und die Familie im Luftschutzkeller Unterschlupf suchte, fiel ihm die Geschichte wieder ein und er gestand der Mutter die "Sammelaktion". Christine war entsetzt. Hätte ihn jemand beim Einsammeln der Dokumente beobachtet, wären er und die Familie in höchster Gefahr gewesen. Das Material musste sofort verschwinden.
Als Christoph auf Anordnung seiner Mutter hin den Koffer herbeischleppte und öffnete, stockte ihnen der Atem. Er enthielt Originaldokumente - Schriftstücke und technische Zeichnungen - über den Anschlag auf Hitler im Münchner Bürgerbräukeller vom November 1939 und über den Täter: Johann Georg Elser.
Elser lebte zu diesem Zeitpunkt noch. Er wurde am 9. April 1945, also am gleichen Tag wie Hans von Dohnanyi, auf persönlichen Befehl Hitlers im Konzentrationslager Dachau ermordet. Erst wenige Wochen zuvor war er aus dem KZ Sachsenhausen dorthin verlegt worden, hatte also vorübergehend das Schicksal von Hans in unmittelbarer Nähe zu ihm geteilt. Christoph erinnert sich noch heute an genaue technische Zeichnungen der Bombe, die der schwäbische Einzeltäter gebaut hatte.
Gemeinsam mit seiner Mutter durchblätterte er in großer Hast die Dokumente.
Anschließend verschwanden die Aktenbündel in einem mit Koks befeuerten Zentralheizungsofen.
Erst jetzt konnte die Mutter aufatmen.
Quelle: Jochen Thies, Die Dohnanyis. Eine Familenbiographie, München 2004
Christoph von Dohnányi (* 8. September 1929 in Berlin) ist Sohn des Widerstandskämpfers Hans von Dohnanyi,
der am 8.4.1945 nach einem Standgerichtsverfahren der SS im Konzentrationslager Sachsenhausen
durch den Strang hingerichtet wurde. Sein um ein Jahr älterer Bruder ist der Politiker Klaus von Dohnanyi, der
von 1972 bis 1974 Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und von 1981 bis 1988
Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg war.
Christoph von Dohnányi studierte Jura und Musik in München, unter anderem bei seinem Großvater Ernst von Dohnányi.
Mit 27 Jahren wurde er in Lübeck 1957 zum jüngsten Generalmusikdirektor in Deutschland ernannt.
1982-1984 wurde Christoph von Dohnányi zum Music Director Designate des Cleveland Orchestra ernannt,
dessen Music Director er 1984-2002 war. 1997 folgte die Berufung zum Principal Conductor des
Philharmonia Orchestra in London. Seit September 2004 ist er Chefdirigent des NDR Sinfonieorchesters.
Der Autor Jochen Thies schlägt in seinem Buch "Die Dohnanyis" einen Bogen von der
K.u.K.-Zeit bis in die heutigen Tage. Vom Komponisten Ernst von Dohnányi (1877-1960), der ins amerikanische
Exil ging, über den Widerstandskämpfer Hans von Dohnanyi (1902-1945), der mit der Schwester Dietrich Bonhoeffers,
Christine, verheiratet war und im April 1945 von der NS-Justiz erhängt wurde, bis zur heutigen Generation.