Auch Hitler musste sich an den Fahrplan halten

Nach dem Attentat: Der Sonderzug fuhr um 21:31 Uhr in München ab

Adolf Hitler hatte es wirklich eilig an jenem Abend, der beinahe der letzte seines Lebens geworden wäre. Um 21:31 Uhr fuhr sein Sonderzug im Hauptbahnhof von München ab, daran konnte auch der sonst allmächtige "Führer" nichts ändern. So kam es, dass er schon unterwegs war, als im "Bürgerbäukeller" die von Georg Elser eingebaut Bombe explodierte. Diese Tat ist hinlänglich bekannt und erforscht, doch über die Abreise Hitlers gibt es unterschiedliche Angaben. Laut einem seiner Gefolgsleute benützte er einen Sonderzug.


VON ULRICH RENZ (2013)

    

Ulrich Renz

Ulrich Renz

Unumstritten ist, dass der Diktator - der ursprünglich gar nicht zum jährlichen Treffen der "alten Kämpfer" nach München kommen wollte - am 8. November 1939 ein verkürztes Programm im "Bürgerbräukeller" absolvierte. Seine Rede begann er um 20 Uhr und damit eine halbe Stunde früher als sonst bei diesem Gedenken an den mißglückten Putsch vom November 1923.

Er sprach auch nicht so lange wie früher, sondern schloss seine Ausführungen um 21:05 Uhr und verließ um 21:07 Uhr den Saal. Er verzichtete damit auf das übliche "kameradschaftliche Gespräch" mit den Veteranen. Als Elsers Bombe um 21:20 Uhr explodierte, war er mit seinem großen Gefolge schon auf dem Weg zum Bahnhof.

Als offizielle Begründung für die Eile wurden "dringende Staatsgeschäfte" angegeben. Und das war kein Vorwand, denn die Vorbereitungen für den "Fall Gelb", den Angriff im Westen, liefen auf Hochtouren. Die Entwicklung im November war so kritisch, dass der Historiker Anton Hoch in seinem Bericht über Elsers Attentat feststellen konnte, die von ihm aufgezählten Daten "dürften genügen, um anzudeuten, was Hitler damals bewegte": Er "wollte in Berlin die Fäden in der Hand behalten" und verhindern, dass ihm skeptische Generäle das Konzept verderben könnten. Hoch schrieb: "Es wird ihm kaum danach zumute gewesen sein, in diesen für ihn wichtigen Tagen die Zeit im Kreise der alten Marschierer vom 8./9. November zu verbringen."

Und Hitlers alter Mitstreiter Alfred Rosenberg, Leiter des Außenpolitischen Amtes der NSDAP, notierte damals in seinem politischen Tagebuch, der "Führer" habe ihm am Tag nach dem Anschlag erzählt, dass er am Vorabend unbedingt nach Berlin habe zurückkehren müssen. Nach seiner "kürzeren Rede" sei er noch gebeten worden, "auf die Galerie des Bürgerbräus zu den alten Kämpfern zu kommen". Doch mit "Rücksicht auf die Bahnordnung" - gemeint war der Fahrplan - sei er gleich weggegangen. Und Rosenberg berichtete weiter, auf Hitler habe ein Sonderzug gewartet.

Dass Nebel den Rückflug nach Berlin verhinderte, ist auch schon lange aktenkundig. Doch in der Literatur über das Attentat ist zum einen davon die Rede, dass Hitler einen oder mehrere Salonwagen benutzte, der oder die an einen fahrplanmäßigen Zug angekoppelt wurden. Diese Version vertrat vor allem Hitlers Pilot Hans Bauer ("Ich flog Mächtige der Erde"), andere übernahmen diese Darstellung. So schrieb Jochen von Lang in seinem Buch über Martin Bormann ("Der Sekretär"): "An den fahrplanmäßigen D-Zug nach Berlin waren für ihn (Hitler) und wenige Begleiter Sonderwagen angehängt worden." Am 10.11.1969 hieß es in einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" über das Attentat: "Hitler selber aber, dem das Attentat galt, saß zu dieser Zeit bereits im fahrplanmäßigen D-Zug 71 nach Berlin (Abfahrt 21:31 Uhr)." Andere Autoren erwähnen einfach "den Nachtzug nach Berlin".

In der Mehrzahl der einschlägigen Werke ist von einem Sonderzug die Rede, so bei den Elser-Biografen Hellmut Haasis ("Den Hitler jag' ich in die Luft") und Helmut Ortner ("Der einsame Attentäter"). In ihrem Standardwerk "Georg Elser" schreiben die Historiker Peter Steinbach und Johannes Tuchel, Hitler war "auf einen Zug der Reichsbahn angewiesen". Und weiter: "... noch vor 22:00 Uhr fuhr der Zug am Münchener Hauptbahnhof ab, dessen planmäßige Abfahrtszeit 21:31 Uhr gewesen war."

