Der Kemptener Xaver R. war an der Festnahme von Georg Elser 1939 in Konstanz beteiligt. Seine Erinnerungen schrieb er auf. Erstmals veröffentlicht die Familie nun die Notizen.
VON RALF LIENERT
Kempten/Konstanz "Am 8. November 1939 habe ich an der grünen Grenze den Münchner Attentäter festgenommen. Die Festnahme erfolgte bereits um 20.40 Uhr, während das Attentat erst um 21.20 Uhr erfolgte", tippte Xaver R. in seine Schreibmaschine. Seine Erinnerungen an den fliehenden Hitler-Attentäter Georg Elser, über den ein Spielfilm in den Kinos läuft, brachte der Zollobersekretär nach dem Zweiten Weltkrieg in seiner Kemptener Wohnung zu Papier. Er versteckte sie bis zu seinem Tod 1971.
Der Zöllner, der Georg Elser 1939 aufgriff, war Xaver R.. Er lebte von 1939 an in Kempten und starb dort 1971. Repro: Ralf Lienert
Vieles ist über Johann Georg Elser aus dem württembergischen Alb- Dorf Hermaringen bei Heidenheim geschrieben worden.
Weitere Details zu seiner Verhaftung an der Schweizer Grenze bei Konstanz tauchen jetzt überraschend in Kempten auf. Xaver R. hatte sich
mit seiner Familie nie über diese Verhaftung unterhalten. Erst nach seinem Tod entdeckten die Angehörigen die Aufzeichnungen. Sein Sohn Franz
(79) öffnete für unsere Zeitung nun erstmals das Familienalbum. Allerdings möchte er seinen vollständigen Namen nicht nennen, weil er Angst vor negativen Reaktionen hat.
"Ich habe Elser ungefähr 20 Meter vor der Grenze festgenommen", steht auf dem vergilbten Papier." Bei der Festnahme habe ich Elser erklärt, ich wolle ihm behilflich sein, damit er seinen Kameraden, welchen er angab zu suchen, auch leichter finde. So brachte ich E. zur Zollaufsichtsstelle."
Elser hatte vorgegeben, einen Herrn Feuchtelhuber vom Trachtenverein Konstanz zu suchen. Der Hitler-Attentäter hätte die rettende Grenze vielleicht noch erreichen können, doch R. hatte seinen Karabiner schon im Anschlag und wies Elser deutlich den Weg zur Dienststelle: "Hier ist die Türe." In früheren Fällen hatte Xaver R. jüdischen Familien die Flucht in die Schweiz ermöglicht, erzählt die Familie.
Mit ruhiger Stimme liest Franz R. die Erlebnisse seines Vaters vor. Dieser stammte aus Plattling in Niederbayern und war 1935 als Zollanwärter in Konstanz angetreten und am Kreuzlinger Tor tätig. In dieser Dienststelle durchsuchte R. an dem November-Abend 1939 mit zwei Kollegen den 36-jährigen illegalen Grenzgänger sehr gründlich. Elser hatte sich verdächtig gemacht, weil seine Grenzkarte abgelaufen war. "Wir fanden eine Beißzange, Zettel über die Herstellung von Zündern und eine Ansichtskarte vom Bürgerbräu samt NSDAP-Stempel", schrieb Xaver R. später auf. "In der Geldbörse waren ein Schlagbolzen mit Federn und Schrauben sowie ein Fünf-Mark-Stück. Mein Postenführer, der bei den Minenwerfern als Soldat war, hat auch diese Teile sofort erkannt. Elser wurde nun der Polizei übergeben."
R. ging wieder auf seinen Posten zurück. Sein Kamerad Waldemar Zipperer wartete erwartungsvoll. Nach Dienstende um 0.30 Uhr wurden die Grenzkontrollen verstärkt. Die Zöllner erfuhren, dass es in München ein Attentat auf Hitler gegeben habe. Elser habe bereits bei der ersten Vernehmung die Tat gestanden, notierte R.. Dies habe er von seinen Kameraden erfahren.
Elser hatte eine Zeitbombe im Münchener Bürgerbräukeller deponiert. Eine Kellnerin und sieben NSDAP-Parteigenossen der ersten Stunde wurden getötet, 63 Menschen verletzt. Adolf Hitler, dem der Anschlag galt, hatte das Lokal 13 Minuten zuvor verlassen. Elser wurde als "Sonderhäftling des Führers" ins KZ Sachsenhausen eingeliefert und später nach Dachau verlegt. Dort wurde er am 9. April 1945 durch einen Genickschuss umgebracht.
Auf die Festnahme Elsers erfolgte ein Gerangel unter den deutschen Behörden, wer die Meriten für sich verbuchen dürfe. Letztlich wurde R. mit seinen Kollegen ins Reichsfinanzministerium nach Berlin beordert und dort zum Zollinspektor befördert. Staatssekretär Fritz Reinhart dankte den vier beteiligten Zöllnern mit einem Orden und einem Geldgeschenk: "Sie haben der Zollverwaltung einen ganz großen Dienst erwiesen und wir können Ihnen nicht genug danken", hieß es.
R. wurde nach Kempten versetzt und 1943 an die Ostfront geschickt. Nach einem Rückensteckschuss und vorübergehender Lähmung kehrte er im Mai 1945 zurück ins Allgäu und arbeitete zunächst beim Bezirkskommando Kempten und später wieder als Zöllner, diesmal an der Grenze bei Hof (Oberpfalz).
"Am liebsten würde ich ja dies alles einmal an die Tageszeitung geben." So enden die Erinnerungen von Xaver R.. Sein Kollege Zipperer hatte stets behauptet, er habe Elser verhaftet. Zipperer wurde übrigens noch einmal geehrt: Er bekam 1978 das Bundesverdienstkreuz für seine unternehmerische Leistung im Nachkriegs-Deutschland.