Gedenkrede in Königsbronn am 9. April 2005 zum 60. Todestag Georg Elsers
Von Barbara Distel, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau
Heute Abend sind genau 60 Jahre vergangen, seitdem Georg Elser nach seinem jahrelangen Leidensweg im Konzentrationslager Dachau durch Genickschuss ermordet wurde.
Wir sind zu diesem Anlass hier an seinem Heimatort zusammengekommen, um an ihn und seinen Widerstand gegen das nationalsozialistische Verbrecherregime zu erinnern. Sein Vorhaben, am 8. November 1939 den Diktator zu ermorden, um dem bereits begonnenen Blutvergießen des 2. Weltkriegs ein Ende zu setzen, ist zwar gescheitert. Sein Mut und seine Unbeirrbarkeit haben aber schließlich doch - nicht zuletzt hier in Königsbronn - die ihm gebührende Anerkennung gefunden.
Das Leben Georg Elsers, die Hintergründe der Tat und ihre Einordnung in den Gesamt Zusammenhang in die Geschichte des deutschen Widerstandes werden hier in der Georg-Elser-Gedenkstätte, sowie in der Wanderausstellung, die die Gedenkstätte Deutscher Widerstand erarbeitet hat und die in den letzten Jahren an vielen Orten gezeigt wurde, beleuchtet und gewürdigt.
Heute kann man feststellen, dass 65 Jahre nach dem tragisch misslungenem Attentatsversuch und 60 Jahre nach seiner Ermordung die Geschichte Georg Elsers, nicht zuletzt dank der langjährigen Bemühungen Georg-Elser-Initiative in Heidenheim und der beiden Historiker Johannes Tuchel und Peter Steinbach, die für die Königsbronner und die Berliner Ausstellung verantwortlich zeichnen, gründlich erforscht ist. Nach Jahrzehnten des Totschweigens, der Diffamierung seiner Person und seiner Motive nimmt Georg Elser endlich den ihm zustehenden Platz in der Erinnerung an die Menschen ein, die den Widerstand gegen die nationalsozialistische Verbrechenspolitik mit dem eigenen Leben bezahlten. Und daran konnte auch der letzte Diffamierungsversuch des Chemnitzer Privatdozenten, Dr. Lothar Fritze, der vor fünfeinhalb Jahren anlässlich des 60. Jahrestages des missglückten Attentates Georg Elser die moralische Legitimation für seinen Widerstand absprach, nichts mehr ändern. Georg Elser ist heute für den an Geschichte interessierten Zeitgenossen kein unbekannter Name mehr.
Ich möchte mich nun seinem letzten Lebensabschnitt zuwenden, über den allerdings nur wenig bekannt ist, der Geschichte des KZ-Häftlings Georg Elser: Georg Elser war 36 Jahre alt, als er am Abend des 8. November bei dem Versuch, in die Schweiz zu entfliehen, festgenommen wurde. An diesem Abend begann sein fünf Jahre und fünf Monate andauernder Leidensweg, der am 9. April 1945 mit seiner Ermordung hinter dem Krematorium des Konzentrationslagers Dachau sein Ende fand.
Zunächst wurde Georg Elser in München der Gestapo übergeben. In der Nacht vom 13. zum 14. November gestand er nach schwerer Folter die Tat und unterschrieb ein Geständnis. Er wurde ins Reichssicherheitshauptamt nach Berlin gebracht, wo die Verhöre fortgesetzt wurden, da weder Adolf Hitler noch Heinrich Himmler an seine alleinige Täterschaft glauben wollten. Die vermuteten Hintermänner des Britischen Geheimdienstes sollten um jeden Preis gefunden werden. Gleichzeitig war man im Ausland und in regierungskritischen Kreisen in Deutschland überzeugt, dass die nationalsozialistische Führung den Bombenanschlag selbst inszeniert hatte.
Die Vernehmungsprotokolle der Berliner Gestapo vom 19. bis zum 23. November 1938 sind die wichtigste historische Quelle zur Rekonstruktion des Geschehens. Georg Elser gibt in ihnen detaillierte Auskunft über sein Leben - von seiner Kindheit bis zum 8. November 1939. Dennoch spiegeln die Protokolle die Sicht und Interpretation seiner Verfolger wider und auch wenn die Fakten stimmen, so hätte Georg Elser - hätte er
denn überlebt - die Geschichte vielleicht ganz anders erzählt. Die Protokolle werden ergänzt durch die Aussagen der befragten Zeugen, die jedoch wenig zur Erhellung der Tat beitragen konnten, da Georg Elser alleine geplant und gehandelt hat. Die Gestapo bedrängte nicht nur die Familie, jeder der mit Georg Elser in Kontakt gewesen war, ja der gesamte Heimatort, den der Elser Biograf Hellmut Haasis als "Attentatshausen" bezeichnete, wurde der Mittäterschaft bezichtigt.