Der Historiker Anton Hoch vom Münchener Institut für Zeitgeschichte, der das von seinem Kollegen Lothar Gruchmann entdeckte Protokoll der Vernehmung Georg Elsers durch die Gestapo auswertete und auf seine Stichhaltigkeit überprüfte, hatte sich schon in seinem 1969 veröffentlichten bahnbrechenden Bericht festgelegt - auf einen Sonderzug. Damit legte er die Grundlage für viele folgende Veröffentlichungen. Und die Ergebnisse seiner Recherchen zum Fall "Bürgerbräukeller" haben sich insgesamt als zutreffend erwiesen. In seinem Bericht für die "Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte" stützte er sich bei der Darstellung der Abreise Hitlers auf Unterlagen aus der NS-Zeit in seinem Institut, unter anderem auf das Tagebuch von Rosenberg, und schrieb: "Um 21:20 Uhr explodierte dann die Bombe, und um 21:31 Uhr fuhr sein Sonderzug von München ab."

Erst um 21:45 Uhr folgte ein fahrplanmäßiger D-Zug via Regensburg und "mit Schlafwagen", der den Anhalter Bahnhof in Berlin am nächsten Morgen um 8:02 Uhr erreichte. Dass Hitler sich bei Fahrten mit dem Sonderzug an den dann gültigen Sonderfahrplan halten musste, bestätigte ein Bahnexperte im Jahre 2013 mit seinem knappen Kommentar zur Materie: "Auch ein Sonderzug fährt pünktlich ab."


Link Ulrich Renz bei Wikipedia



Anhang

Sonderzug

Der Führersonderzug diente erstmals während des Polenfeldzugs im September 1939 als Führerhauptquartier. Er war nicht fest stationiert, sondern wurde von Hitler für Frontfahrten genutzt. Für die Sicherheit war eine aus der Sicherungskompanie des Führerhauptquartiers gebildete Frontgruppe zuständig. Quelle: BArch MSg 2/5876


Tagebuch mit Hinweis auf "Führerzug"

Auszug aus Daten aus alten Notizbüchern: Der Sekretär des Führer
[Tagebuch Martin Borman]

...

7.11.[1939]:

22.40 Uhr Abfahrt mit Führerzug nach München.

8.11.[1939]:

11.00 Uhr Ankunft in München.
Der Führer besucht u.a. Fräulein Mitford in der Klinik;
abends Rede im Bürgerbräukeller von 20.10 - 21.07 Uhr
darnach [sic!] 21.31 Uhr Abfahrt.

In Nürnberg erreicht uns im Zug die Nachricht, dass 8
Minuten nach unserer Abfahrt in München Bürgerbräu-
keller durch Sprengstoff-Attentat zerstört: 8 Tote,
60 Verwundete.

9.11.[1939]:

10.20 Uhr Ankunft in Berlin.

10.11.[1939]:

Abfahrt mit Führerzug nach München zum Staatsbegräbnis.

11.11.[1939]:  

10.31 Uhr Ankunft München. Fahrt zum Staatsakt
an der Feldherrnhalle, darnach Besuch der Verwundeten,
Fahrt zum Bürgerbräukeller;
13.15 Uhr Abflug nach Berlin-Staaken.

...

F.d.R. der Abschrift
[David Irving]


Institut für Zeitgeschichte ZS/A-17/5, S. 139 (dort auch auf S. 20-21 zweifache Kopie aus: Daten aus alten Notizbüchern, 31.1.1934-30.6.1943, S. 53)


Tagebuch von Alfred Rosenberg

11.11.39

[...]

Noch stehen wir alle unter dem Eindruck des Attentats in München. Ich war gestern beim Führer z. Mittag. Er erzählte, dass er unbedingt nach Berlin hätte zurückmüssen. Nach seiner kürzeren Rede sei er noch gebeten worden, auf die Galerie des Bürgerbräus zu den alten Kämpfern zu kommen. Er hätte gefragt, wieviel Uhr es sei. 9.10; da aber der Sonderzug für 9.30 festgesetzt war u. er aus Rücksicht auf die Fahrtordnung sich nicht verspäten wollte, was angesichts der Verdunkelung möglich gewesen wäre, so wäre er doch gleich weggegangen. Hätte er das nicht getan, so wären wir eben alle unter den Trümmern begraben worden.

