Georg Elser ins Bewusstsein gerückt

Seit 20 Jahren engagiert sich ein Heidenheimer Arbeitskreis für den Königsbronner Widerstandskämpfer und Hitler-Attentäter

Ein Mann von Größe. Sein modellierter Kopf misst in der Höhe rund acht Meter. Und er selber zählt zu 47 ausgewählten Deutschen. Georg Elser auf der Expo 2000: Die Würdigung des Widerstandskämpfers in Hannover hat seinerzeit den Georg-Elser-Arbeitskreis Heidenheim veranlasst, dessen Bekanntheitsgrad unter Besuchern zu ermitteln - schließlich hat diese Initiative erheblichen Anteil daran, dass der Hitler-Attentäter in wachsendem Maße geachtet wird. Gegründet wurde der Arbeitskreis vor 20 Jahren.


VON PETER A. ZDANSKY

Die Gedenktafel an der Königsbronner Georg-Elser-Gedenkstätte, deren Eröffnung im Februar 1998 der seit 20 Jahren aktive Heidenheimer Georg-Elser-Arbeitskreis als seinen bislang wichtigsten konkreten regionalen Erfolg betrachtet. (Foto: paz)

Expo 2000. Jedem Zehnten der 60 Angesprochenen war Elser ein Begriff. Immerhin zehn Prozent - auf das Ergebnis seiner Befragung im Deutschen Pavillon blickt Manfred Maier vom Heidenheimer Arbeitskreis mit einer gewissen Zufriedenheit: Zehn Jahre davor, 1990, wäre Elsers Name spürbar weniger Menschen geläufig gewesen, vielleicht höchstens einem von 100 - und schon gar nicht hätte man auf einer Weltausstellung ein großformatiges plastisches Portrait des mutigen Schreiners gezeigt und ihm damit den Zutritt zu einer Gesellschaft gestattet, in der mit Thomas Mann, Konrad Adenauer oder Claus Schenk Graf von Stauffenberg als ebenfalls Dargestellten Vertreter des Bildungsbürgertums beziehungsweise des Adels zu finden waren.

Maier weiß, wovon er spricht: Als der Arbeitskreis 1988 damit begann, sich stark zu machen für eine angemessene Anerkennung Elsers und dessen Tat, habe dieser im öffentlichen Bewusstsein wie in der generellen Geschichtsschreibung noch "keinen Stellenwert" gehabt.

Vor 20 Jahren - im April - fand die Gründungsversammlung des Arbeitskreises statt, in Heidenheims Naturtheater: Dieser Einrichtung eng verbunden war die zu Anfang treibende Kraft: Gerhard Majer - im realen Leben und im Theaterbereich als Autor und Schauspieler politisch äußerst aktiv und im ostwürttembergischen Raum eine bedeutende sozialkritische Stimme. (Majer starb 2004 erst 56-jährig.)

Dicke Bretter gebohrt

Manfred Maier, seit langem einer derjenigen, die den Arbeitskreis öffentlich repräsentieren, stieß im August des Gründungsjahres hinzu. Dass die Gruppe 20 Jahre später eine Zwischenbilanz ziehen kann, die als bislang wichtigsten konkreten regionalen Erfolg die Schaffung der Elser-Gedenkstätte in Königsbronn ausweist - hätten er und seine Mitstreiter dies 1988 für möglich gehalten? Vorstellen können habe man sich das "nicht in den kühnsten Träumen".

Anfangs sei gar nicht daran zu denken gewesen, dass die Tätigkeit landes-, ja bundesweit auf Resonanz stoßen würde - auf Resonanz bei renommierten Historikern. Nicht in einem einzigen Lexikon sei damals ein Eintrag über Elser gestanden. Heute dagegen werde man durchaus fündig. Gleichfalls sei vor 20 Jahren Elsers Tat lediglich in einem einzigen Schulbuch "halbwegs vernünftig" erläutert gewesen. Heute dagegen finde man akzeptable Darstellungen, der Widerstandskämpfer sei sogar schon Abiturthema gewesen.

Die erste fundierte Publikation über Elser ist ein Werk des Arbeitskreises: das Buch "Gegen Hitler - gegen den Krieg", 1989 in erster Fassung herausgegeben, 2003 überarbeitet und erweitert durch die Arbeitskreis-Mitglieder Hans Ulrich Koch, Manfred Maier und Gerhard Oberlader.

Förderlich war dem zunehmenden Interesse an Elser - speziell von Verlagen - der Spielfilm "Georg Elser - Einer aus Deutschland", der 1989 in die Kinos kam.

Fruchtbare Kontakte

Für die Tätigkeit des Arbeitskreises jedoch erwies sich als langfristig spürbar wichtiger der im gleichen Jahr bei der Heidenheimer Gedenkveranstaltung zum 50. Jahrestag der Tat Elsers zustande gekommene Kontakt mit Historiker Prof. Dr. Peter Steinbach, wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand (Berlin) und mittlerweile an der Universität Mannheim Professor für Neuere und Neueste Geschichte. Er und der Politikwissenschaftler Dr. Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte, erarbeiteten für diese 1997 eine Elser-Ausstellung, gemeinsam mit Mitgliedern des Arbeitskreises.

Und mit Joachim Ziller als Repräsentant Königsbronns: Die Heimatgemeinde Elsers hatte sich 1989 nicht an den Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag des Attentates beteiligt; doch wird vom 1990 erstmals zum Bürgermeister gewählten Michael Stütz ein deutlich anderer Umgang mit Elser gepflegt als in der Ära seines Amtsvorgängers Karl Burr.