Georg Elsers Mutter, seine Schwester Maria Hirth mit ihrem Mann, sowie die Freundin Elsa Härlen wurden nach Berlin gebracht und Georg Elser gegenüber gestellt. Die Mutter berichtete später: "Georg hat geweint, als ich zu ihm herein geführt wurde, aber nicht gesprochen." 1
Die Schwester Maria Hirth sagte: "Bei dieser (d. h. der ersten) Vernehmung hat mein Bruder noch gut ausgesehen. Als ich im später noch zwei oder dreimal gegenüber gestellt wurde, hatte er einen kahl geschorenen Kopf und ein vollkommen geschwollenes Gesicht. Ob das Gesicht durch Schläge geschwollen war weiß ich nicht." 2
Und die Freundin Elsa Härlen berichtete: "Er saß in der Mitte des Zimmers auf einem Stuhl und ich hätte ihn in seinem Zustand bestimmt nicht als meinen früheren Verlobten erkannt. Sein Gesicht war verschwollen und blau geschlagen. Die Augen traten aus den Höhlen und er machte auf mich einen furchtbaren Eindruck. Auch seine Füße waren geschwollen und ich glaube, dass er nur deshalb auf dem Stuhl saß, weil er kaum mehr stehen konnte ... Ich bin überzeugt, dass er nur redete, weil er körperlich gebrochen war und sich vor den Schlägen fürchtete." 3
Es waren Georg Elsers letzte Begegnungen mit den Menschen, die ihm nahe standen und von denen er wusste, dass sie ihm nichts Böses wollten.
Georg Elser blieb über ein Jahr, bis zu Beginn des Jahres 1941 in Berliner Gestapo-Haft. Er hatte keinerlei Kontakte zur Außenwelt und wir wissen nichts über sein Leben während dieser Zeit. Wann hörte man auf ihn zu foltern, wie verbrachte er seine Tage und Nächte. Begann er sich an das Gefängnisdasein zu gewöhnen. Oder war er verzweifelt und überlegte, wie er seinem Leben ein Ende setzen könnte. Wann fiel Hitlers Entschluss, ihn für einen Schauprozess gegen den britischen Geheimdienst nach dem Krieg am Leben zu erhalten. Wurde sein Dasein daraufhin einfacher. Wie viel erfuhr er von den Gerüchten und Spekulationen über seine Person.
Im Januar oder Februar 1941 brachte man Georg Elser ins Konzentrationslager Sachsenhausen vor den Toren Berlins. Dort wurde er in den Gefängnisbau gebracht, wo man ihn in einem Raum, der aus drei Zellen gebildet worden war, unterbrachte. Er war strengstens von den anderen Gefangenen isoliert und wurde Tag und Nacht von zwei SS-Männern, die sich in seiner Zelle aufhielten bewacht. Man stellte ihm eine Hobelbank und Werkzeug zur Verfügung, er fertigte Auftragsarbeiten für Angehörige der SS an. Er erhielt Essen aus der SS-Küche und durfte seine Zither behalten und auf ihr spielen.
Die politischen Häftlinge des Konzentrationslagers Sachsenhausen, die von seiner Existenz Kenntnis erhielten, sahen in ihm den Spitzel, das Werkzeug der nationalsozialistischen Führung, den "angeblichen Bürgerbräu-Attentäter", der im Lager ein gutes Leben führte, genug zu Essen hatte, nicht in der Sklavenarbeit aufgerieben wurde. Sie vermieden geflissentlich jede Kontaktaufnahme.
Pastor Martin Niemöller, der zur gleichen Zeit in Sachsenhausen im Gefängnisbau in Einzelhaft gehalten wurde, verbreitete schon früh - wohl auf der Grundlage eines Berichtes aus der SS-Zeitschrift "Das schwarze Korps", die Behauptung, dass Elser Mitglied der SS sei. Wie wir wissen, blieb Pastor Niemöller auch nach dem Krieg bei dieser Version, obwohl er den Beweis für seine Behauptung immer schuldig blieb.
