Möhringen. Der Neffe des Hitler-Widerstandskämpfers hat in der Anne-Frank-Realschule über Georg Elser gesprochen.VON KAI MÜLLER
Expertin und Neffe: Renate Franz und Franz Hirth haben in der Anne-Frank-Realschule
über den ermordeten Hitler-Attentäter Georg Elser informiert. Foto: Kai Müller
Ob er sauer auf seinen Onkel gewesen sei, will eine Schülerin der Anne-Frank-Realschule von Franz Hirth wissen.
"Nein, ich war nicht wütend, ich habe mich damals geschämt", sagt der Neffe des Hitler-Attentäters Georg Elser.
Elsers misslungener Anschlag auf Hitler am 8. November 1939 im Münchener Bürgerbräukeller hat Geschichte geschrieben.
Es hat auf einen Schlag Franz Hirths Leben verändert. Das weiß auch Renate Franz, die Elser-Expertin, die schon
zahlreiche Vorträge über den Hitler-Attentäter gehalten hat.
An diesem Tag ist es aber für sie und Hirth eine
Premiere. Erstmals besuchen sie an diesem Tag gemeinsam eine Schule und stehen der 10b der Anne-Frank-Realschule gegenüber.
"Das passt ideal", sagt der Lehrer Holger Viereck, dessen Klasse sich derzeit mit dem Dritten Reich befasst.
GEORG ELSER: GEDENKSTÄTTE UND ARBEITSKREIS
Nach der Tat 13 Minuten zu früh hatte Adolf Hitler am 8. November 1939 den Bürgerbräukeller verlassen,
sonst hätte ihn die "Höllenmaschine" Georg Elsers getötet. Beim Versuch in die Schweiz zu
flüchten, wird Elser noch am gleichen Abend festgenommen. Anfang 1941 wird Elser als Sonderhäftling
in das KZ Sachsenhausen verlegt, vier Jahre später kommt er in das KZ Dachau. Dort wird Elser wenige
Tage vor Ende des Zweiten Weltkriegs ermordet.
Gedenkstätte
Im Jahr 1998 wurde in Elsers Heimatgemeinde eine Gedenkstätte eröffnet, die an den Widerstands- kämpfer
erinnert. Längst sind auch Straßen und Schulen, nach dem Mann benannt, der "den Krieg verhindern wollte".
Eine Sonder- briefmarke mit dem Konterfei Elsers wurde ebenfalls gedruckt.
Ansprechpartner
Renate Franz vom Georg-Elser-Arbeitskreis Stuttgart befasst sich seit einigen Jahren
intensiv mit Elser. "Solche Veranstaltungen wie mit Franz Hirth möchte ich weiter forcieren",
sagt Franz. Sie ist unter Telefon 74 93 42 oder per Mail unter stuttgart@georg-elser.net zu erreichen.
Auskünfte zu Elser gibt es im Internet unter www.georg-elser.net/stuttgart. km
Franz Hirth war zehn Jahre alt, als ihn sein Onkel in Stuttgart wenige Tage vor dem Attentat besuchte. Georg Elser
schenkte ihm seinen Fotoapparat und ließ weitere Habseligkeiten unter anderem eine Truhe mit doppeltem Boden zurück.
Mit dieser hatte er den Sprengstoff von Königsbronn nach München transportiert. Er gehe wieder auf Wanderschaft,
sagte Elsner. Mehr wollte er nicht preisgeben. "Er sah sehr müde aus", erinnert sich Franz Hirth. Es
war das letzte Mal, dass der Neffe seinen Onkel sah.
Als Hirth am 13. November 1939 von der Schule nach Haus kam,
warteten schon zwei Gestapo-Beamte. Die Eltern wurden verhaftet, der Junge kam in ein Kinderheim.
Mitte Dezember holte ihn sein Großvater ab. Erst im März 1940 kehrte er nach Stuttgart zurück. Der Traum vom
Gymnasium war für Franz Hirth ausgeträumt: Er durfte keine weiterbildende Schule besuchen.
Die Habseligkeiten Georg Elsers hatte die Gestapo konfisziert: "Sie sind nie wieder aufgetaucht. Wir haben keine Quittung
bekommen", sagt Hirth. Über das Attentat sprach die Familie später nicht: "Das war ein Tabu.
Ich konnte mit niemandem darüber reden."
Hirth ist trotzdem seinen Weg gegangen. Er wurde Vermessungsingenieur. Später setzte er sich mit der
Person seines Onkels auseinander und trat an die Öffentlichkeit. Im Januar war er in der SWR-3-Sendung
"Ich trage einen großen Namen" zu Gast.
Dass sein Verwandter sich 30 Tage lang Nacht für Nacht
im Münchener Bürgerbräukeller einschließen ließ, um eine Säule auszuhöhlen und dort die Bombe zu deponieren,
nötigt Hirth bis heute großen Respekt ab: "Das kann man sich gar nicht vorstellen."
Durch den Fund einiger Verhörprotokolle ist längst wissenschaftlich belegt: Elser war ein Einzeltäter.
Er war weder Handlanger des britischen Geheimdienstes, noch ein SS-Mann. Doch die Deutschen taten sich nach
dem Krieg mit dem Schreiner schwer, der durch seine Tat weiteres Blutvergießen verhindern wollte.
"Bei Elser hat man immer das Gefühl, dass man zwei Sätze dazu sagen muss, bei Claus Schenk Graf von Stauffenberg
ist das nicht nötig", sagt Renate Franz, die den Schülern in einem Vortrag den Menschen Elser näher zu
bringen versuchte.
"Er war entgegen anderer Behauptungen ein geselliger Mensch, der beliebt bei den
Frauen war", erklärte die Dürrlewangerin. Wichtig sei, dass man den gebürtigen Hermaringer in seiner Zeit
lässt: "Damals war eine verbrecherische Regierung an der Macht." Elser sei kein politischer Mensch
gewesen. Der "absolute Nazi-Gegner" habe aber gerechten Lohn für gute Arbeit gefordert.
Hirths Familie hat später nach dem Krieg eine geringe Widergutmachung erhalten. Vergessen wird der
Neffe seinen "freundlichen Onkel" nie, der früher immer da war, wenn es galt, das Dreirad zu
reparieren. Die Scham ist längst einer Bewunderung für einen Mann gewichen, der früh durchschaute, welch
barbarische Absichten das Nazi-Regime verfolgte.