Konzipiert für Königsbronn

Die Berliner Elser-Dokumentation - die erste herausragende ausschließlich Elser gewidmete Präsentation - war zusätzlich als Wanderausstellung deutschlandweit an mehr als 30 Orten zu erleben. Konzipiert wurde sie als ständige Ausstellung: für Königsbronn - für die Elser-Gedenkstätte, die 1998 eingeweiht wurde. Zehn Jahre zuvor, so resümiert Maier, wäre es "undenkbar" gewesen, Elser in jenem Ort, in dem er die meiste Zeit seines Lebens verbracht hat, in einem solchen Rahmen dauerhaft zu würdigen - in einem Ort, der die Folgen der Tat vom 8. November 1939 hautnah zu spüren bekommen hat: von den Nazis der Mittäterschaft bezichtigt und pauschal verunglimpft als "Attentatshausen".

Die Einweihung der Königsbronner Gedenkstätte (beim Rathaus; geöffnet sonn- und feiertags von 11 bis 17 Uhr) war also - auf die Region bezogen - das bedeutendste Arbeitskreis-Etappenziel der zurückliegenden 20 Jahre; dazu die zunehmende, sich in unterschiedlicher Form ausdrückende Präsenz der Tat Elsers im öffentlichen Leben und Bewusstsein. (Über Elsers zeitweilige Erwerbstätigkeit in Aalen hat diese Zeitung bereits berichtet.)

Vor dem Hintergrund der Gesamtentwicklung stellt sich die Frage, ob der Arbeitskreis im Laufe der Zeit die geschichtliche Stellung Elsers neu definiert hat. Vor zehn Jahren, so Maier, habe er "gewagt", Elser neben Stauffenberg zu stellen - eine Aussage, die damals als noch anmaßender gegolten habe, als sie heute nach wie vor in weiten geschichtswissenschaftlich tätigen Kreisen bewertet werde.

Inzwischen geht Maier noch einen entscheidenden Schritt weiter: Heute stelle er in der Erinnerungskultur des deutschen Widerstands gegen Hitler Elser bei allem Respekt weit vor Stauffenberg; auch aufgrund des deutlich früheren Zeitpunkts der Tat Elsers fast fünf Jahre vor derjenigen Stauffenbergs. Elser habe Hitler von Anfang an abgelehnt, während Stauffenberg dessen Ernennung zum Reichskanzler 1933 ausdrücklich befürwortet habe.

In der "Straße der Erinnerung" in Berlin wird übrigens am 26. September eine Elser-Büste enthüllt. Ferner soll laut Mitteilung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in der Nähe von Hitlers früherer Reichskanzlei ein Elser-Denkmal errichtet werden.

In diesem Zusammenhang erwähnt Maier einen Vorgang, der ihn erklärtermaßen ärgert. Der Historiker Joachim Fest habe in seinem 1973 erschienenen Buch "Hitler. Eine Biografie" Elser als Attentäter nicht namentlich genannt (die Rede ist lediglich von einem "Einzelgänger"; das Attentat selber wird in einem einzigen Satz erwähnt). Weshalb ein hochgebildeter Mann wie Fest sich diese historische Ungenauigkeit gestattet habe, sei ihm unverständlich; über die Gründe könne man nur mutmaßen. Gerne hätte er sich in dieser Angelegenheit mit Fest auseinandergesetzt. Dafür ist es zu spät: Der Publizist starb 2006. (Im Kontext mit Fest ist bemerkenswert, dass der US-amerikanische Historiker John Toland in seinem 1976 veröffentlichten Werk "Adolf Hilter: the definitive biography" Elser als Attentäter namentlich genannt und seine Tat umfangreich gewürdigt hat.)

Als ermutigend empfindet man im Arbeitskreis die Haltung der Historikerin Marlies Steinert, die sie in ihrem biografischen Buch "Hitler" (1994) zum Ausdruck bringt. Zwar, so die Schweizerin, sei es nicht Aufgabe des Geschichtswissenschaftlers, zu spekulieren, was passiert wäre, wenn Hitler am Tag des Attentats den Zeitplan eingehalten hätte; da jedoch ein solcher Gedanke den Fokus auf die Bedeutung dieses Mannes für den Nationalsozialismus und dessen Entscheidungssystem richte, könne man durchaus die folgende Frage stellen:

Hätte der Zweite Weltkrieg "mit all seinen Schrecken - den Rassenmord an den Juden eingeschlossen - stattgefunden", wenn Hitler durch Elsers Handeln ums Leben gekommen wäre? Die Genfer Autorin gelangt zu dem Schluss: "Im Lichte all dessen, was wir heute wissen, scheint sich ein Nein als Antwort aufzudrängen."

Doch kein "Verbrecherbild"

Eine klare Würdigung Elsers. Wie auch jene, die anlässlich seines 100. Geburtstags im Januar 2003 auf anderer Ebene erfolgt ist: in Gestalt einer Sonderbriefmarke. Sie zeigt ein Passfoto des Königsbronners. Ursprünglich war vorgesehen, jene oft veröffentlichte Aufnahme zu verwenden, die von der Gestapo nach den brutalen Verhören gemacht worden war - im Stil des klassischen "Verbrecherbildes".

Elsers Bruder Leonhard (er starb 2004) schmerzte zeitlebens, dass dieses Foto immer wieder publiziert worden ist. Aus diesem Grund stellte er besagtes Passbild zur Verfügung. Maier übermittelte es regelrecht in letzter Minute an die zuständige Stelle - mit Erfolg. Ein weiteres Verdienst des Arbeitskreises.


Quelle: Schwäbische Post 16.9.2008 - www.schwaepo.de