Vier Jahre lebte Georg Elser in vollständiger Isolierung im Zellenbau des Konzentrationslagers Sachsenhausen. Er durfte keine Briefe schreiben oder empfangen, er hatte niemanden, dem er seine Gedanken offen mitteilen konnte, dem er vertraute, mit dem er seine Hoffnungen oder seine Ängste teilen konnte. Wir wissen heute, dass nahezu alle ehemaligen KZ-Häftlinge, die später über ihr Schicksal berichtet haben, ihr Überleben ganz wesentlich der Hilfe und Unterstützung durch ihre Mithäftlinge zuschreiben. Ein tröstendes Wort, ein Gespräch vor dem Einschlafen, eine Nachricht über das nahende Ende des Krieges - kurz ein Gegenüber, mit dem man das Elend teilte, konnte den Häftling vor der eigenen Verzweiflung und Selbstaufgabe bewahren.
Georg Elser war allein, Tag für Tag und Nacht für Nacht in einer entsetzlichen Einsamkeit gefangen. Wir haben keinerlei Kenntnis, wie er diese Jahre durch gestanden hat, wie sie seine Persönlichkeit verändert haben, ob er noch gehofft hat, das Kriegsende zu erleben oder ob er körperlich und seelisch zerbrochen war, schon lange bevor er nach Dachau kam. Wir wissen nichts darüber, wie viel er vor den Folterungen und Hinrichtungen, die im Zellenbau des Lagers Sachsenhausen in diesen Jahren regelmäßig stattfanden, gehört und gesehen hat. Wir wissen nur, dass er Schreinerarbeiten verrichtet und Zither gespielt hat.
Es gibt drei Zeugen, die nach dem Krieg Angaben über Georg Elser in Sachsenhausen machten: Der britische Geheimdienstoffizier Payne S. Best veröffentlichte 1950 seine Erinnerungen unter dem Titel "The Venlo Incident." Payne war zusammen mit einem zweiten englischen Offizier am 9. November 1939 vom deutschen Geheimdienst aus dem niederländischen Grenzort Venlo nach Deutschland entführt worden. Er wurde, wie Elser, bis kurz vor Kriegsende im Zellenbau des Konzentrationslagers Sachsenhausen festgehalten und dann nach Dachau gebracht. Allerdings hat er Elser nur einmal kurz gesehen und nie mit ihm gesprochen. Er behauptete in seinem Buch, Elser hätte ihm durch Kassiber mitgeteilt, dass er im Auftrag von zwei Männern des britischen Geheimdienstes und aufgrund des Versprechens einer großen Summe Geldes die Bombe gebaut hätte. 4
Der Zeuge Jehovas Paul Wauer, der 1942 als Häftlingsfriseur im Sachsenhausener Zellenbau arbeitete und eine Zeit lang Georg Elser täglich rasierte, sagte in einem Ermittlungsverfahren der Münchner Staatsanwaltschaft wegen der Ermordung Elsers in Dachau im Juli 1951 aus: "Den Elser habe ich seinerzeit im KZ Sachsenhausen gesehen und gesprochen. Ich war nämlich in diesem KZ von ungefähr Januar 42 bis Mai 42 im Bunker als Bunker-Friseur. Wenige Tage nach meinem Dienstantritt kam ein mir unbekannter Häftling in Begleitung eines SS-Mannes und musste ich ihn rasieren. Der Häftling war in Zivil, klein von Statur, blass und hatte schwarze Haare. Anschließend habe ich dann die Bunker-Kalfaktoren gefragt, wer dieser Häftling sei. Einer von ihnen sagte mir, dass es Elser, der das Bürgerbräu-Attentat vollführt hat ... Ich selbst bin später dann in seine Zelle gekommen und habe auch des Öfteren mit ihm gesprochen, jedoch nur belanglose Sachen." 5
Walter Usslepp, war während der Jahre 1942-1944 einer der SS-Bewacher Georg Elsers. Er meldete sich im Jahr 1956 mit einem reißerischen Zeitungsartikel zum ersten Mal öffentlich zu Wort. Er gab sich als Elsers Vertrauten und Testamentsvollstecker aus, der mit ihm zusammen einen Fluchtversuch aus Sachsenhausen geplant hätte.