Ein merkwürdiges Gefühl: Vor 16 Jahren ging ich mit der Pistole in der Hand mit Adolf Hitler zu diesem gleichen Podium, wo uns jetzt der Tod zugedacht war. Ich erinnerte mich dann der Schüsse an der Feldherrnhalle, der Attentatsabsicht auf mich 1931 in Jena, wo an meiner Stelle Dr. H. Günther den Schuss erhielt – und an das jetzige Erlebnis. Wir hatten 14 Jahre mit unserem Kopf gespielt, jetzt sind die gleichen Gegner, offenbar vom Ausland her, am Werk, um uns doch aus der Welt zu schaffen. Sehe ich mein Haus an, so ist es eine Kleinigkeit, in der Nacht hier in der menschenleeren Gegend mir eine Bombe mitten ins Schlafzimmer zu werfen.

Aber schliesslich: ohne Unbekümmertheit hätten wir nie beginnen können. Schlimm ist nur, dass manche Erbitterung im Lande durch die Taten unserer führenden Männer verschuldet ist: was die Arroganz von Dr. Goebbels u. die Protzerei mancher anderer an Vertrauen zerstört hat, lässt sich gar nicht abschätzen. Wir alle bezahlen mit unserer Arbeit, was einzelne aus Eitelkeit und levantinischer Anmassung zerstört haben.

[...]


United States Holocaust Memorial Museum: Alfred Rosenberg Diary, S. 331 u. S. 333


Kursbuch der Deutschen Reichsbahn

24.6.69

Aktennotiz

Telefonat mit Bundesbahndirektion München -
Kursbuchabteilung
Herr Sporer
Telefon: 5790/5860
(man kann durchwählen)

Herr Sp. gibt die folgende Auskunft nach:

Kursbuch 1. Juli 1939
4. Abteilung/Fremde Länder

(Das nächste Herrn Sp. vorliegende Kursbuch ist vom 1.12.39)

Schnellzugverbindungen München - Berlin (sämtl. Anhalter Bhf.)

Mü     - Regensburg - Hof - Leipzig - 

Berlin

21.458.02
23.499.14

Mü     - Nürnberg - Halle -

Berlin

22.207.55
23.128.53

Für den Einsatz von Sonderzügen werden jeweils nur in der Regel hektographierte Texte für die einzelnen Direktionen herausgegegebnn, durch deren Bezirke der Sonderzug geleitet wird. Sie werden nicht längere Zeit aufbewahrt. In der Bundesbahndirektion München ist sicher keine Unterlage über einen eventuellen Sonderzug vom Now. 1939 mehr erhalten.

Danzl


Institut für Zeitgeschichte ZS/A-17/5, S. 111

Die Aktennotiz stammt Erna Danzl, einer Mitarbeiterin von Anton Hoch beim IfZ.


Anton Hochs Quellenangaben

Diesmal erschien er [Hitler] pünktlich um 20.00 Uhr im Bürgerbräukeller, begann um 20.10 Uhr mit seiner Rede und kam 21.07 zu einem raschen Ende. Unmittelbar danach verließ er mit seiner Begleitung den Saal. Um 21.20 explodierte dann die Bombe, und um 21.31 Uhr fuhr sein Sonderzug von München ab110.
————
110 Zeitangaben nach "Daten aus alten Notizbüchern, 31.1.1934-30.6.1943", S. 53 [s.o.] (IfZ, MA 5/1 - s. a. v. Eberstein (IfZ, ZS 539, Bd. II [dort S. 31]); Völk. Beobachter, Münchner Ausg. 10.11.1939; Das politische Tagebuch Alfred Rosenbergs, DTV-Ausg., S. 107 [s.o.].


Anton Hoch: Das Attentat auf Hitler im Bürgerbräukeller, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte (17) 4/1969, S. 410


Heinz Linge, Chef des persönlichen Dienstes, Kammerdiener Adolf Hitlers

Als Hitler den Bürgerbraukeller verließ, war er bester Laune. Lächelnd fuhr er zum Bahnhof, wo der Sonderzug schon unter Dampf stand, um mit Höchstgeschwindigkeit nach Norden zu fahren.

In Nürnberg, wo der Zug ein paar Minuten halten musste, erhielt Hitler die Nachricht, dass im Bürgerbräukeller in München eine Explosion stattgefunden hatte, und zwar ganz kurze Zeit, nachdem er die Versammlung verlassen hatte.


Kronzeuge Linge, Serie in: Zeitschrift Revue (München) 1955/56. Institut für Zeitgeschichte ZS/A-17/7, S. 3

Für den Anhang verantwortlich: Peter Koblank