Hundertzwei Neuigkeiten zum Hitler-Attentäter Georg Elser

Rezension der Neuauflage der Elser-Biografie von Hellmut G. Haasis

Zum 70. Jahrestag von Georg Elsers Attentat auf Adolf Hitler am 8. November 1939 im Bürgerbräukeller in München liegt jetzt eine völlig umgearbeitete und stark erweiterte neue Ausgabe der Georg-Elser-Biografie vor. Der Biograf Hellmut G. Haasis hat aus seiner ersten Auflage von 1999 aus 280 Seiten nunmehr fast 400 Seiten gemacht.


VON HEINER JESTRABEK

Hellmut G. Haasis: "Den Hitler jag ich in die Luft" Der Attentäter Georg Elser
Nautilus, Hamburg, 384 Textseiten, 33 Fotos. ISBN 978-3-894016-06-7

Seine zahlreichen Forschungsergebnisse der letzten Jahre fanden Eingang - allein 102 neue Erkenntnisse wurden verarbeitet und neues Bildmaterial beigefügt - sodass ohne weiteres von einem ganz neuen Buch besprochen werden kann. Zudem liest sich das Buch - trotz seiner Materialfülle und wissenschaftlichen Wert - äußerst spannend, fast wie ein Realkrimi.

Ausführlich geschildert werden die Lebensdaten des mutigen Schreiners von der Ostalb. Zudem bezieht Haasis ausgiebige soziale Milieustudien und Erläuterungen zum politischen Zeitgeschehen mit ein. Haasis gelingt es sehr anschaulich, die Gedankenwelt und Charakteristik Elsers darzustellen, vor allem anhand von Textanalysen der Verhörprotokolle, aber auch durch umfangreiche Zeugnisse seiner Zeitgenossen, der Familie, Freunden und seiner Peiniger.

Legenden um Elser werden schlüssig widerlegt, die verschlungene Rezeptionsgeschichte Elsers erhellt. Im völlig neuen ersten Kapitel wundert sich Haasis noch immer, dass selbst bei Wohlmeinenden Elser noch immer nur als "einfacher Schreiner" gilt, als "schlichter Handwerksgeselle". Darin sieht der Autor die Arroganz von Kopfarbeitern gegenüber Handarbeitern, die aber gerade durch ihren Tatendrang und ihre Konsequenz den letztlich inkonsequenten Intellektuellen überlegen waren. Elser wird dargestellt als ein früher, weitsichtiger Hitlergegner mit hohen geistigen und technischen Fähigkeiten.

Elsers politische Stellung und Gedanken werden reflektiert. Für Haasis war er kein kommunistischer Fanatiker, wie man nach dem Krieg meinte, um den frühen Warner vor dem Krieg zu diskreditieren. Er war ein libertärer, ein freiheitlicher Sozialist, mit dem Wunsch, mit anderen zusammen ohne Hierarchie zu arbeiten. Elser war das Gegenstück zum autoritären Menschen, insofern ist er sehr modern. Elser übte gegen niemanden Zwang aus, Andersdenkende ließ er so, wie sie waren, aber er verschwieg seine Ablehnung gegenüber Hitler nicht.

Hier stellt Haasis ein ganz anderes Geschichtsbild dar, als dies der gegenwärtige Mainstram, etwa im Stuttgarter 'Haus der Geschichte', präsentiert. Haasis kritisiert zu Recht dabei, dass dort Veit Harlans Nazi-Propagandafilm 'Jud Süß' und der ebenfalls aus Heidenheim stammende Rommel viel zu unkritisch dargestellt wurden: "Seitdem wird das Licht um dieses 'Haus der Geschichte' immer dunkler. [...] eine Verherrlichung von Hitlers Lieblingsgeneral Erwin Rommel: 'Mythos Rommel'. Elser findet in dieser Geschichtspolitik keine Würdigung." (S. 110)

In dem ebenfalls neuen Schlusskapitel "Elsers Persönlichkeit - ein Rätsel?" entwirft Haasis ein sehr tiefgehendes Psychogramm seines "Helden". Dabei stützte er sich auf Aussagen von Elsers Geschwistern nach 1945, die von den Geschichtsschreibern nie ernst genommen wurden. So Elsers großzügige Gesten, seine Selbstlosigkeit, sein Drang, andern praktisch zu helfen, seine scharfe Beobachtungsgabe, seine Geduld, seine schauspielerische Fähigkeit, in widrigen Umständen durch Schweigen ungeschoren durchzukommen, nicht aufzufallen.

Sogar sein Gegner Hitler bekundete ängstlichen Respekt vor Elser. Elsers Freundin Elsa, die acht Stunden von Hitler verhört wurde und hierbei mehrfach unter den Verhören zusammenbrach, bestätigte, dass Elser ein geschickter, sehr intelligenter Tüftler war.

Hellmut G. Haasis, geboren 1942 in Mühlacker, studierte Theologie, Geschichte, Soziologie und Politik. Publizist, Verleger und Rundfunkautor.
Veröffentlichungen u.a.: Spuren der Besiegten (1984), Gebt der Freiheit Flügel (1988), Edelweißpiraten (1996), Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß Finanzier, Freidenker, Justizopfer (1998), Tod in Prag. Das Attentat auf Reinhard Heydrich (2002), Georg Elser schwäbisch bei der Gestapo. Ein Stück mit 20 Szenen (2007), Heisel Rein, der Gscheite Narr (2008)
Preise: Thaddäus-Troll-Preis, Schubart-Preis, Civis-Preis.

Heiner Jestrabek ist Gründungsmitglied des Georg-Elser-Arbeitskreis Heidenheim und Organisator von jährlichen Gedenkveranstaltungen.

Presseveröffentlichungen

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