Zu Beginn des Jahres 1945 - sein Biograf Haasis meint Anfang Februar - wurde Georg Elser von Sachsenhausen nach Dachau gebracht. Wiederum wurde er streng isoliert von den anderen Gefangenen im Lagergefängnis, dem so genannten Bunker in einer erweiterten Zelle untergebracht, zusammen mit seiner Hobelbank, seinem Werkzeug und seiner Zither. Das Arrestgebäude des Konzentrationslagers Dachau mit 136 Zellen war im Jahr 1938 im Zusammenhang mit dem Ausbau des Konzentrationslagers Dachau von Häftlingen errichtet worden. Es diente als Ort, in dem "Untersuchungshäftlinge" auf ihren Prozess warteten und in den Häftlinge aus dem Lager zur Bestrafung gebracht wurden. Folter und Hinrichtungen waren an der Tagesordnung. Seit dem Jahr 1941 war auch im Dachauer Bunker, in einem abgetrennten Bereich, eine Gruppe von vier Geistlichen, so genannte Sonderhäftlinge, untergebracht, die dem Regime als Geiseln dienten. Ab 1943 stieg die Zahl der "Sonderhäftlinge" auf etwa 30 Personen an. Und nach dem missglückten Attentat vom 20. Juli 1944 wurden weitere prominente Geiseln nach Dachau gebracht, so dass sich bis April 1945 schließlich 140 "Sonderhäftlinge" in Dachau befanden.
Georg Elser begegnete im Dachauer Bunker seinem Sachsenhausener Friseur wieder, der inzwischen in Dachau zum Kalfaktor avanciert war. Paul Wauer erklärte dazu in seiner Zeugenaussage aus dem Jahr 1951: "Als ich dann im KZ Dachau war, habe ich gesehen, wie Elser dorthin eingeliefert und in den Ehrenbunker gebracht wurde ... Ich habe den Elser mit den Worten: 'Elser, was wollen Sie noch hier!' begrüßt ... Während ich bis zu diesem Zeitpunkt die Zelle des Elser nicht betreten konnte, konnte ich von da ab das Essen geben. Hierbei habe ich mit ihm des Öfteren gesprochen, jedoch meist nur belanglose Dinge. Wenn das Gespräch von mir auf das bevorstehende Kriegsende geleitet wurde, geriet Elser immer in Aufregung und ich hatte den Eindruck, dass ihm um sein Schicksal bange sei. Gesprochen hierüber hat er jedoch nichts." 6
Die Gruppe der Geistlichen unter den Dachauer "Sonderhäftlingen" - unter ihnen der Protestant Martin Niemöller, sowie die katholischen Geistlichen Paul Kunkel, Michael Höck und Johannes Neuhäusler, standen untereinander in engem Kontakt.
Michael Höck, der ebenfalls zuvor in Sachsenhausen gewesen war, hatte von Niemöller über Elser erfahren, ihn aber in Sachsenhausen nie gesehen. Zur Situation in Dachau sagte er im Verfahren 1951 aus: "Einmal bekam ich auch zu hören - von welcher Seite weiß ich heute nicht mehr - dass Gg. Elser sich trotz aller Abschirmung sich einem Sonderhäftling gegenüber dahin geäußert haben soll, dass er nie mehr lebend die Schutzhaft verlassen werde. Soweit mir erinnerlich, suchte ihn dieser Leidensgefährte mit dem Hinweis auf den nahen Zusammenbruch des Dritten Reiches zu trösten ... Mir persönlich machte Elser, wenn ich ihn im Wachzimmer sah, einen sehr gedrückten Eindruck. Nach Besprechung mit Neuhäusler fassten wir uns ein Herz und schickten ihn durch Scharführer Zink auf Ostern ein Paket mit Lebensmitteln mit Ostereier, Fladen usw. Scharführer Zink der sich hin und wieder zur Mithilfe an einer solchen Tat verleiten ließ, meldete mir am Ostersonntag oder -montag, d.i. Anfang April dass sich Gg. Elser über diese Ostergaben sehr gefreut habe und dass er sich herzlich bedanken ließe. Das -war wohl das letzte das ich persönlich im K.A. (Kommandantur-Arrest) über Elser erfahren habe, denn am ... 5. April 1945 wurde ich ... aus der Schutzhaft entlassen." 7
Auch der Schnellbrief des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD Berlin an den Kommandanten des Konzentrationslagers Dachau, der das Todesurteil Georg Elsers enthielt, trug das Datum des 5. April 1945. In ihm hieß es unter anderem: "Auch wegen unseres besonderen Schutzhäftlings "Eller" wurde erneut an höchster Stelle Vortrag gehalten. Folgende Weisung ist ergangen: Bei einem der nächsten Terrorangriffe auf München bzw. auf die Umgebung von Dachau ist angeblich "Eller" tödlich verunglückt. Ich bitte zu diesem Zweck "Eller" in absolut unauffälliger Weise nach Eintritt einer solchen Situation zu liquidieren. Ich bitte besorgt zu sein, dass darüber nur ganz wenige Personen, die ganz besonders zu verpflichten sind, Kenntnis erhalten. Die Vollzugsanzeige hierüber würde dann etwa an mich lauten: "Am ... anlässlich des Terrorangriffs auf ... wurde u.a. der Schutzhäftling "Eller" tödlich verletzt." Nach Kenntnisnahme dieses Schreibens und nach Vollzug bitte ich es zu vernichten." 8
Im Konzentrationslager Dachau wartete man zu diesem Zeitpunkt keinen Bombenangriff mehr ab, die Zeit der Verschleierung der Verbrechen war vorbei. Die Nachricht, dass Georg Elser am 9. April von seinem Abendessen geholt und weggebracht worden war, verbreitet sich schnell unter den Sonderhäftlingen. Pfarrer Paul Kunkel sagte später aus: "Aus meiner Erinnerung in Verbindung mit meinen Tagbuchaufzeichnungen weiß ich, dass s.Zt. und zwar am Montag, den 9. April Pastor Niemöller erzählt hat, dass er erfahren habe, dass Elser aus seiner Zelle geholt worden sei und dass er auf Befehl liquidiert wurde. Dieses letztere nahmen wir wenigstens alle an, da Elser seine Sachen in der Zelle zurücklassen musste, mitten vom Abendessen weggeholt wurde und nicht zurückkam." 9
Ein SS-Mann brachte ihn zum Krematorium, wo ihn der Leiter des Krematoriums, der SS-Mann Theodor Bongartz durch Genickschuss ermordete. Zu diesem Zeitpunkt wurden die toten Häftlinge des Lagers Dachau aufgrund von Kohlemangels nicht mehr eingeäschert, sondern in einem nahe gelegenen Massengrab verscharrt. Eine Ausnahme bildeten die Gefangenen, die dort einzeln exekutiert und anschließend verbrannt wurden. Mitglieder eines Häftlingskommando, deren Aufgabe darin bestand, die Toten einzuäschern wohnte noch immer im Krematoriumsgebäude. Sie wurden beauftragt, den toten Georg Elser im Gegensatz zu sonstigen Gepflogenheit nicht nackt, sondern mit seinen Kleidern zu verbrennen.
20 Tage später wurden im Konzentrationslager Dachau mehr als 30 000 Häftlinge aus 25 Nationen von Einheiten der US-Armee befreit. Der "Zitherspieler", wie ihn die anderen Sonderhäftlinge in Dachau nannten, hat es nicht mehr erlebt. Es musste nahezu ein halbes Jahrhundert vergehen, bevor sein Schicksal und seine Person wieder auf öffentliches Interesse stießen.
1
Zitiert nach Hellmut G.Haasis, "Den Hitler jag' ich in die Luft". Der Attentäter Georg Elser, Berlin 1999, S.84
2
Ebenda, S.84
3
Ebenda, S.85-86
4
Payne S. Best, The Venlo Incident, London 1950, S.127 ff.
5
Der Untersuchungsrichter beim Landgericht München II, Zeugenvernehmung Paul Wauer vom 16.7.1951, S.3, Az. Das 12 Js 2387/48 Staatsarchiv München
6
Ebenda, S.3
7
Der Untersuchungsrichter beim Landgericht München II, Zeugenvernehmung Michael Hock vom 22. August 1951, STAnw MII, VSG 25/ Staatsarchiv München
8
Schnellbrief des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD vom 5. April 1945, Kopie in: Payne S. Best, The Venlo Incident, London, 1950, S.208
9
Der Untersuchungsrichter beim Landgericht München II, Zeugenvernehmung Karl Kunkel vom 8. Oktober, 1951, S. 6.1Js Gen. 106/50, Staatsarchiv München
Quelle: Barbara Distel, Der Häftling Georg Elser, Königsbronn 2005
Dr. phil. h.c. Barbara Distel, geboren 1943, als Bibliothekarin ausgebildet, hat seit 1964
maßgeblich am Aufbau der KZ-Gedenkstätte Dachau, besonders der Bibliothek und
des Archivs, mitgewirkt.
Sie ist Trägerin des Geschwister-Scholl-Preises, Mitglied im International
Advisory Board des Simon-Wiesenthal Center, im Beirat der Stiftung Topographie des Terrors und des
Hauses der Wannseekonferenz in Berlin.
Gemeinsam mit Prof. Dr. Wolfgang Benz vom Zentrum für
Antisemitismusforschung gibt sie seit 1985 die "Dachauer Hefte" heraus.
Im Mai 2000 wurde Barbara Distel mit der Ehrendoktorwürde der TU Berlin ausgezeichnet.